Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerabzug, Erstattung von Vorsteuerguthaben, Voraussetzung der Bezahlung der Eingangsleistung, Vortrag eines Vorsteuerguthabens in den nächsten Besteuerungszeitraum

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Republik Ungarn hat

‐ dadurch, dass sie Steuerpflichtige, deren Steuererklärung für einen bestimmten Steuerzeitraum einen Überschuss im Sinne von Art. 183 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ausweist, dazu verpflichtet, diesen Überschuss ganz oder teilweise auf den folgenden Steuerzeitraum vorzutragen, wenn sie dem Lieferer nicht den Gesamtbetrag für den entsprechenden Erwerb gezahlt haben, und

‐ aufgrund der Tatsache, dass angesichts dieser Verpflichtung bestimmte Steuerpflichtige, deren Steuererklärungen regelmäßig einen Überschuss ausweisen, diesen Überschuss mehr als einmal auf den folgenden Steuerzeitraum vortragen müssen,

gegen ihre Verpflichtungen aus dieser Richtlinie verstoßen.

2. Die Republik Ungarn trägt die Kosten.

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 183

 

Beteiligte

Kommission / Ungarn

Europäische Kommission

Republik Ungarn

 

Tatbestand

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ‐ Steuerwesen ‐ Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Recht auf Vorsteuerabzug ‐ Einzelheiten der Ausübung ‐ Art. 183 ‐ Nationale Regelung, die die Erstattung eines Mehrwertsteuerüberschusses nur insoweit gestattet, als dieser den Vorsteuerbetrag aus den Umsätzen übersteigt, die noch nicht zu einer Zahlung geführt haben“

In der Rechtssache C-274/10

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 1. Juni 2010,

Europäische Kommission, vertreten durch D. Triantafyllou, B. Simon und K. Talabér-Ritz als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Republik Ungarn, vertreten durch M. Fehér, K. Szíjjártó und G. Koós als Bevollmächtigte im Beistand von K. Magony, szakértő,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters D. Šváby, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász und T. von Danwitz (Berichterstatter),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 2011,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Mai 2011

folgendes

Urteil

Rz. 1

Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission die Feststellung, dass die Republik Ungarn

‐ dadurch, dass sie Steuerpflichtige, deren Steuererklärung für einen bestimmten Steuerzeitraum einen „Überschuss“ im Sinne von Art. 183 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) ausweist, dazu verpflichtet, diesen Überschuss ganz oder teilweise auf den folgenden Steuerzeitraum vorzutragen, wenn sie dem Lieferer nicht den Gesamtbetrag für den entsprechenden Erwerb gezahlt haben, und

‐ aufgrund der Tatsache, dass angesichts dieser Verpflichtung bestimmte Steuerpflichtige, deren Steuererklärungen regelmäßig einen „Überschuss“ ausweisen, diesen Überschuss mehr als einmal auf den folgenden Steuerzeitraum vortragen müssen,

gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2006/112 verstoßen hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 2

Art. 62 der Richtlinie 2006/112 lautet:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gilt

(1) als ‚Steuertatbestand‘ der Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden;

(2) als ‚Steueranspruch‘ der Anspruch auf Zahlung der Steuer, den der Fiskus kraft Gesetzes gegenüber dem Steuerschuldner von einem bestimmten Zeitpunkt an geltend machen kann, selbst wenn Zahlungsaufschub gewährt werden kann.“

Rz. 3

Art. 63 dieser Richtlinie sieht vor, dass Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.

Rz. 4

Art. 66 der genannten Richtlinie bestimmt:

„Abweichend von den Artikeln 63, 64 und 65 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der folgenden Zeitpunkte entsteht:

a) spätestens bei der Ausstellung der Rechnung;

b) spätestens bei der Vereinnahmung des Preises;

…“

Rz. 5

Art. 90 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.

(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.“

Rz. 6

Gemäß Art. 167 der Richtlinie 2006/112, der in Kapitel 1 „Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“ des Titels X „Vorsteuerabzug“ dieser Richtlinie steht, „[entsteht d]as Recht auf Vorsteuerabzug …, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht“.

Rz. 7

Mit der Richtl...

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