Leitsatz

1. Liegt unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen ein Steuerpflichtiger im Auftrag von Krankenkassen Versicherte zu verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsthemen telefonisch berät, eine Tätigkeit vor, die dem Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG unterfällt?

2. Reicht es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens in Bezug auf die in Frage 1 genannten Leistungen sowie für Umsätze im Rahmen von "Patientenbegleitprogrammen" für den erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis aus, dass die tele­fonischen Beratungen von "Gesundheitscoaches" (medizinischen Fachangestellten, Krankenschwestern) durchgeführt werden und in circa einem Drittel der Fälle ein Arzt hinzugezogen wird?

 

Normenkette

§ 4 Nr. 14 Buchst. a UStG i.d.F. vom 19.12.2008, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb im Februar 2014 (Streitzeitraum) im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen ein sogenanntes Gesundheitstelefon, bei dem Versicherte in medizinischer Hinsicht beraten wurden, und führte Patientenbegleitprogramme für chronisch (oder lang andauernd) erkrankte Versicherte durch.

Die telefonischen Beratungsleistungen wurden durch Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte erbracht, die größtenteils auch als Gesundheitscoach ausgebildet waren. Soweit eine medizinische Beratung gewünscht wurde, erfolgte eine softwaregestützte Befunderhebung, das heißt, eine Kontexteinstufung mit gezielten Fragen zur Thematik, und darauffolgend eine Beratung zu der vom Anrufer angegebenen therapeutischen Versorgungssituation. Dabei wurden Diagnosen und mögliche Therapien erklärt und Ratschläge zu Verhaltens- und Behandlungsänderungen erteilt.

In mehr als einem Drittel der Fälle wurde zudem ein Arzt – regelmäßig ein Facharzt – hinzugezogen, der die Beratung übernahm bzw. bei Rückfragen Anweisungen oder eine zweite Meinung erteilte. Die abgeschlossenen Fälle wurden dem ärztlichen Leiter stichprobenartig eingespielt und insbesondere auf die medizinisch fachliche Nachvollziehbarkeit überprüft.

Die Teilnehmer der Patientenbegleitprogramme wurden auf der Basis von Abrechnungsdaten und Krankheitsbildern von den Krankenkassen ermittelt, von diesen angeschrieben und auf Wunsch in das Programm eingeschrieben. Die Teilnehmer, die von Mitarbeitern der Klägerin über einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten angerufen wurden, konnten bei Fragen jederzeit die medizinische Hotline erreichen und rund um die Uhr situationsbezogene Informationen zu ihrem Krankenbild erhalten. Ziel dessen war es, die Kosten bei Versicherten mit chronischen oder psychischen Erkrankungen besser zu managen und insbesondere die Zahl erneuter stationärer Aufnahmen der Teilnehmer deutlich zu verringern.

Die Klägerin stufte ihre Umsätze aus dem Betrieb des Gesundheitstelefons und der Patientenbegleitprogramme als umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ein. Das Finanzamt sah die betreffenden Umsätze als steuerpflichtig an.

Das FG (FG Düsseldorf, Urteil vom 14.8.2015, 1 K 1570/14 U, Haufe-Index 8732084, EFG 2015, 2232) wies die Klage ab. Die im Rahmen des Gesundheitstelefons erteilten Informationen beruhten nicht auf medizinischen Feststellungen, die von entsprechendem Fachpersonal getroffen worden seien, sondern allein auf den Angaben des Anrufers. Von der Klägerin würden keine Ferndiagnosen gestellt, sondern lediglich weitergehende Informationen über eine Erkrankung oder Auskünfte erteilt.

Auch den Beratungsleistungen des Patientenbegleitprogrammes fehle es am erforderlichen therapeutischen Zweck. Die Leistungen seien weder ärztlich verordnet noch seien sie im Rahmen einer individuellen Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt worden.

 

Entscheidung

Der BFH legte aufgrund der in den Praxis-Hinweisen dargestellten Zweifel die im Leitsatz genannten Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

 

Hinweis

1. Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden, sind umsatzsteuerfrei (§ 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL). Erforderlich hierfür ist ein therapeutischer Zweck der erbrachten Leistung (autonomer unionsrechtlicher Begriff) und eine (vom Mitgliedstaat anerkannte) berufliche Befähigung des Leistenden.

2. Die Nachfrage nach Leistungen rund um das Thema "Gesundheit" nimmt in einer alternden Gesellschaft zu. Andererseits herrscht in manchen Gegenden Ärztemangel. Gleichzeitig schreitet der technische Fortschritt im Gesundheitsbereich ebenfalls voran. Dies macht neue Angebote möglich, bei deren Einordnung die bisherigen Definitionen an Grenzen stoßen.

a) So ist fraglich, ob die Beratungsleistungen eines Gesundheitstelefons einer Krankenkasse Heilbehandlungen sind.

aa) Ruft dort ein Versicherter an, steht nicht fest, ob sich an die (Erst-)Beratung eine (w...

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