Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen bei Buchung eines Hausnotrufsystems durch eine in einem eigenen Haushalt lebende Steuerpflichtige

 

Leitsatz (redaktionell)

Bucht eine alleinstehende, in einem eigenen privaten Haushalt lebende Rentnerin ein Notrufsystem, wodurch sie in Notsituationen (Sturz, Übelkeit etc.) rasch Hilfe durch den automatisch informierten Notdienst erhält, kann sie für die Aufwendungen die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen in Anspruch nehmen.

 

Normenkette

EStG § 35a Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 15.02.2023; Aktenzeichen VI R 14/21)

 

Tenor

1. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidungen vom 29. August 2019 werden die Einkommensteuerbescheide für 2016 (zuletzt vom 17.07.2018) und 2017 (vom 18.03.2019) dahingehend geändert, dass haushaltsnahe Dienstleistungen in Höhe von 477,60 EUR in 2016 und in Höhe von 502 EUR in 2017 nach § 35a Abs. 2 EStG – Verminderung der tariflichen Einkommensteuer um 20 % der Aufwendungen – anerkannt werden.

2. Dem Beklagten wird aufgegeben, die geänderte Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen, ferner den Klägern das Ergebnis dieser Berechnung unverzüglich mitzuteilen und den Bescheid mit dem geänderten Inhalt nach Rechtskraft dieses Urteils neu bekanntzugeben.

3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

5. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat die Klägerin in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Klägerin nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat, §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

6. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist 1939 geboren und vollendete im Streitjahr 2016 ihr 77. Lebensjahr. Sie ist seit 2012 verwitwet und wohnt in einem eigenen Haushalt. In den Streitjahren 2016 und 2017 war sie einem Hausnotrufsystem angeschlossen.

Mit Bescheid vom 21.11.2017 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2016 auf 440,00 EUR fest. Mit Änderungsbescheid vom 17.07.2018 wurde ein nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderter Einkommensteuerbescheid erlassen, in dem die Steuerfestsetzung auf 915,00 EUR erhöht wurde.

Mit Schreiben vom 06.11.2018 beantragte die Klägerin nachträglich, Aufwendungen für das Hausnotrufsystem in Höhe von 477,60 EUR im Rahmen der Begünstigung des § 35a Einkommensteuergesetz (EStG) zu berücksichtigen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte zunächst mit Bescheid vom 14.11.2018 mangels Eingreifens einer Änderungsvorschrift ab.

Den hiergegen am 28.11.2018 eingelegten Einspruch begründete die Klägerin damit, dass § 173 AO mangels groben Verschuldens nicht eingreife. Diesem Vortrag schloss sich der Beklagte zwar an, lehnte jedoch mit Schreiben vom 20.12.2018 die Berücksichtigung der Aufwendungen für das Hausnotrufsystem gleichwohl mit der Begründung ab, dass diese nach § 35a EStG nur dann begünstigt seien, wenn diese innerhalb eines „Betreuten Wohnens” in einer Senioreneinrichtung anfallen. Aufwendungen außerhalb des sog. „Betreuten Wohnens” seinen nicht begünstigt. Zur Begründung verwies der Beklagte auf das Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen (BMF-Schreiben) v. 09.11.2016, Bundessteuerblatt (BStBI) I 2016, 1213, Tz. 11, und das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 03.09.2015 – VI R 18/14 (BStBI II 2016, 272 = BFHE 251, 435).

Entsprechend erging mit Datum vom 29.08.2019 eine abschlägige Einspruchsentscheidung.

Mit ihrer Einkommensteuererklärung 2017 machte die Klägerin wiederum Aufwendungen in Höhe von 502,00 EUR für den Hausnotruf als Aufwendungen nach § 35a Abs. 2 EStG geltend.

Der Beklagte berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid vom 18.03.2019 sowie in der aufgrund des Einspruchs vom 21.03.2019 ergangenen Einspruchsentscheidung vom 29.08.2019 die Aufwendungen wiederum nicht. Die Begründung erfolgte gleichlautend wie für das Jahr 2016.

Hiergegen wendet sich die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigten, mit der vorliegenden Klage.

Zur Begründung wird vorgetragen, dass für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen, die nicht Handwerkerleistungen nach Absatz 3 seien, sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 Prozent, höchstens 4.000 Euro, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen vermindere.

Haushaltsnahe Leistungen seien solche, die eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung hätten bzw. damit im Zusammenhang stünden. Dazu gehörten Tätigkeiten, die gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechend Beschäftigte erledigt würden und in regelmäßigen Abständen anfielen[1].

Die Steuerermäßi...

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