Entscheidungsstichwort (Thema)

Tilgung von Mehrwertsteuerschulden, Insolvenzverfahren, Teilweise Befriedigung von Mehrwertsteuerschulden, Eröffnung eines Vergleichsverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

Art. 4 Abs. 3 EUV sowie Art. 2, Art. 250 Abs. 1 und Art. 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem stehen nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegen, die dahin ausgelegt werden, dass ein insolventes Unternehmen, um seine Schulden durch die Liquidation seines Vermögens zu tilgen, ein Gericht mit einem Antrag auf Eröffnung eines Vergleichsverfahrens anrufen kann, in dem es nur eine teilweise Befriedigung einer Mehrwertsteuerschuld vorschlägt und hierfür durch ein Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen nachweist, dass im Fall des Konkurses keine höhere Begleichung dieser Mehrwertsteuerschuld erzielt würde.

 

Normenkette

EUV Art. 4 Abs. 3; EGRL 112/2006 Art. 2, 250 Abs. 1, Art. 273

 

Beteiligte

Degano Trasporti

Degano Trasporti Sas di Ferruccio Degano & C

Pubblico Ministero presso il Tribunale di Udine

 

Verfahrensgang

Tribunale di Udine (Italien) (Beschluss vom 30.10.2014; ABl. EU 2015, Nr. C 81/4)

 

Tatbestand

„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Steuerwesen ‐ Mehrwertsteuer ‐ Art. 4 Abs. 3 EUV ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Zahlungsunfähigkeit ‐ Vergleichsverfahren ‐ Teilzahlung der Mehrwertsteuerforderungen“

In der Rechtssache C-546/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Udine (Bezirksgericht Udine, Italien) mit Entscheidung vom 30. Oktober 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 28. November 2014, in dem Verfahren gegen

Degano Trasporti Sas di Ferruccio Degano & C. in Liquidation,

Beteiligter:

Pubblico Ministero presso il Tribunale di Udine,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin C. Toader, des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ der Degano Trasporti Sas di Ferruccio Degano & C. in Liquidation, vertreten durch P. Bregalanti, avvocato,

‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. De Bellis, avvocato dello Stato,

‐ der spanischen Regierung, vertreten durch A. Gavela Llopis als Bevollmächtigte,

‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Tomat, A. Caeiros und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. Januar 2016

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 EUV und der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Antrags der Degano Trasporti Sas di Ferruccio Degano & C. in Liquidation (im Folgenden: Degano Trasporti) beim Tribunale di Udine (Bezirksgericht Udine, Italien) auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, c und d der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt bzw. erbringt, und die Einfuhr von Gegenständen der Mehrwertsteuer.

Rz. 4

Art. 250 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Jeder Steuerpflichtige hat eine Mehrwertsteuererklärung abzugeben, die alle für die Festsetzung des geschuldeten Steuerbetrags und der vorzunehmenden Vorsteuerabzüge erforderlichen Angaben enthält, gegebenenfalls einschließlich des Gesamtbetrags der für diese Steuer und Abzüge maßgeblichen Umsätze sowie des Betrags der steuerfreien Umsätze, soweit dies für die Feststellung der Steuerbemessungsgrundlage erforderlich ist.“

Rz. 5

Art. 273 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.“

Italienisches Recht

Rz. 6

Die Art. 160 ff. des Königlichen Dekrets Nr. 267 zur Regelung des Konkurses, des gerichtlichen Vergleichs, der Geschäftsaufsicht zur Abwendung des Konkurses und der behördlichen Zwangsabwicklung (Regio Decreto n. 267 recante Disciplina del fallimento, del concordato preventivo, dell’amministrazione controllata e della liquidazione coatta amministrativa) vom 16. März 1942 (GURI Nr. 81 vom 6. April 1942) in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Konkursgesetz) regeln das Vergleichsverfahren.

Rz. 7

Im...

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