Leitsatz

1. Sind die Anforderungen an die Sicherheit einer Leistungserbringung als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung i.S. des EuGH-Urteils FIRINC‐107/13 rein objektiv oder aus Sicht des Anzahlenden nach den für ihn erkennbaren Umständen zu bestimmen?

2. Sind die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der zeitgleichen Entstehung des Steueranspruchs und des Rechts auf Vorsteuerabzug gemäß Art. 167 MwStSystRL und der ihnen nach Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 2 und nach Art. 186 MwStSystRL zustehenden Regelungsbefugnisse berechtigt, die Berichtigung von Steuer und Vorsteuerabzug gleichermaßen von einer Rückzahlung der Anzahlung abhängig zu machen?

3. Muss das für den Anzahlenden zuständige FA dem Anzahlenden die Umsatzsteuer erstatten, wenn er vom Anzahlungsempfänger die Anzahlung nicht zurückerhalten kann? Falls ja, muss dies im Festsetzungsverfahren erfolgen oder reicht hierfür ein gesondertes Billigkeitsverfahren aus?

 

Normenkette

§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3, § 17 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 1 Satz 2 UStG, Art. 65, 167, 185, 186 EG-RL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Der Kläger bestellte bei einer GmbH die Lieferung eines Blockheizkraftwerks. Die GmbH bestätigte den Auftrag am 12.4.2010 und erteilte für den Liefergegenstand eine Vorausrechnung über 30.000 EUR mit einem gesonderten Steuerausweis über 5.700 EUR. Der Kläger meldete zeitgleich ein Gewerbe zur Erzeugung erneuerbarer Energien an und entrichtete die geforderte Anzahlung an die GmbH am 19.4.2010.

Am 26.4.2010 schloss der Kläger mit G2, einem Partnerunternehmen der GmbH, drei Verträge über Stellplatzmiete, Verwaltung (Pflichten in Bezug auf Aufstellung und Betrieb der Anlage) und "Premiumservice" (Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit und Betriebssicherheit der Anlage). Der Lieferzeitpunkt stand noch nicht fest. Der Kläger beabsichtigte zunächst einen Eigenbetrieb der Anlage durch entgeltliche Stromlieferungen. Hierfür dienten die drei Verträge über Stellplatzmiete, Verwaltung und Premiumservice.

Diese Verträge kündigte er am 19.10.2010 und verpachtete stattdessen die Anlage nunmehr an G2 für monatliche Pachtzahlungen von 1.200 EUR zuzüglich Umsatzsteuer. Für November und Dezember 2010 erhielt der Kläger Pachtzahlungen. Die Lieferung der Anlage unterblieb. Über das Vermögen der GmbH wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und mangels Masse eingestellt. Die für die GmbH handelnden Personen wurden wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in 88 Fällen und wegen vorsätzlichen Bankrotts zulasten der Käufer der Blockheizkraftwerke, nicht aber wegen Steuerhinterziehung strafrechtlich verurteilt.

Der Kläger erfuhr noch im Jahr 2010, dass das Blockheizkraftwerk nicht mehr geliefert wird, machte aber gleichwohl noch für 2010 den Vorsteuerabzug aus seiner Anzahlung geltend. Das Finanzamt beanstandete den Vorsteuerabzug und hielt hieran auch in der Einspruchsentscheidung fest. Demgegenüber hatte die Klage zum Finanzgericht Erfolg (FG München, Urteil vom 16.7.2015, 14 K 277/12, Haufe-Index 8486611, EFG 2015, 1992).

 

Entscheidung

Der BFH legte die in den Leitsätzen aufgeführten Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vor und ordnete eine Verfahrensaussetzung an.

 

Hinweis

1. Erbringt der Unternehmer eine Anzahlung auf eine an ihn erst noch zu erbringende Leistung, ist er bei Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung bereits aufgrund der Anzahlung zum Vorsteuerabzug berechtigt (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 UStG). Zugleich entsteht zulasten des Anzahlungsempfängers der Steueranspruch für den Voranmeldungszeitraum der Vereinnahmung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 und Buchst. b UStG).

Bleibt die (versprochene) Leistungserbringung aus, hat der Anzahlende den Vorsteuerabzug und der Anzahlungsempfänger den für die Anzahlung entstandenen Steuerbetrag zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 1 Satz 1 und 2 UStG). Nach Maßgabe der bisherigen BFH-Rechtsprechung setzt die Berichtigung sowohl beim Anzahlungsempfänger wie auch beim Anzahlenden zusätzlich die Rückzahlung der Anzahlung voraus.

2. Ob hieran in Bezug auf den Anzahlenden weiter festzuhalten ist, ist im Hinblick auf das EuGH-Urteil FIRIN(Urteil vom 13.3.2014, C-107/13, EU:C:2014:151) fraglich geworden und veranlasst den V. Senat des BFH, den EuGH um Klarstellungen zu drei Themenbereichen zu ersuchen:

a) Im Hinblick auf den Vorsteuerabzug aus Anzahlungen verlangt der EuGH, dass die Leistungserbringung im Zeitpunkt der Anzahlung "nicht unsicher" ist. Nimmt man dies wörtlich, muss die Leistungserbringung im Zeitpunkt der Anzahlung "sicher" sein.

Es stellt sich dann die Frage, ob es hierfür auf die rein objektiven Umstände oder eine objektivierte Empfängersicht ankommt. Letzteres könnte vorzugswürdig sein, insbesondere da Unternehmer im Allgemeinen Anzahlungen nur dann erbringen, wenn sie auch von einer späteren Leistungserbringung ausgehen.

In der Rechtssache FIRIN dürfte es demgegenüber um eine nicht ernsthaft gewollte Anzahlung für eine einvernehmlich nur vorgetäuschte Leistungserbringung gegangen sein.

b) Liegen danach die Vora...

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