Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlaubt Art. 52 EGV die in § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 2 EStG angeordnete partielle Höherbesteuerung der Einkünfte von beschränkt Steuerpflichtigen, die dem Steuerabzug unterworfen werden, im Vergleich zu Inlandsansässigen und anderen beschränkt Steuerpflichtigen, bei denen Einkommensteuerveranlagungen durchgeführt werden?

 

Leitsatz (redaktionell)

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) wird gemäß Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d. Fassung des Vertrages von Amsterdam (EGV n.F.) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verstößt es gegen Art. 52 EGV a.F. (= Art. 43 EGV n.F.), daß nach § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 sowie Satz 2 des Einkommensteuergesetzes i.d. Fassung von 1996 (EStG 1996) ein niederländischer Staatsangehöriger, der in der Bundesrepublik Deutschland steuerpflichtige Nettoeinkünfte aus selbständiger Tätigkeit im Kalenderjahr in Höhe von rund 5.000,00 DM erzielt, einem Steuerabzug in Höhe von 25 v.H. der (Brutto-)Einnahmen von rund 6.000,00 DM zuzüglich Solidaritätszuschlag durch den Schuldner der Honorarvergütung unterliegt und er keine Möglichkeit hat, die gezahlten Abgaben im Wege eines Erstattungsantrags oder eines Antrags auf Steuerveranlagung ganz oder teilweise zurückzuerlangen?

 

Normenkette

EWGVtr Art. 52; EStG § 50a Abs. 4 S. 1 Nr. 1, S. 2

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 12.06.2003; Aktenzeichen C-234/01)

 

Tatbestand

Der alleinstehende Kläger ist niederländischer Staatsangehöriger und hatte im Streitjahr 1996 in der Bundesrepublik Deutschland weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt inne (vgl. §§ 8 und 9 der Abgabenordnung - AO - 1977). Am 25. April 1996 hatte er einen Auftritt als selbständig tätiger Schlagzeuger bei einem Radiosender in Berlin. Der Radiosender behielt von dem vereinbarten Honorar (6.007,55 DM) einen Anteil 25 v.H. (= 1.501,89 DM) als pauschale Einkommensteuer sowie zusätzlich den Solidaritätszuschlag hierauf (= 112,64 DM) ein und führte diese Beträge an das örtlich zuständige Finanzamt ab. Er berief sich bei seinem Vorgehen auf § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 EStG 1996 sowie auf § 2 Nr. 1 i.V. mit § 3 Abs. 1 Nr. 6 des Solidaritätszuschlaggesetzes (SolZG) 1995. Der Kläger erzielte im Streitjahr 1996 außerdem noch Einkünfte in Höhe von insgesamt mehr als 12.000,00 DM in seinem Wohnsitzstaat Niederlande und in Belgien (nach Abzug von Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben; die Bruttoeinnahmen betrugen rund 55.000,00 DM).

Am 4. September 1998 reichte der Kläger beim Beklagten als dem hierfür örtlich zuständigen Finanzamt in Berlin eine Einkommensteuererklärung nebst Einnahme- Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG 1996 ein, wonach der Gewinn aus seiner selbständigen Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland nach Abzug von näher spezifizierten Betriebsausgaben (968,00 DM) 5.039,55 DM betrage. Der Beklagte prüfte die Möglichkeit einer sog. Antragsveranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG 1996. Diese Vorschrift war aber wegen Überschreitung der Grenze für die weiteren ausländischen Einkünfte (Obergrenze: 12.000,00 DM Nettoeinkünfte, vgl. Heinicke, in: Schmidt, EStG, 20. Aufl., § 1 Rz. 55 m.w.N.) nicht anwendbar. Er lehnte deshalb eine Einkommensteuerveranlagung mit Bescheid vom 3. Dezember 1998 unter gleichzeitigem Hinweis auf § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG 1996 ab. Der Einspruch, den der Kläger auf eine Verletzung des EGV stützte, hatte keinen Erfolg.

Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, daß er nach der sog. „Biehl-Entscheidung“ des EuGH einen Anspruch auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung habe, weil ein (unbeschränkt steuerpflichtiger) Inländer in vergleichbarer Situation wegen des in die Einkommensteuer-Grundtabelle (§ 32a Abs. 4 EStG 1996) eingearbeiteten sog. Grundfreibetrags in Höhe von 12.095,00 DM (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 1996) keine Ertragsteuern entrichten müsse (Urteil vom 8. Mai 1990 Rs C 175/88, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1991, 454). Bei der demnach durchzuführenden Veranlagung sei der durch § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 1996 angeordnete Mindeststeuersatz von 25 v.H. für sog. beschränkt Steuerpflichtige wie den Kläger wegen Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 52 EGV a.F. (EuGH-Urteil vom 27. Juni 1996 Rs. C 107/94, DStR 1996, 1085, „Asscher-Entscheidung“) nicht anwendbar. Schließlich habe bereits der Bundesfinanzhof - BFH - in einem Verfahren betr. die Aussetzung der Vollziehung die Vereinbarkeit des § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 1998 mit dem Gemeinschaftsrecht als „ernstlich zweifelhaft“ angesehen (Beschluss vom 5. Februar 2001 I B 140/00, DStR 2001, 485).

Der Beklagte (= Finanzamt - FA -) verweist darauf, daß der Gesetzgeber unstreitig durch verschiedene Änderungen des EStG auf die Rechtsprechung des EuGH reagiert hat. So ist im Rahmen des Jahressteuergesetzes 1995 § 1 Abs. 3 und § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG novelliert und damit der „Biehl-Entscheidung“ sowie dem EuGH-Urteil vom 14. Februar 1995 zur Arbeitnehmerbesteuerung bei grenzübersc...

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