Die eigene Software "VisualCockpit" arbeitet mit Analysestrukturen, für die Anwender Analysen erstellen und Grafik- und Tabellenobjekte festlegen kann, die alle interaktiv miteinander verknüpft sind. Die Entscheidung, was von den Daten in welcher Form in einer Analyse gemeinsam dargestellt und betrachtet werden soll, erforderte also die Übersetzung der Fragestellung(en) des Anwenders in die Analyseobjekte mit Daten. So komisch es klingen mag – aber nicht jedem Entscheider fällt es leicht, seine Fragestellungen als Zielgrößen und mögliche Einflussgrößen zu formulieren, um sie dann per Mausklick in Analysen umzusetzen.

Da der Software unmittelbar beim Zugriff auf Daten verfügbare Variablen, Datentypen und damit indirekt auch dafür geeignete Grafiken und Tabellentypen bereits "bekannt" sind, wurde im Rahmen einer Bachelorarbeit 2014 untersucht, ob sich mit Festlegung der Zielgröße Analysen automatisiert mit interaktiv miteinander verknüpften Tabellen und Grafiken generieren lassen, und zwar so, dass durch gewählte Daten und Grafik- und Tabellenobjekte ein maximaler Zuwachs an Information erreicht wird. Als Kriterien und Maße für den Informationsgewinn wurden Information Gain und Entropie verwendet,[1] also Algorithmen, die auch bei Entscheidungsbäumen zur Entscheidungsfindung eingesetzt werden.

Die so generierten Analysen waren vielversprechend. Neben den für Zielgröße und Thema relevanten Tabellen- und Grafikobjekten tauchten in den automatisiert generierten Analysen aber vereinzelt Objekte auf, die vom Algorithmus als "interessant und beachtenswert" bewertet wurden, deren Auswahl vom Anwender oft nicht nachvollziehbar waren.

So wurde bei der Analyse der Ein- und Verkäufe eines Gebrauchtwagenhändlers neben zahlreichen relevanten Analysen (z. B. zur Standzeit in Abhängigkeit vom Typ und Alter des Fahrzeugs) immer wieder der an sich triviale Zusammenhang zwischen Kraftstoffverbrauch und Alter des Fahrzeugs als "interessant und beachtenswert" angezeigt. Die Pointe dabei war, dass mit steigendem Alter der Fahrzeuge der Verbrauch abnahm! Für den Algorithmus war das korrekt – da beim Import aus einem Excel-"Handtuch" bei den meisten alten Autos beim Verbrauch "0" eingetragen war, während bei neueren Autos richtige Angaben verfügbar waren. Der Algorithmus erkannte automatisch diese Inkonsistenz in diesen Daten und zeigte diese daher in einer Grafik als "interessant und beachtenswert" an. D. h., der Automatismus weist neben wirklich relevanten Mustern in den Daten auch auf fehlerhafte, unplausible und inkonsistente Daten hin, vermag aber zwischen "relevant für das Thema" und "vermutlich fehlerbehaftet" nicht zu unterscheiden.

Es ergibt wenig Sinn, einem weniger erfahrenen Anwender die Erstellung von Analysen für seine Daten abzunehmen, wenn er sich vielleicht nicht bewusst ist, dass die zugrunde liegenden Daten keine vernünftige Qualität haben. Mit algorithmischer Assistenz muss daher bereits bei der Datenqualität angesetzt werden – was zwangsläufig Auswirkungen auf die operativen Primärsysteme hat – und dort ein integriertes Stammdatenmanagement nötig wäre.

[1] Vgl. Geng/Hamilton, 2006.

3.2.1 Branchensoftware mit integrierter Entscheidungsunterstützung

Bei fachspezifischen Softwarelösungen sind gute Voraussetzungen von Entscheidungsassistenz gegeben, da sowohl Datenstruktur und Merkmale bekannt sind und dazu Fachwissen zur Domäne vorliegt. So müssen z. B. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in einem extrem regulierten System von Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) bestehen, die Abrechnungsregeln je Quartal und 17! KVen ändern können. Ein typisches Beispiel ist die Voraussetzung zur Abrechnung einer Chroniker-Ziffer. Hier gilt die "4-3-2-1-Regel". Der Patient muss über 4 Quartale, also mindestens ein Jahr lang, an einer chronischen Erkrankung leiden. Er muss in diesen 4 Quartalen mindestens 3 Kontakte zur Praxis gehabt haben. Darunter müssen 2 dokumentierte persönliche Arzt-Patienten-Kontakte sein. Und es muss sich um 1 gesicherte chronische Erkrankung handeln, also um dieselbe ICD-10-Codierung über 4 Quartale. Je Leistungsziffer gibt es meist mehrere ähnliche Regeln, sodass bei > 1000 Fällen eines Hausarztes schnell Dinge übersehen werden können, die aber prozess- und abrechnungsrelevant sind – wodurch Erlöse geschmälert oder Potenziale ungenutzt bleiben.

Der MVZ-Kompass ermöglicht dem MVZ eine umfassende betriebswirtschaftliche und prozessuale Steuerung. Das Personal (MFA, Controller, Ärzte) erhält tagesaktuell Hinweise für fallbezogene Entscheidungen, bei welchen Patienten Abrechnungsmöglichkeiten übersehen wurden, wo Leistungen falsch abgerechnet wurden, was zur Streichung durch die KV führt, in welchen Fällen Diagnosen und Leistungen nochmals im Detail im Zeitverlauf angesehen werden sollten und wo Potenziale des MVZ für nicht budgetierte Leistungen liegen. Entscheiden muss letztendlich der Arzt, aber durch die Hinweise wird sichergestellt, dass erbrachte Leistungen wenigstens vollständig vergütet und Potenziale im Patientenstamm des MVZ gehoben werden. Um Regresse zu vermeiden, ist...

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