Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlass von bestandskräftig festgesetzter, aber noch nicht gezahlter Umsatzsteuer wegen geänderter Rechtsprechung. Umsatzsteuer 1989–1991

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Klagt eine GmbH wegen der Befreiung ihrer Umsätze nach § 4 Nr. 14 UStG und nimmt sie die Klage nach einem Hinweis des FG, die Klage wegen ihrer Rechtsform abweisen zu wollen, zurück, sind diese Umstände im Rahmen der Ermessensentscheidung wegen des Erlasses der nach der Änderung der Rechtsprechung – Rechtsformunabhängigkeit der Umsatzsteuerbefreiung nach dieser Vorschrift – durch den BFH mit Urteil v. 4.3.1998, XI R 53/96 (BStBl II 2000, 13) materiellrechtlich zu Unrecht festgesetzten Umsatzsteuer zu berücksichtigen.

2. Wendet das FA eine geänderte Rechtsprechung nur noch in allen offenen Fällen an, ist die geänderte Rechtslage auch in den Fällen zu berücksichtigen, in denen die festgesetzte Steuer noch nicht beglichen worden ist.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 14; AO 1977 §§ 227, 5; FGO §§ 72, 102

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 13.01.2005; Aktenzeichen V R 35/03)

 

Tenor

1. Der ablehnende Verwaltungsakt vom 06.02.2001 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 22.03.2001 werden aufgehoben. Das beklagte Finanzamt wird verpflichtet, über den Erlassantrag unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Finanzgerichts neu zu befinden.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt das beklagte Finanzamt.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Ablehnung des Antrags auf Erlass von Umsatzsteuer-Schulden für die Kalenderjahre 1989 bis 1991 ermessensfehlerfrei gewesen ist.

Die Klägerin betrieb in den Streitjahren in der Rechtsform einer GmbH eine …. Bei der Durchführung der Umsatzsteuer-Veranlagungen 1989 und 1990 schätzte das beklagte Finanzamt – FA– die Umsätze anhand der in den Bilanzen ausgewiesenen Erlöse, da die Klägerin für 1989 keine Umsatzsteuer-Erklärung abgegeben und in der Umsatzsteuer-Erklärung 1990 keine steuerpflichtigen Umsätze erklärte hatte. Gegen die am 26.06.1992 ergangenen Umsatzsteuer-Bescheide für 1989 und 1990 legte die Klägerin Einsprüche ein, die vom FA mit Einspruchsentscheidung vom 20.11.1992 als unbegründet zurückgewiesen wurden, da die Umsätze der Klägerin nicht unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) fallen würden. Die gegen diese Einspruchsentscheidung beim FG Baden-Württemberg erhobene Klage vom 10.12.1992 wurde am 30.03.1993 zurückgenommen.

Ein am 28.05.1993 gestellter Erlassantrag bezüglich der Umsatzsteuer 1989 und 1990 wurde vom FA mit Bescheid vom 29.06.1993 abgelehnt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde der Oberfinanzdirektion … zur Entscheidung vorgelegt. Nachdem die OFD der Klägerin mitgeteilt hatte, dass sie die Rechtsauffassung des FA teile, verzichtete die Klägerin auf eine förmliche Beschwerdeentscheidung.

In der am 08.12.1993 eingereichten Umsatzsteuer-Erklärung für 1991 wurden steuerpflichtige Umsätze in Höhe von …,– DM erklärt. Der Umsatzsteuer-Bescheid 1991 erging mit Datum 07.01.1994.

Mit Schreiben vom 17.12.1998 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 04.03.1998, XI R 53/96, BStBl II 2000, 13, den Erlass der Umsatzsteuer mit den steuerlichen Nebenleistungen aus sachlicher Unbilligkeit. Zur Begründung wurde vorgetragen, die Klägerin habe ausschließlich Umsätze aus der Massagepraxis erzielt. Bei der Erstellung der Umsatzsteuer-Erklärungen 1989 und 1990 sei von der Steuerfreiheit dieser Umsätze gemäß § 4 Nr. 14 UStG ausgegangen worden. Das FA habe jedoch die Auffassung vertreten, dass diese Befreiung bei der GmbH nicht gegeben ist, da diese keine Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erziele. Im Urteil vom 04.03.1998 habe der BFH nun klargestellt, dass § 4 Nr. 14 UStG keine Bindung an die ertragsteuerliche Qualifizierung zu entnehmen sei. Bei einer GmbH könnten vielmehr steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 14 UStG vorliegen, solange das Unternehmen unter direkter Weisung oder Einflussnahme einer spezifischen, fachlichen oder behandlungsbezogenen Leitung tätig sei. Im Streitfall seien diese Voraussetzungen gegeben, so dass für die Umsätze der Klägerin die Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 14 UStG damals gegeben gewesen sei.

Das FA stellte den Erlassantrag bis zum Ergehen einer bundeseinheitlichen Regelung zur Anwendung des BFH-Urteils vom 04.03.1998 zunächst zurück.

Da nach dem BMF-Schreiben vom 28.02.2000, (BStBl I 2000, 433) das BFH-Urteil vom 04.03.1998 nur noch in allen noch offenen Fällen anzuwenden ist, lehnte das FA mit Bescheid vom 06.02.2001 den begehrten Erlass der zwischenzeitlich festsetzungsverjährten Umsatzsteuern 1989 bis 1991 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Umstand, dass Steuerfestsetzungen im Widerspruch zu einer späteren Rechtsprechung stehen, rechtfertige nicht den Erlass von Steuern. Der Grundsatz der Rechtssicherheit habe Vorrang gegenüber der sachlichen Richtigkeit in Fällen, in denen das Festsetzungsverfahren bereits rechts...

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