Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Zufluss von Einnahmen aus Kapitalvermögen durch Novation bei Beteiligung an betrügerischem Schneeballsystem. Bewertung der gegen den Anlagebetrüger gerichteten Forderung des Anlegers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei Kapitalüberlassung an einen Dritten, über dessen Anlageverhalten dem Anleger keine Informationsmöglichkeit zusteht, ist von einer einkommensteuerbaren Kapitalanlage auszugehen. Alle Beträge, die dem Anleger aufgrund dieser Vereinbarung zugeflossen sind, sind Einnahmen aus Kapitalvermögen. Mit welchen Mitteln der Dritte die Begleichung seiner Zinszahlungsschuld herbeigeführt hat (z. B. mit dem Kapital anderer getäuschter Anleger oder sogar mit dem Kapital des Gläubigers selbst), spielt keine Rolle.

2. Entgelte, die der Dritte bei einer ausländischen Briefkastengesellschaft dem Anleger lediglich gutgeschrieben hat, die jedoch nicht zur Auszahlung gelangt sind, führen nicht zu Einnahmen aus Kapitalvermögen. Der Dritte als Anlagebetrüger ist kein leistungswilliger und leistungsfähiger Schuldner; die Forderung eines Anlegers gegen einen Anlagebetrüger stellt keine objektive Bereicherung des Anlegers dar.

3. Die Bewertung der Forderung und damit der Leistungsfähigkeit des Anlagebetrügers hat unter Zugrundelegung der Kenntnisse zu erfolgen, die der Senat zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung über die Verhältnisse des Streitjahres hat.

 

Normenkette

EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1, § 8 Abs. 1; BGB §§ 123, 133, 138, 157, 366 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 11.02.2014; Aktenzeichen VIII R 25/12)

 

Tenor

1. Unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995, beide vom 16. Oktober 2002 und in Form der Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2003, wird die Steuer unter Verminderung der Einnahmen aus Kapitalvermögen (1994 um 23.400 DM, 1995 um 45.200 DM, s. Nr. 2 der Entscheidungsgründe) festgesetzt. Dem Beklagten wird aufgegeben, die Steuer neu zu berechnen. Im Übrigen wird die Klage als unbegründet abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 4/10 und dem Beklagten zu 6/10 auferlegt. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit leistet.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wurde mit seiner Ehefrau beim Beklagten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er war bis zum 31. Juli 1993 Arbeitnehmer der X-AG und ist dann im Rahmen eines Sozialplans ausgeschieden. Seit 1992 beteiligte sich der Kläger an einer von A –, Gesellschafter-Geschäftsführer der A-GmbH, initiierten Vermögensanlage. Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welchem Umfang der Kläger aufgrund der Vereinbarungen mit A Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt hat.

Auf Grund des als „Vereinbarung” bezeichneten Vertrages vom 6. Juli 1992, auf den wegen Einzelheiten Bezug genommen wird, zahlte der Kläger am 17. Juli 1992 50.000 DM an A zu Zwecken der Kapitalanlage. Bis zum 1. März 1995 zahlte er insgesamt weitere 102.000 DM. Die Verzinsung sollte mit einem garantierten Zinssatz von jährlich 12 % erfolgen. Zusätzliche Boni der Bank wurden zugesagt; ein Sonderbonus wurde in Aussicht gestellt. Vom 17. Juli 1992 bis zum 30. April 1996 wurden einem Bankkonto des Klägers Erträge i.H.v. insgesamt 71.480 DM gutgeschrieben. Der Kläger und seine Ehefrau richteten auf Veranlassung des A eigens dafür die Konten Nr. …42 und …42-1 bei der Y-Bank in der Schweiz – künftig: Y-Bank – ein. Weitere Erträge i.H.v. insgesamt 74.275 DM gelangten nicht zur Auszahlung, sondern wurden der Anlage des Klägers direkt als Kapital gut geschrieben. Im Einzelnen hat der Kläger – den Unterlagen des A zu Folge – die folgenden Beträge eingezahlt, entnommen und verrechnet:

Die ZK mit Sitz in Liechtenstein – künftig: ZK – war für A als Verwaltungsgesellschaft tätig. Die ZK residierte in Vaduz unter der Geschäftsadresse Aeulestraße 56 … und wurde von G vertreten. Diese Adresse und der Name des G sind dem Senat aus anderen Verfahren im Zusammenhang mit „Briefkastengesellschaften” in Liechtenstein bekannt. A erteilte dem Kläger über die Bewegungen des Sonderkontos durch die ZK „offizielle” Abrechnungen (mit Firmenkopf der ZK) und „inoffizielle” Abrechnungen (ohne Firmenkopf der ZK – „nur zu ihrer persönlichen Information”). Auszahlungen nahm er auf die zwei Konten vor, die der Kläger und seine Ehefrau bei der Y-Bank errichtet hatten.

A schloss von 1992 bis 1999 mit 44 weiteren Anlegerparteien vergleichbare Verträge und erhielt dadurch ein Anlagekapital i.H.v. insgesamt 6.798.520 DM (davon bis Ende 1994 5.037.000 DM). Nach den Ermittlungen einer im Jahre 2000 durchgeführten Steuerfahndungsprüfung wurden die ausgezahlten oder gutgeschriebenen Erträge von A tatsächlich nie erwirtschaftet. Das Kapital wurde nach Aussage des A von dessen Anlagepartnern veruntreut. Obwohl der Verlust schon 1993 feststand, setzte A die Anleger davon nicht in ...

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