Entscheidungsstichwort (Thema)

Reprografie, Abgrenzung Lieferung von sonstiger Leistung

 

Leitsatz (amtlich)

Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass die Reprografietätigkeit die Merkmale einer Lieferung von Gegenständen aufweist, soweit sie sich auf eine bloße Vervielfältigung von Dokumenten auf Trägern beschränkt, wobei die Befugnis, über diese zu verfügen, vom Reprografen auf den Kunden übertragen wird, der die Kopien des Originals bestellt hat. Eine solche Tätigkeit ist jedoch als „Dienstleistung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie einzustufen, wenn sich erweist, dass sie mit ergänzenden Dienstleistungen verbunden ist, die wegen der Bedeutung, die sie für ihren Abnehmer haben, der Zeit, die für ihre Ausführung nötig ist, der erforderlichen Behandlung der Originaldokumente und des Anteils an den Gesamtkosten, der auf diese Dienstleistungen entfällt, im Vergleich zur Lieferung von Gegenständen überwiegen, so dass sie für den Empfänger einen eigenen Zweck darstellen.

 

Normenkette

EWGRL 388/77 Art. 5 Abs. 1

 

Beteiligte

Graphic Procédé

Graphic Procédé

Ministère du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique

 

Verfahrensgang

Conseil d' Etat (Frankreich) (Urteil vom 27.06.2008; Abl.EU 2009, Nr. C 113/23)

 

Tatbestand

„Steuerrecht ‐ Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Reprografietätigkeit ‐ Begriffe ‘Lieferung von Gegenständen’ und ‘Dienstleistung’ ‐ Unterscheidungskriterien“

In der Rechtssache C-88/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Conseil d’ État (Frankreich) mit Entscheidung vom 27. Juni 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 2. März 2009, in dem Verfahren

Graphic Procédé

gegen

Ministère du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter E. Levits (Berichterstatter), M. Ileši&ccaron, J.-J. Kasel und M. Safjan,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: R. şereŞ, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2009,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

‐ der Graphic Procédé, vertreten durch T. Haas, avocat,

‐ der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.-S. Pilczer als Bevollmächtigte,

‐ der griechischen Regierung, vertreten durch O. Patsopoulou, Z. Xatzipavlou, V. Karra und M. Apesos als Bevollmächtigte,

‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Afonso als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 5 und 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Graphic Procédé, einem Unternehmen, das die Tätigkeit der Reprografie ausübt, und dem Ministère du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique (Ministerium für Haushalt, öffentliche Finanzen und den öffentlichen Dienst), in dem es um Mehrwertsteuernachzahlungen und damit verbundene Zinsen geht.

Rechtlicher Rahmen

Unionsregelung

Rz. 3

Art. 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

…“

Rz. 4

Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie

„[gilt] [a]ls Lieferung von Gegenständen … die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“.

Rz. 5

Art. 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Artikels 5 ist.“

Nationales Recht

Rz. 6

Durch Art. 256 des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch) in seiner im Besteuerungszeitraum des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung wurden die Art. 5 Abs. 1 und 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie wörtlich umgesetzt.

Rz. 7

Art. 269 des Code général des impôts bestimmt:

„1. Der Steuertatbestand ist erfüllt:

a) bei Lieferungen und Käufen durch die Übergabe der Gegenstände und bei Dienstleistungen … durch deren Ausführung …

2. Der Steueranspruch entsteht:

a) bei den unter 1a genannten Lieferungen und Käufen … durch die Erfüllung des Steuertatbestands;

c) bei Dienstleistungen … durch die Vereinnahmung von Anzahlungen, des Preises, des Entgelts oder, falls der Leiter der Steuerbehörde dies genehmigt, nach Debitierung …“

Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage

...

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