rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Vollziehung eines Einzelveranlagungsbescheides. ernstliche Zweifel an der Versagung der Zusammenveranlagung eingetragener Lebenspartner

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Bescheides, in dem der Steuerpflichtige einzeln zur Einkommensteuer veranlagt wurde, ist auch dann zulässig, wenn die in der Hauptsache zutreffende Klageart die Verpflichtungsklage auf Durchführung der Zusammenveranlagung ist.

2. Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die Versagung der Zusammenveranlagung eingetragener Lebenspartner rechtmäßig ist, da in der Finanzgerichtsbarkeit zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen vertreten werden.

3. Die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ist nicht deshalb zu versagen, weil der Anspruch auf die Gewährung effektiven vorläufigen Rechtsschutzes hinter das öffentliche Intersse an einer geordneten Haushaltsführung zurücktreten müsste.

 

Normenkette

EStG § 26; FGO §§ 69, 114

 

Tenor

1. Die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2010 über die Einzelveranlagung der Antragstellerin vom 17. Juni 2011 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 4. Juli 2011 wird in Höhe des Betrages aufgehoben, um den die festgesetzte Einkommensteuer den Betrag übersteigt, der bei Anwendung des Splittings-Verfahrens (§ 32a Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes) festzusetzen wäre.

2. Die Berechnung der Einkommensteuer, die bei Anwendung des SplittingVerfahrens festzusetzen wäre, wird dem Antragsgegner übertragen.

3. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

4. Die Beschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2010 (Streitjahr), mit dem der Antragsgegner (das Finanzamt –FA–) eine Einzelveranlagung durchgeführt hat.

Die Antragstellerin hat am 13. Oktober 2001 vor dem Standesbeamten des Standesamts X mit Frau (A) eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründet. Die Antragstellerin und A sind Eltern der am 13. September 2002 geborenen Tochter … (–H–; s. Geburtsurkunde des Standesamts vom 4. Januar 2006).

Die Antragstellerin und A reichten am 11. März 2011 beim FA eine gemeinsame Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ein, die von beiden Lebenspartnerinnen unterschrieben ist, und beantragten beide die Durchführung einer Zusammenveranlagung. Diesen Antrag lehnte das FA in den Erläuterungen des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2010 vom 17. Juni 2011 ab und veranlagte die Antragstellerin stattdessen durch den soeben genannten Bescheid einzeln zur Einkommensteuer.

Durch Änderungsbescheid vom 4. Juli 2011 wurde die Einkommensteuer für das Streitjahr aus hier nicht streitigen Gründen herabgesetzt; die Antragstellerin sollte danach Einkommensteuer in Höhe von 7.711 EUR und Solidaritätszuschlag in Höhe von 498 EUR an das FA zahlen. Der Bescheid gibt weiter an, der Betrag werde abgebucht.

Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 17. Juni 2011 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 4. Juli 2011 legte die Antragstellerin am 12. Juli 2011 fristgerecht Einspruch ein; das Einspruchsverfahren ruht. Gleichzeitig beantragte sie Aussetzung der Vollziehung, weil ernstlich zweifelhaft sei, ob die Versagung der Zusammenveranlagung für die Lebenspartner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft verfassungsgemäß sei.

Diesen Antrag lehnte das FA durch Bescheid vom 21. Juli 2011 ab. Daraufhin hat die Antragstellerin unter dem 5. August 2011 Aussetzung der Vollziehung bei Gericht beantragt und auf zwei Beschlüsse des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) hingewiesen, wonach insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestünden. Durch Schriftsatz vom 13. August 2011 hat die Antragstellerin auf weitere Beschlüsse des FG Baden-Württemberg und des FG Münster hingewiesen. Weiter hat die Antragstellerin mit demselben Schreiben den Antrag insoweit umgestellt, als sie nunmehr die Aufhebung der Vollziehung (AdV) beantragt, weil das FA den Nachzahlungsbetrag von insgesamt 8.209 EUR mittlerweile abgebucht habe. Zuletzt hat die Antragstellerin auf Hinweis des Gerichts den Antrag unter dem 2. September 2011 betragsmäßig eingeschränkt.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß nur noch, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2010 vom 17. Juni 2011 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 4. Juli 2011 ohne Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe des Differenzbetrages aufzuheben, der sich bei Anwendung des Splittingtarifs ergibt, und die Berechnung dem Antragsgegner zu übertragen.

Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.

Es weist darauf hin, dass nach Verwaltungsauffassung Anträge auf AdV abzulehnen seien. Außerdem dürfe nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Verfahren wegen AdV keine weitergehende Entscheidung getroffen werden als von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu erwarten sei.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der (betragsmäßig eingeschränkte) Antrag ist begründet; im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel an ...

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