rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit für die Durchführung einer Außenprüfung bei natürlicher Person. Voraussetzung für das Vorliegen eines Familienwohnsitzes. Treu und Glaube hinsichtlich der Berufung auf die Unzuständigkeit der Finanzbehörde bei Einreichung der Einkommensteuererklärungen bei unzuständigem Finanzamt

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zuständig für die Durchführung der Außenprüfung bei einer natürlichen Person ist die für die Besteuerung nach dem Einkommen und Vermögen zuständige Finanzbehörde am Familienwohnsitz.

2. Maßgeblich für die Bestimmung des Familienwohnsitzes sind die Wohnverhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses der Prüfungsanordnung und nicht die Verhältnisse während des jeweiligen Veranlagungszeitraums.

3. Der Annahme des Familienwohnsitzes nach § 19 Abs. 1 Satz 2 2. HS AO steht nicht entgegen, dass die Kinder des Steuerpflichtigen zum Zeitpunkt des Erlasses der Prüfungsanordnung bereits volljährig sind und nicht mehr im elterlichen Haushalt leben.

4. Die Einreichung von Steuererklärungen bei einem örtlich unzuständigen Finanzamt ist nicht als Einverständniserklärung des Steuerpflichtigen zu einer Zuständigkeitsvereinbarung i. S. des § 27 AO zu qualifizieren.

5. Die BpO ist als bloße Verwaltungsregelung nicht geeignet, eine Zuständigkeitsregelung zu treffen, sondern setzt die Erfüllung der formellgesetzlich geregelten Zuständigkeitsvoraussetzungen voraus.

6. § 127 AO ist auf die Ermessensvorschriften der §§ 193 bzw. 194 AO nicht anwendbar.

7. Der Grundsatz von Treu und Glauben steht der Berechtigung, sich auf die örtliche Unzuständigkeit der Finanzbehörde für den Erlass der Prüfungsanordnung zu berufen, auch dann nicht entgegen, wenn der Steuerpflichtige seine Einkommensteuererklärung unter Angabe eines falschen Wohnsitzes bei der unzuständigen Finanzbehörde einreicht, dieser jedoch bereits vor Erlass der Prüfungsanordnung die tatsächlichen Wohnverhältnisse bekannt geworden sind.

 

Normenkette

AO §§ 195, 19 Abs. 1 Sätze 1-2, § 21 Abs. 1 S. 1, § 22 Abs. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 2, §§ 10, 27, 127

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 14.01.2010; Aktenzeichen VIII B 104/09)

BFH (Beschluss vom 14.01.2010; Aktenzeichen VIII B 104/09)

 

Tenor

1. Die Prüfungsanordnung des Beklagten vom 11. Dezember 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 14. März 2007 werden aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die Bestimmung des Prüfungsbeginns vom 11. Dezember 2006 auf den 18. Dezember 2006 rechtswidrig war.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

5. Das Urteil ist wegen der den Klägern zu erstattenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Betragen diese nicht mehr als 1.500 EUR ist das Urteil hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann in diesem Fall die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des mit Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Übersteigt der Kostenerstattungsanspruch den Betrag von 1.500 EUR, ist das Urteil wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Erstattungsbetrags vorläufig vollstreckbar.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig sind die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung (PA) sowie der Bestimmung des Prüfungsbeginns.

Seit dem Jahr 2002 führt der Beklagte (Bekl) bei den Klägern (Kl) eine Außenprüfung (AP) für die Jahre 1996 bis 2000 durch. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Nach Aktenlage verfügte er am 30. Oktober 2006 den Erlass einer PA, wonach für die Jahre 2001 bis 2004 die Einkommensteuer einschließlich gesonderter Feststellungen, die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer geprüft werden sollten. Als voraussichtlicher Beginn der Prüfung war der 11. Dezember 2006, 8:00 Uhr, angegeben. Als Prüfer waren die Betriebsprüfer A und B sowie der EDV-Fachprüfer C und der Auslandsfachprüfer der Oberfinanzdirektion D vorgesehen. Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Kl auf telefonische Nachfrage des Bekl vom 7. Dezember 2006 erklärt hatte, eine PA vom 30. Oktober 2006 sei den Kl nicht zugegangen, erließ der Bekl am 11. Dezember 2006 eine PA über dieselben Prüfungsgegenstände und Besteuerungszeiträume wie in der PA vom 30. Oktober 2006 und bestimmte den voraussichtlichen Prüfungsbeginn auf den 18. Dezember 2006, 8.30 Uhr. Die PA enthielt den folgenden Zusatz:

„Diese Prüfungsanordnung ersetzt die Prüfungsanordnung vom 30.10.2006. Da seitens Ihres steuerlichen Beraters, Herrn G, am 7.12.2006 auf Nachfrage telefonisch vorgetragen wurde, dass die Prüfungsanordnung vom 30.10.2006 nicht zugegangen sei, ist eine erneute angemessene Bekanntgabefrist im Sinne von § 5 Abs. 4 BpO in Verbindung mit § 197 Abs. 1 Satz 1 AO nicht erforderlich. Die Kanzlei der Betriebsprüfungshauptstelle des Finanzamts Y hat das ordnungsgemäße Absenden der oben genannten Prüfungsanordnung vom 30. ...

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