Entscheidungsstichwort (Thema)

Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs bei Gewährung von Kinderfreibetrag, auch wenn Kindergeld nicht ausbezahlt wurde. kein Kinderfreibetrag bei bestandskräftiger Ablehnung des günstigeren Kindergelds

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist der Abzug des Kinderfreibetrags günstiger als der Anspruch auf Kindergeld, erhöht sich die tarifliche Einkommensteuer unter Berücksichtigung des Abzugs der Freibeträge für Kinder nach § 31 Satz. 4 EStG um den Anspruch auf Kindergeld auch dann, wenn der Kindergeldanspruch von den Berechtigten nicht realisiert wurde und eine Kindergeldauszahlung nicht erfolgt ist.

2. Die obligatorische Günstigerprüfung zwischen Kinderfreibetrag und Kindergeld wurde nicht als Wahlrecht ausgestaltet, so dass ein – gegenüber dem Kindergeld ungünstigerer – Kinderfreibetrag auch dann nicht angesetzt werden kann, wenn die Gewährung des günstigeren Kindergeldes unterblieben ist.

3. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht, wenn der Verlust der Kindergeldansprüche unverschuldet wäre.

4. Eine Änderung des Einkommensteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO oder § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kommt nur in Betracht, wenn die Familienkasse die Kindergeldberechtigung nach Erlass des Einkommensteuerbescheids bejaht oder verneint, nicht jedoch, wenn ein bestehender Kindergeldanspruch wegen einer vor Erlass des Einkommensteuerbescheids eingetretenen Bestandskraft eines Ablehnungsbescheids nicht mehr durchgesetzt werden kann.

 

Normenkette

EStG §§ 31, 32 Abs. 1, 3, 6, §§ 62-63, 65 Abs. 1; AO § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 15.03.2012; Aktenzeichen III R 82/09)

 

Tenor

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3) Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dann, wenn das eigentlich günstigere Kindergeld nicht ausgezahlt wurde und aus verfahrensrechtlichen Gründen auch nicht mehr ausgezahlt werden kann, wenigstens der – an sich ungünstigere – Kinderfreibetrag zu gewähren ist.

Die seit 11. September 1998 miteinander verheirateten Kläger (Kl) sind Angehörige eines EU-Mitgliedsstaates und leben seit Ende 2003 in der Bundesrepublik Deutschland. Der Kl betreibt einen Handel mit … und erzielt hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die Kl haben drei gemeinsame Kinder (X, geb. am … Oktober 1998, Y., geb. am … Juni 2000, und Z., geb. am … September 2001). Außerdem hat der Kl aus erster Ehe zwei weitere Kinder (A., geb. am … Oktober 1987, und B., geb. am … Januar 1989), die bei ihrer Mutter in NN (EU-Mitgliedsstaat) leben. Für den Sohn A. wurden von der Republik NN im Jahr 2004 Kindergeldzahlungen in Höhe von 1.366 EUR (Kindergeld für 10 Monate zu je 100 EUR und Alleinerziehendenzuschlag für 10 Monate zu je 36,60 EUR) geleistet. Für den Sohn B. wurden von der Republik NN im Jahr 2004 Kindergeldzahlungen in Höhe von 1.765,20 EUR (Kindergeld für 12 Monate zu je 110,50 EUR und Alleinerziehendenzuschlag für 12 Monate zu je 36,60 EUR) geleistet.

Für die drei gemeinsamen Kinder der Kl beantragte die Klägerin (Klin) am 29. September 2004 bei der Agentur für Arbeit C. die Gewährung von Kindergeld. Nachdem die Klin auf das Schreiben der Agentur für Arbeit vom 3. Dezember 2004, mit dem diese verschiedene Fragen zum Sachverhalt gestellt hatte, nicht geantwortete hatte, lehnte die Agentur für Arbeit den Kindergeldantrag der Klin mit Bescheid vom 25. April 2005 ab. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Da die Kl zunächst keine Einkommensteuer(ESt)-Erklärung für das Streitjahr abgegeben hatten, schätzte der Bekl die Besteuerungsgrundlagen der Kl und setzte die ESt der Kl für das Jahr 2004 mit ESt-Bescheid vom 22. Oktober 2007 fest. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 AO und teilweise vorläufig i.S.d. § 165 AO. Darin berücksichtigte der Bekl u.a. fünf (volle) Kinderfreibeträge i.H.v. insgesamt 29.040 EUR. Zugleich wurde die tarifliche ESt der Kl um den vom Bekl angenommenen Anspruch auf Kindergeld i.H.v. 9.840 EUR erhöht.

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 8. November 2007 erhoben die Kl Einspruch und reichten am 30. November 2007 die ESt-Erklärung für das Jahr 2004 beim Bekl ein. Dieser fügten sie für alle fünf Kinder jeweils die Anlage „Kind” bei.

Mit Bescheid vom 12. Dezember 2007 änderte der Bekl den ESt-Bescheid vom 22. Oktober 2007 gemäß § 164 Abs. 2 AO dahingehend ab, dass aufgrund der ESt-Erklärung der Kl anstelle der zuvor geschätzten Einkünfte des Kl aus Gewerbebetrieb i.H.v. 131.373 EUR nur noch Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 52.512 EUR angesetzt wurden und nur noch der Sonderausgabenpauschbetrag gewährt wurde. Außerdem wurden keine Kinderfreibeträge berücksichtigt, da die Vergleichsberechnung ergeben habe, „dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder durch das ausgezahlte Kindergeld/den Anspruch auf Kindergeld bzw. vergleichbare Leistungen bewirkt” worden sei. Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens seien daher keine Freibeträge für Kin...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge