Leitsatz

Steht Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren unbeschadet seines systematischen Zusammenhangs mit Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 92/12/EWG einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte verbrauchsteuerpflichtige Waren zu gewerblichen Zwecken in Besitz hält, nicht Steuerschuldner wird, wenn sie die Waren erst nach Beendigung des Vorgangs des Verbringens von einer anderen Person erworben hat?

 

Normenkette

§ 12 Abs. 1, § 19 TabStG, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1, 2 und 3, Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG

 

Sachverhalt

Der Kläger (FG Hamburg, Urteil vom 24.5.2011, 4 K 30/11, Haufe-Index 2731551) hat von einer Organisa­tion, die sich mit dem Schmuggel unverzollter und unversteuerter Zigaretten beschäftigt, unverzollte und unversteuerte Zigaretten erhalten, um diese weiterverkaufen zu können. Das HZA hat ihn deshalb auf Tabaksteuer nebst Zinsen in Anspruch genommen.

 

Entscheidung

Der BFH hat dem EuGH die eingangs wiedergegebene Frage gestellt.

 

Hinweis

Wird jemand Tabaksteuerschuldner, wenn er unversteuerte Zigaretten von einem Dritten erwirbt, der sie nach Deutschland geschmuggelt hat?

1. Nach § 19 des deutschen TabStG entsteht die Steuer mit dem Verbringen oder Versenden in das Steuergebiet, wenn Tabakwaren unzulässigerweise ohne Anbringung von Steuerzeichen aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder versandt werden. Steuerschuldner ist, wer verbringt oder versendet und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat.

2. Die Verbrauchsteuerrichtlinie 92/12/EWG enthält in diesem Zusammenhang zu beachtende Vorschriften in den Art. 6, 7 und 9. Art. 6 regelt allerdings nur das Entstehen der Steuer, nicht wer Steuerschuldner wird. Art. 9 Abs. 1 hingegen scheint ganz klar zu sein: Wenn in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden, wird die Person Steuerschuldner, in deren Besitz sie sich befinden (einerlei, von wem sie die Zigaretten erworben hat, ob sie sie selbst eingeschmuggelt hat oder dgl.). Freilich passt zu diesem klaren Befehl Art. 7 Abs. 3 nicht, wonach in solchen Fällen drei Personen als Steuerschuldner in Betracht kommen:

  • diejenige, die eine Lieferung vornimmt,
  • diejenige, die die zur Lieferung bestimmten Waren besitzt,
  • diejenige, bei der die Waren innerhalb eines anderen Mitgliedstaats als dem, in dem sie bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, "bereitgestellt" werden.

Keine dieser Vorschriften passt auf denjenigen, der dadurch Besitz an Tabakwaren erlangt hat, dass er sie von einem Schmuggler direkt oder erst über eine aus mehreren Personen bestehende Lieferkette erhält.

Es scheint also bei der Fassung der Richtlinie doch einiges durcheinandergeraten zu sein. Oder hat man sich nur nicht einigen können und deshalb zwei (unvereinbare) Bestimmungen der Steuerschuldnerschaft (Art. 7 Abs. 3 einerseits, Art. 9 andererseits) nebeneinandergestellt?

3. Der EuGH wird klären müssen, ob – wie der BFH zu favorisieren scheint – "die Systematik der unionsrechtlichen Vorgaben und die Rechtsprechung des EuGH den steuerrechtlichen Zugriff auf Personen verlangen, denen unversteuerte Waren eindeutig zugeordnet werden können" (in vulgo: die sie besitzen). Dies hieße, jeden als Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen, der mit der unversteuerten Ware angetroffen wird.

4. Beantwortet der EuGH die Frage dahingehend, dass bereits Besitz die Steuerschuldnerschaft begründet, wird die Rechtslage schwierig. Denn § 19 TabStG nimmt nicht den Besitzer, sondern den "Empfänger" in Anspruch. Und wer Zigaretten bei einem Straßenhändler kauft, wird nicht leicht als "Empfänger" verbrachter oder versandter Schmuggelware angesehen werden können. Das hat der BGH in dem Urteil in NStZ 2010, 644 richtig erkannt (das übrigens nicht aus unions-, sondern aus nationalrechtlichen Gründen, sodass schon allein deshalb die Darstellung der BGH-Entscheidung in dem Vorlagebeschluss des BFH zur Entscheidungsfindung des EuGH wenig wird beitragen können).

5. Über die Grenzen der Auslegbarkeit von § 19 TabStG wird eine richtlinienkonforme Auslegung schwerlich hinweghelfen können. Denn auch sie ist eben nur "Auslegung" und darf nicht das nationale Recht dem Unionsrecht "anpassen". Richtlinienkonforme Auslegung darf nicht über das nach deutschem Rechtsverständnis Erlaubte hinausgehen (BVerfG in NJW 2012, 669), muss also den Wortlaut des (deutschen) Gesetzes und das, was der deutsche Gesetzgeber durch ihn als seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, allemal respektieren (mag es auch unionsrechtswidrig sein). Das gilt nicht nur für das Strafrecht, sondern nicht weniger für das Abgabenrecht, das mitunter vielleicht...

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