Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu Zeiten des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters entstehende Umsatzsteuerverbindlichkeiten als nur quotal zu befriedigende Insolvenzforderung oder als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ohne eine explizit die Anwendung des § 17 UStG bestimmende gesetzliche Regelung ist es nicht möglich, bei Anordnung des Insolvenzeröffnungsverfahrens, davon auszugehen, dass eine (Steuer-) Forderung durch bloße Veränderungen in der Gläubigerstellung und ohne Zutun des Schuldners uneinbringlich i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG werden soll mit der Konsequenz der Berichtigungspflicht auf beiden Seiten der Umsatzbeteiligten. Dies entspricht weder dem Wortsinn des Begriffs „Uneinbringlichkeit” noch dem Zweck des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG (entgegen z.B. BFH v. 24.9.2014, V R 48/13; Anschluss an das FG Berlin-Brandenburg v. 2.4.2014, 7 K 7337/12). Die Qualifizierung offener Steuerforderungen – im Gegensatz zu offenen Forderungen anderer Gläubiger – als bevorrechtigte Masseforderungen (sog. Fiskus-Privileg) bedarf einer eindeutigen gesetzlichen Regelung und lässt sich nicht über die Korrekturvorschrift des § 17 UStG lösen.

2. Ob Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die im Rahmen der vorläufigen Verwaltung bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die seitens des Gemeinschuldners erfolgte Fortführung des Geschäftsbetriebs entstehen, Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO begründen, ist aufgrund der dem vorläufigen Insolvenzverwalter zustehenden rechtlichen Befugnisse zu beurteilen. Wird der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt vom Insolvenzgericht zum Forderungseinzug ermächtigt, kann mit der Entgeltvereinnahmung eine Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO entstehen. Dabei ist nicht zwischen Lieferungen und Dienstleistungen zu unterscheiden.

 

Normenkette

UStG § 17 Abs. 2 Nr. 1; InsO § 55 Abs. 4, § 38; UStG § 3 Abs. 1, 9; MwStSystRL Art. 90

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 01.03.2016; Aktenzeichen XI R 9/15)

BFH (Urteil vom 01.03.2016; Aktenzeichen XI R 9/15)

 

Tenor

Der Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Mai 2012 vom 18.09.2012 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13.05.2013 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit Beschluss des Amtsgerichts B. (36 IN 2…/12) vom 14.05.2012 wurde der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der C. GmbH bestellt und gemäß § 21 Insolvenzordnung (InsO) angeordnet, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind und der Schuldnerin insbesondere die Einziehung von Außenständen untersagt ist. Zugleich wurde der vorläufige Insolvenzverwalter ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder und Schecks entgegenzunehmen. Die Gemeinschuldnerin führte den Geschäftsbetrieb im Rahmen der vorläufigen Verwaltung bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 25.06.2012 fort. Die in der Zeit vom 14. bis 31.05.2012 ausgeführten Umsätze wurden unter der Alt-Steuernummer der Gemeinschuldnerin vorangemeldet, es ergab sich eine verbleibende Umsatzsteuer-Vorauszahlung von 3.059,54 EUR. Mit Bescheid vom 18.09.2012 setzte der Beklagte die angemeldeten Beträge hingegen unter der Masse-Steuernummer gegenüber der Insolvenzmasse fest. Der hiergegen eingelegte Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger geltend, er habe entgegen der Auffassung des Beklagten keine Umsatzsteuerverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 4 InsO begründet, da er als vorläufiger Insolvenzverwalter die Ausgangsleistungen nicht selbst erbracht habe. Diese seien vielmehr weiterhin durch die Gemeinschuldnerin gegenüber den Auftraggebern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erbracht worden, da insoweit die allgemeine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die spätere Insolvenzmasse noch nicht auf ihn – den Kläger – übergegangen gewesen sei und ihm auch keine weitergehenden partiellen Rechte durch das Insolvenzgericht zugesprochen worden seien. Der in § 55 Abs. 4 InsO verwandte Begriff der „Zustimmung” betreffe nur Verbindlichkeiten, die Verfügungen zum Gegenstand hätten, also zu einer Verschaffung der Verfügungsmacht im Sinne des § 3 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) führten. Dies ergebe sich aus § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Fall InsO, wonach Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam seien. Hingegen seien Rechtsgeschäfte wie im Streitfall, denen sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG zu Grunde lägen, nicht zustimmungsfähig.

Andere Schlüsse seien auch nicht aus der Gesetzesbegrü...

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