Der Gesetzgeber hatte 2009 erstmalig ein vereinfachtes Ertragswertverfahren in § 199 bis § 203 BewG vorgesehen, auf das ausdrücklich in § 11 Abs. 2 BewG hingewiesen wird. Darüber hinaus wird auch noch einmal ausdrücklich in § 199 Abs. 1 und Abs. 2 BewG der Anwendungsbereich dieses vereinfachten Ertragswertverfahrens bestätigt. Danach kann dieses Verfahren in den folgenden Fällen und unter den folgenden Voraussetzungen angewandt werden:

  • Schätzung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften, soweit kein vorrangiger Wert nach § 11 Abs. 1 (Börsenkurs) oder Abs. 2 (Verkaufspreis innerhalb des letzten Jahres) BewG vorliegt.
  • Schätzung des gemeinen Werts des Betriebsvermögens von Gewerbebetrieben nach § 95 BewG oder des Betriebsvermögens von freiberuflich Tätigen nach § 96 BewG, soweit kein vorrangiger Wert nach § 11 Abs. 2 (Verkaufspreis innerhalb des letzten Jahrs) BewG vorliegt.
  • Schätzung des gemeinen Werts eines Anteils am Betriebsvermögen einer in § 97 BewG genannten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse, soweit kein vorrangiger Wert nach § 11 Abs. 2 (Verkaufspreis innerhalb des letzten Jahrs) BewG vorliegt.
  • Das vereinfachte Schätzverfahren darf nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen.

Im Gesetz ist keine nähere Definition für ein solch "offensichtlich unzutreffendes Ergebnis" angegeben. Nach der Begründung des Finanzausschusses[1] im Gesetzgebungsverfahren können solche unzutreffenden Ergebnisse z. B. dann vorliegen, wenn sich im Rahmen der Erbauseinandersetzung oder aus zeitnahen Verkäufen – auch nach dem Bewertungsstichtag – Erkenntnisse über den Wert des Unternehmens oder der Beteiligung herleiten lassen.

Nach Auffassung der Finanzverwaltung[2] kann ein unzutreffender Wert insbesondere aus folgenden Informationen abgeleitet werden:

  • zeitnahe Verkäufe nach dem Bewertungsstichtag,
  • Verkäufe, die mehr als ein Jahr vor dem Bewertungsstichtag ausgeführt wurden,
  • Erbauseinandersetzungen, die Rückschlüsse auf den gemeinen Wert des Betriebsvermögens zulassen.
 
Wichtig

In bestimmten Fällen kann der Substanzwert angesetzt werden

Bei neugegründeten Unternehmen (Gründung bis zu einem Jahr vor dem Bewertungsstichtag) oder bei einem Branchenwechsel, nach dem die zukünftigen Erträge nicht aus der Vergangenheit abgeleitet werden können, kann das vereinfachte Ertragswertverfahren nicht angewendet werden. Es bestehen aber grundsätzlich keine Bedenken, in diesen Fällen den Substanzwert als Mindestwert anzusetzen, § 11 Abs. 2 BewG – dies gilt aber nicht, wenn dies zu offensichtlich nicht zutreffenden Werten führt.[3]

Keine Feststellungen hat die Finanzverwaltung dazu getroffen, bei welcher Abweichung ein im vereinfachten Ertragswertverfahren ermittelter Wert offensichtlich unrichtig ist. Während in einem Entwurf zu dem Erlass zur Bewertung des Betriebsvermögens in 2009 noch aus Beispielen zu entnehmen war, dass bei einer Abweichung des im vereinfachten Ertragswertverfahrens ermittelten Werts von einem ermittelten Marktwert von 10 % nicht von einem offensichtlich unrichtigen Wert auszugehen ist, hingegen bei einer Abweichung von 100 % der im vereinfachten Ertragswertverfahren ermittelte Wert offensichtlich unzutreffend ist, sind diese Beispiele in dem endgültigen Erlass und ab 2011 in den ErbStR nicht mehr enthalten, sodass keine Anhaltspunkte für solche ‹offensichtlich unzutreffenden Werte› vorhanden sind.

 
Praxis-Tipp

Nachweisverpflichtung bei abweichendem Wert

Wer von dem nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren ermittelten Wert abweichen möchte, trägt dafür die Feststellungslast.

Grundsätzlich muss hinterfragt werden, ob an den Nachweis eines offensichtlich unzutreffenden Werts ein hoher Maßstab zu legen ist. Vom Grundsatz her ist diese Regelung schon in sich nicht schlüssig. Der Erwerber soll dieses vereinfachte Verfahren gerade deshalb anwenden können, um den Umständen und Kosten eines individuellen Verfahrens entgehen zu können. Die Prüfung, ob dieses vereinfachte Verfahren dann zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt, würde aber gerade voraussetzen, dass der Erwerber den Wert aus einem individuellen Verfahren kennt. Gerade dies liegt annahmegemäß nicht vor.

Fraglich kann sein, ob ein anderes anerkanntes, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke übliches Verfahren (z. B. Multiplikatorverfahren) auch einen Hinweis auf ein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis bringen kann – oder ob dieses vereinfachte Verfahren nur dann angewendet werden kann, wenn für das zu bewertende Vermögen kein solch anderes Verfahren gegeben ist. Nach der Begründung des Finanzausschusses[4] zu § 199 BewG ist "das vereinfachte Ertragswertverfahren ... nicht anwendbar, wenn für den zu bewertenden Unternehmenstyp ein anderes, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke übliches Verfahren ... einschlägig ist". Für eine solche einschränkende Betrachtungsweise gibt es aber in der Gesetzesfassung keinen Hinweis, sodass auch in den Fällen eines (ungünstigere...

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