Entscheidungsstichwort (Thema)

Unionsrechtliche Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen der freien Mitarbeiter des Besucherdienstes beim Deutschen Bundestag

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Leistungen, die ein freier Mitarbeiter des Besucherdienstes beim Deutschen Bundestag auf Honorarbasis gegenüber der BRD erbringt, indem in einer Vielzahl alters- und zielgruppengerechter Veranstaltungen (in Vorträgen, Parlamentsseminaren und Führungen) staatpolitische und historische Themen zumindest auf dem Niveau eines Schulunterrichts z.B. für Schulen, Universitäten, Bundeswehr, Ausbilder, Lehrer präsentiert und im Bereich der Liegenschaften des Deutschen Bundestages dessen Gäste u.a. über die deutsche Parlamentsgeschichte, über Funktion, Struktur und Arbeitsweise der deutschen Volksvertretung sowie über die demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse informiert, werden bei der gebotenen Gesamtwürdigung ungeachtet ihrer sozialrechtlichen Einordnung als Arbeitnehmertätigkeit und der Vorgaben des Bundestages als Leistungsempfänger hinsichtlich des Leistungsortes, der Leistungszeit und des thematischen Rahmens für die Leistungen selbstständig und damit unternehmerisch i. S. d. § 2 Abs. 1 UStG ausgeübt, wenn der freie Mitarbeiter u. a. seine Einsatzzeiten selbst frei bestimmen kann und eine Vergütung nur für tatsächlich erbrachte Einsätze, nicht aber bei Erkrankung oder Urlaub erhält.

2. Diese Leistungen können zwar nicht nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL bzw. nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j Richtlinie 77/388/EWG, dafür aber nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL bzw. nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei sein, wenn die Vermittlung von Kenntnissen im Bereich Geschichte und Sozialkunde zumindest auf dem Niveau eines Schulunterrichts im Vordergrund steht.

 

Normenkette

MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. i, j; RL (EG) 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. i, j; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i, j; UStG § 4 N. 21 Buchst. b, § 2 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 10.08.2016; Aktenzeichen V R 38/15)

 

Tenor

Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 30.11.2012 und Änderung der Umsatzsteuerbescheide 2003 bis 2010, jeweils vom 09.10.2012, wird die Umsatzsteuer 2003 bis 2006 und 2008 bis 2010 auf 0,00 EUR und die Umsatzsteuer 2007 auf 133,00 EUR festgesetzt.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Streitig ist die Steuerbarkeit und Steuerpflicht von Dozentenleistungen des Klägers für den Besucherdienst des Deutschen Bundestages in den Streitjahren 2003 bis 2010.

Neben einer Tätigkeit als selbständiger Immobilienmakler wurde der Kläger im Rahmen des Besucherdienstes des Deutschen Bundestags tätig.

Grundlage der Tätigkeit waren Rahmenverträge zwischen dem Kläger und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, dieser vertreten durch den Direktor beim Deutschen Bundestag (exemplarisch hat der Kläger den ab 01.10.2010 gültigen Rahmenvertrag – RV 2010 – eingereicht, Bl. 21ff. der Gerichtsakte – GA –). Darin wird der Kläger als „Auftragsnehmer (AN)” bezeichnet, die Bundesrepublik als „Auftraggeberin (AG)”. In § 1 RV 2010 heißt es, der Kläger betreue eigenverantwortlich nach Maßgabe einzelner Vereinbarungen zwischen ihm und der AG als freier Mitarbeiter im Rahmen der politischen Bildung Besucher- und Seminargruppen sowie Einzelbesucher, in der Regel in den Liegenschaften des Deutschen Bundestages in Berlin. Der Kläger nehme die Aufgaben in fachlicher Selbständigkeit ohne Bindungen an Weisungen der AG wahr. In § 2 RV 2010 ist geregelt, die AG erteile dem Kläger jeweils Einzelaufträge, und der Kläger sei frei, diese abzulehnen oder anzunehmen, müsse sich aber unverzüglich zur Annahme oder Ablehnung erklären und eine eventuelle Verhinderung, einen angenommenen Auftrag auszuführen, unverzüglich anzeigen. Der Rahmenvertrag gewähre dem Kläger keinen Anspruch auf Erteilung von Aufträgen, insbesondere einer bestimmten Zahl oder Häufigkeit von Aufträgen. In § 3 RV 2010 ist ein pauschales Stundenhonorar von 40,00 EUR (brutto) bzw. 60,00 EUR für 90 Minuten und bei Überschreitung der vereinbarten Regelzeit 20,00 EUR pro halbe Stunde vereinbart. Zudem finden sich dort Regelungen zur Erstattung von Reisekosten. Regelungen zu zusätzlichen Leistungen wie Urlaubsgeld oder Zuschüssen zu den Kosten der Renten- und Krankenversicherung enthält der Vertrag nicht. In § 3 Abs. 4 RV 2010 heißt es, die steuerlichen Verpflichtungen aus der Honorarzahlung (insbesondere Umsatzsteuer) lägen beim Kläger. Nach § 4 RV 2010 haben beide Vertragspartner ein ordentliche...

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