Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausfuhrgenehmigung. Anwendung der Bagatellregelung des Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 2 der VO Nr. 116/2009 bei der Ausfuhr von Münzen und Medaillen von geringem Wert. Zulässigkeit der Klage bei Nachholung der Einspruchsentscheidung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Unterfallen zur Ausfuhr angemeldete mehr als 100 Jahre alte Münzen und Medaillen dem Schutzbereich der Verordnung Nr. 116/2009 über die Ausfuhr von Kulturgütern, ist der Ausfuhranmeldung grundsätzlich eine Ausfuhrgenehmigung beizufügen.

2. Die Verordnung Nr. 116/2009 über die Ausfuhr von Kulturgütern stellt nicht nur solche archäologischen Gegenstände unter Schutz, die unmittelbar aus Grabungen stammen, sondern auch solche, die ursprünglich von einer solchen Herkunft waren und sich im Handel befinden.

3. Antike Münzen fallen unter den Begriff der archäologischen Gegenstände, die von der Verordnung Nr. 116/2009 erfasst werden. Eine archäologische Relevanz der Gegenstände ist keine Voraussetzung für die Anwendung des Schutzbereichts.

4. Bei Münzen mit einem Alter zwischen 1500 und 2400 Jahren spricht der erste Anschein dafür, dass diese aus Grabungen und nicht aus einer historischen Sammlung stammen.

5. Sind zur Ausfuhr angemeldete Münzen, die nicht durch das Kulturschutzgesetz gegen Abwanderung geschützt sind, offensichtlich von beschränktem archäologischen und wissenschaftlichen Wert, liegt es nach der Bagatellregelung des Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 116/2009 im Ermessen des Hauptzollamts, ob eine Ausnahme von der Ausfuhrgenehmigungspflicht zu machen ist. Dabei ist auch das Grundrecht auf freie Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG zu beachten.

6. Ist sich das Hauptzollamt der Möglichkeit einer Ermessenentscheidung bei der Genehmigung der Ausfuhr nicht bewusst, ist seine Entscheidung wegen Ermessensunterschreitung ermessensfehlerhaft.

7. Eine Klageerhebung ist auch vor Beendigung des außergerichtlichen Vorverfahrens möglich, wenn die Entscheidung über den Einspruch während des Klageverfahrens nachgeholt wird.

 

Normenkette

ZK Art. 62-63; ZKDV Art. 221 Abs. 1; Verordnung Nr. 116/2009 Art. 1, 2 Abs. 2 Unterabs. 2; KultgSchG § 1; GG Art. 12 Abs. 1; FGO §§ 40, 44 Abs. 1

 

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 4. November 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Juli 2009 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senates erneut zu bescheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger und dem Beklagten je zu 1/2 auferlegt.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Annahme einer Ausfuhranmeldung für antike Münzen ohne Vorlage einer Ausfuhrgenehmigung.

Mit Ausfuhranmeldung … meldete der Kläger am 31. Oktober 2008 32 Münzen und Medaillen mit einem Gesamtwert von 3.900 EUR beim Zollamt X des beklagten Hauptzollamts (HZA) zur Ausfuhr an, die in einer Anlage zur Anmeldung, in der auch andere Münzen auflistet waren, genau bezeichnet und gelb markiert waren. In Feld 44 der Ausfuhranmeldung trug er die Codierung „Y903” ein, nach der die angemeldeten Gegenstände nicht in der Liste der Kulturgüter enthalten sind. Nach den Angaben in der Anlage zur Ausfuhranmeldung sind die Münzen und Medaillen etwa 1500 bis 2400 Jahre alt und zwischen 50 und 400 EUR wert. Einzelne Münzen werden als „selten”, „sehr selten” und „äußerst selten” bezeichnet. Wegen der Einzelheiten verweist der Senat auf die Ausfuhranmeldung mit Anlage (siehe dort z.B. lfd. Nrn. 58, 64, 68 und 69). Die abfertigenden Beamten gingen aufgrund des Alters und der Art der Münzen und Medaillen davon aus, dass es sich hierbei um Kulturgüter im Sinne des Art. 1 i. V. m. Anhang A. Nr. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 des Rates vom 9. Dezember 1992 über die Ausfuhr von Kulturgütern (Amtsblatt der EG L 395 vom 31. Dezember 1992, S. 1 – 5, im Folgenden Verordnung Nr. 3911/92) handelte. Da der Kläger keine Ausfuhrgenehmigung vorlegte, lehnte das HZA – Zollamt X – mit Bescheid vom 4. November 2008 die Annahme der Ausfuhranmeldung für die Münzen und Medaillen ab.

Mit Schreiben vom 12. November 2008 ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Einspruch einlegen und ausführen, das HZA dürfe für die Ausfuhr dieser Münzen keine Ausfuhrgenehmigung verlangen. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2008 teilte das beklagte HZA dem Klägervertreter mit, nach Auskunft des Landesmuseums Y als zuständige Behörde seien sämtliche genannten Münzen und Medaillen als Kulturgüter im ...

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