Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuer-Vergütungsverfahren, Bindungswirkung der Unternehmerbescheinigung, Begriff des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Art. 3 Buchst. b und 9 Abs. 2 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige sind dahin auszulegen, dass eine dem Muster in Anhang B dieser Richtlinie entsprechende Bescheinigung grundsätzlich die Vermutung begründet, dass der Betreffende nicht nur in dem Mitgliedstaat, dessen Steuerverwaltung ihm die genannte Bescheinigung ausgestellt hat, mehrwertsteuerpflichtig ist, sondern dass er dort auch ansässig ist.

Diese Bestimmungen bedeuten allerdings nicht, dass es der Steuerverwaltung des Staates, in dem die Erstattung der Vorsteuer beantragt wird, verwehrt wäre, sich bei Zweifeln an der wirtschaftlichen Realität des Sitzes, dessen Anschrift in dieser Bescheinigung angegeben ist, zu vergewissern, ob diese Realität tatsächlich gegeben ist, indem sie auf die Verwaltungsmaßnahmen zurückgreift, die die Gemeinschaftsregelung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer hierzu vorsieht.

2. Art. 1 Nr. 1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17. November 1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige ist dahin auszulegen, dass der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Gesellschaft der Ort ist, an dem die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung dieser Gesellschaft getroffen und die Handlungen zu deren zentraler Verwaltung vorgenommen werden.

 

Normenkette

EWGRL 1072/79 Art. 3 Buchst. b; EWGRL 560/86 Art. 1 Nr. 1

 

Beteiligte

Planzer Luxembourg

Planzer Luxembourg Sàrl

Bundeszentralamt für Steuern

 

Verfahrensgang

FG Köln (Beschluss vom 19.01.2006; Aktenzeichen 2 K 5044/03)

 

Tatbestand

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Art. 17 Abs. 3 und 4 ‐ Erstattung der Mehrwertsteuer ‐ Achte Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige ‐ Art. 3 Buchst. b und 9 Abs. 2 ‐ Anhang B ‐ Bescheinigung über die Steuerpflichtigeneigenschaft ‐ Rechtliche Bedeutung ‐ Dreizehnte Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige ‐ Art. 1 Nr. 1 ‐ Begriff des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit“

In der Rechtssache C-73/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Finanzgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 19. Januar 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Februar 2006, in dem Verfahren

Planzer Luxembourg Sàrl

gegen

Bundeszentralamt für Steuern

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter), des Richters E. Juhász, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. Malenovský und T. von Danwitz,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ der Planzer Luxembourg Sàrl, vertreten durch Steuerberater P. Widdau,

‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und U. Forsthoff als Bevollmächtigte,

‐ der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.-C. Gracia als Bevollmächtigte,

‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,

‐ der luxemburgischen Regierung, vertreten durch S. Schreiner als Bevollmächtigten,

‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. April 2007

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 3 Buchst. b und 9 Abs. 2 sowie von Anhang B der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (ABl. L 331, S. 11, im Folgenden: Achte Richtlinie) und von Art. 1 Nr. 1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17. November 1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige (ABl. L 326, S. 40, im Folgenden: Dreizehnte Richtlinie).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Planzer Luxembourg Sàrl, einer Gesellschaft luxemburgischen Rechts, und dem Bundeszentralamt für Steuern (im Folgenden: Bundeszentralamt) wegen dessen Ablehnung von Anträgen auf Erstattung der Mehrwertsteuer, die dieses Unternehmen im Rahmen von Kraftstofflieferungen in Deutschland entrichtet hat.

Rechtlicher Ra...

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