Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschränkter Abzug von Vorsorgeaufwendungen. Erweiternde Auslegung eines Vorläufigkeitsvermerks im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden. Ablehnung des Antrags auf Änderung des Einkommensteuerbescheids 2001 nach § 165 Abs. 2 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Erfolgt die Festsetzung der Einkommensteuer vorläufig im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen, so ist der Vorläufigkeitsvermerk dahin auszulegen, dass er sich auch auf die Frage erstreckt, ob bei zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehegatten der Kürzung des Vorwegabzugs auch der Arbeitslohn des Ehegatten zugrunde zu legen ist, bei dem die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG nicht vorliegen.

2. Der Vorläufigkeitsvermerk ist auslegungsfähig, weil dessen Wortlaut im Hinblick auf die uneingeschränkte Zitierung des § 10 Abs. 3 EStG nicht so eindeutig ist, dass eine erweiternde Auslegung hierdurch ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 165 Abs. 1; EStG 1997 § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2; BGB § 133

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 31.05.2006; Aktenzeichen X R 9/05)

 

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 10. September 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 2002 verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid vom 11. Juli 2002 so abzuändern, dass die festgesetzte Einkommensteuer für das Jahr 2001 um 1317,– EUR vermindert wird.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Anschrift: Finanzgericht Baden-Württemberg – Außenstelle Karlsruhe –, Postfach 10 01 08, 76231 Karlsruhe

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Tatbestand

Die Kläger (Kl.) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie bezogen im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wobei der Arbeitslohn der Kl. zu 2 – anders als der des als Gesellschafter-Geschäftsführer tätigen Kl. zu 1 – der Sozialversicherungspflicht unterlag. Der Kl. zu 1 hat im streitgegenständlichen Zeitraum unstreitig keine steuerfreien Zukunftssicherungsleistungen seines Arbeitgebers erhalten.

In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kl. Vorsorgeaufwendungen einschließlich des Arbeitnehmeranteils in Höhe von insgesamt 23.238,– DM geltend. Der Beklagte (Bekl.) berücksichtigte mit Einkommensteuerbescheid vom 11. Juli 2002 hiervon lediglich 7.830,– DM als Sonderausgaben. In den Erläuterungen hierzu heißt es, dass der Vorwegabzug für die Vorsorgeaufwendungen gekürzt worden sei, weil nicht der gesamte Arbeitslohn beider Ehegatten die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG erfüllt habe. Der Bescheid sei im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren vorläufig hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG).

Mit am 04. September 2002 beim Bekl. eingegangenem Schreiben beantragten die Kl. die Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 11. Juli 2002 nach § 165 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Bei der Steuerfestsetzung sei in die Kürzung des Vorwegabzugs auch der Bruttoarbeitslohn des nicht sozialversicherungspflichtigen Kl. zu 1 aufgenommen worden. Die entsprechende Regelung in Abschnitt 106 der Einkommensteuerrichtlinien (EStR) 2001 sei durch § 10 Abs. 3 EStG nicht gedeckt. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG sei eine Kürzung nur vorzunehmen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG erbracht würden. Eine Übertragung auf beide Ehegatten sei hieraus nicht abzuleiten.

Der Bekl. lehnte eine Abänderung des Einkommensteuerbescheids mit Bescheid vom 10. September 2002 ab. Bei zusammen veranlagten Ehegatten sei auch dann die Kürzung des Vorwegabzugs vom zusammengerechneten vollen Arbeitslohn beider Ehegatten vorzunehmen, wenn nur für einen Ehegatten die Voraussetzungen der Kürzung des Vorwegabzugs vorlägen. Die betroffenen Fälle würden nicht vom allgemeinen Vorläufigkeitsvermerk in den Einkommensteuerbescheiden „Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG)” (siehe das BMF-Schreiben vom 29. Juni 2001, BStBl. 2001 I S. 414) erfasst, weil es sich nicht um eine verfassungsrechtliche Frage handle. Da der Bescheid mit Ablauf des 14. August 2002 in Bestandskraft erwachsen sei, könne eine Änderung nicht mehr erfolgen.

Die Kl. erhoben hiergegen am Montag, den 14. Oktober 2002, Einspruch, den sie damit begründeten, dass sich die im Bescheid ausgewiesene Vorläufigkeit auch auf die Höchstbetragsberechnung bei den Vorsorgeaufwendungen beziehe. Darunterfalle auch die gesetzlich nicht geänderte und nicht ersichtliche Beschränkung des Vorwegabzugs, wenn nur ein Ehegatte sozialversicherungspflichtig sei.

Mit Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 2002 hat der Bekl. den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2001...

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