Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuerbefreiung für Überschüsse aus Geschäftsbetrieben gemeinnütziger Körperschaften. Verfassungskonforme Auslegung des § 3 Nr. 20 Buchst. c und d GewStG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Vorschriften des § 3 Nr. 20 Buchst. c und Buchst. d GewStG sind unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsneutralität des Steuerrechts verfassungskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur Überschüsse des Betreibers einer der dort genannten Einrichtung gewerbesteuerfrei sind, die aus gegenüber den Benutzern bzw. Bewohnern dieser Einrichtungen erbrachten entgeltlichen Leistungen resultieren.

2. Die von der Finanzverwaltung praktizierte, an § 3 Nr. 6 GewStG orientierte Einschränkung der Gewerbesteuerbefreiung für die in § 3 Nr. 20 Buchst. c und d GewStG genannten Einrichtungen nach Maßgabe einer (fiktiven) Unterscheidung zwischen Zweckbetrieb und wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb ist weder vom Wortlaut, vom Sinn und Zweck oder von der Entstehungsgeschichte des Gesetzes noch von der Gesetzessystematik gedeckt.

3. Danach unterliegen die Überschüsse eines unter § 3 Nr. 20 Buchst. c bzw. d GewStG fallenden Altenheims aus Gästeessen und Gästeübernachtung, Werbeüberschüsse, Überschüsse aus der Lieferung von Gas, Strom und Wasser an Dritte, Überschüsse aus dem Bäderbetrieb und Zinsüberschüsse der Gewerbesteuer.

4. Überschüsse aus der Veräußerung von Getränken und aus der Nutzungsüberlassung von Telefonen an die Benutzer bzw. Bewohner der Einrichtungen sind dagegen von der Gewerbesteuer zu befreien.

 

Normenkette

GewStG § 3 Nr. 20 Buchst. c, d, Nr. 6; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; AO §§ 14, 64

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 22.06.2011; Aktenzeichen I R 43/10)

 

Tenor

Der geänderte Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2002 vom 17. April 2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. September 2009 wird dahin geändert, dass der Gewerbesteuermessbetrag auf den Betrag festgesetzt wird, der sich ergibt, wenn der Gewinn aus Gewerbebetrieb um 3.586,00 EUR vermindert wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 84 % und der Beklagte zu 16 %.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Umfang der Gewerbesteuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. c) bzw. d) GewStG, insbesondere darüber, ob die (positiven und negativen) Überschüsse aus bestimmten wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben einer gemeinnützigen Körperschaft, die mit den von ihr betriebenen Einrichtungen zugleich die Voraussetzungen des § 3 Nr. 20 Buchst. c) bzw. d) GewStG erfüllt, nach diesen Vorschriften von der Gewerbesteuer befreit sind.

Die Klägerin wurde im Jahr … von der … als Stiftung privaten Rechts gegründet. Sie betreibt selbst bzw. durch ihre Tochtergesellschaften Alten-, Altenpflege- und Altenwohnheime sowie Stiftungsresidenzen. Diese sind entweder auf eigenen Grundstücken, gepachteten Grundstücken oder Erbbaugrundstücken belegen. Daneben vermietet die Klägerin Wohnungen im Rahmen des „Wohnens mit Service” (betreutes Wohnen). Außerdem unterhält sie eine Schule für Altenpflege und eine Schule für Physiotherapie.

Die Klägerin war im Streitjahr als ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke verfolgend i.S. der §§ 51 ff. AO anerkannt (Förderung der Jugend- und Altenhilfe, Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsausbildung sowie der Studentenhilfe und Förderung der Zwecke der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege, ihrer Unterverbände und ihrer angeschlossenen Einrichtungen und Anstalten).

Die von der Klägerin betriebenen Alten-, Altenwohn- und Pflegeheime fallen unter § 3 Nr. 20 Buchst. c) bzw. d) GewStG, weil im Streitjahr mindestens 40 % der Leistungen den in § 61 Abs. 1 SGB XII oder den in § 53 Nr. 2 AO genannten Personen zugute kamen bzw. die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen wurden.

Ausweislich ihrer zusammen mit der Körperschaftsteuererklärung für 2002 beim Beklagten eingereichten Gewinnermittlung für 2002 erzielte die Klägerin Überschüsse aus zahlreichen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, u.a. auch aus folgenden:

  • Gästeessen und Gästeübernachtung
  • Werbeerträge aus der Hauszeitung
  • Lieferung Gas, Strom und Wasser an Dritte
  • Bäderbetrieb (Nutzung durch Dritte)

In der am 16. August 2004 beim Beklagten eingegangenen Gewerbesteuererklärung für 2002 beantragte die Klägerin die Gewerbesteuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 20 Buchst. c) bzw. d) GewStG für die Überschüsse aus den vorstehend aufgeführten wirtschaftlichen Gesc...

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