Zusammenfassung

 
Überblick

Im nachfolgenden Beitrag werden die seit Ende 2011 geltenden gesetzlichen Grundlagen dargestellt, die der Gesetzgeber geschaffen hat, um eine Entschädigung in Fällen von als unbillig lang empfundenen Gerichtsverfahren zu ermöglichen. Die gesetzlichen Bestimmungen ermöglichen dabei eine Entschädigung für materielle und immaterielle Beeinträchtigungen, die aus der überlangen Verfahrensdauer resultieren. Die maßgeblichen Normen weisen allerdings verschiedene problematische Aspekte auf, die es zu beachten gilt, bevor eine Klage nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen erhoben werden kann. In der Zwischenzeit liegen verschiedene Entscheidungen des BFH zu den §§ 198 ff. GVG vor, die nachfolgend ebenfalls dargestellt werden. Diese sind leider nur bedingt als vorteilhaft für die betroffenen Rechtsanwender anzusehen.

 
Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung

Die zentralen gesetzlichen Grundlagen des Entschädigungsanspruchs sind in den §§ 198 ff. GVG normiert. Diese wurden durch das Gesetz vom 24.11.2011 geschaffen (Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren v. 24.11.2011, BGBl 2011 I S. 2302, BStBl 2012 I S. 51). Das Gesetz wurde am 2.12.2011 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und ist am Tag nach der Verkündigung in Kraft getreten.

Auf die §§ 198 bis 201 GVG wird in den verschiedenen Verfahrensordnungen verwiesen, sodass die Bestimmungen auch für alle anderen Gerichtszweige über die jeweilige Verweisungsnorm Anwendung finden. Für den Bereich der Finanzgerichtsbarkeit ist Art. 9 des Gesetzes maßgeblich, der § 155 FGO in der Weise ergänzt hat, dass die Regelungen der §§ 198 ff. GVG entsprechende Anwendung finden.[1] Entsprechende Regelungen finden sich auch für andere Gerichtszweige (z. B. § 41 ZPO, § 9 ArbGG, § 173 VwGO).

Für Strafverfahren gelten teilweise abweichende Regelungen, auf die hier nur in Ansätzen eingegangen werden soll (vgl. § 199 GVG). Leider gelten die Regelungen der §§ 198ff. GVG nicht für das normale steuerliche Verwaltungsverfahren.[2] Angesichts der teilweise ebenfalls sehr langwierigen Einspruchsverfahren wäre eine entsprechende Regelung für eine Entschädigung überlanger Verfahren beim Finanzamt sicherlich wünschenswert, um die Finanzverwaltung zu einer zeitnahen Bearbeitung von Einsprüchen zu bewegen.

[1] S. hierzu auch Schwarz, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 155 FGO Rz. 10ff; Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 155 FGO Rz. 10ff; Fu, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, vor § 155 FGO Rz. 8ff.; Stapperfend, in Gräber, FGO, § 155 FGO Rz. 40ff., 9. Auflage 2019.

1 Wesentliche Aspekte

Der deutsche Gesetzgeber hat auf das Übel sehr langer Gerichtsverfahren, das in der Praxis gerade auch im Bereich des Steuerrechts immer wieder beklagt wird, nicht ohne Druck reagiert.[1] Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat nämlich in einer Entscheidung vom 2.9.2010[2] Deutschland dazu aufgefordert, eine solche Regelung zu schaffen. Dem konnte sich der Gesetzgeber nicht entziehen.[3] Voraussetzungen des Anspruchs sind:

  • ein Gerichtsverfahren von einer überlangen Dauer[4]
  • Erhebung einer Verspätungsrüge zu einem zutreffenden Zeitpunkt.[5]

Sind diese beide Voraussetzungen erfüllt, kann eine Entschädigung für materielle und immaterielle Nachteile, die aus der überlangen Dauer resultieren, erfolgen.

[1] Zur Entstehungsgesichte auch Stapperfend, in Gräber, FGO, § 155 FGO Rz. 40, 9. Auflage 2019.
[2] EGMR, Urteil v. 2.9.2010, 46344/06 (Rumpf), NJW 2010 S. 3355.
[3] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 155 FGO Rz. 10.
[4] Vgl. eingehend Schwarz, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 155 FGO Rz. 75ff.
[5] Schwarz, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 155 FGO Rz. 105ff.

2 Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs

2.1 Anwendungsbereich

Die zentrale Bestimmung ist § 198 GVG, der die Voraussetzungen normiert, unter denen ein Betroffener wegen eines überlangen Verfahrens Ansprüche geltend machen kann.

Eine Entschädigung kommt grundsätzlich in Betracht

  • wegen überlanger Gerichtsverfahren[1],
  • wegen überlanger Strafverfahren[2]; hier ist Normadressat vor allem die Staatsanwaltschaft, aber in Steuerstrafverfahren auch die Finanzbehörde.

Geltend machen kann den Anspruch auf eine Entschädigung ein Verfahrensbeteiligter.[3] Dies wird regelmäßig der Kläger sein, es kann aber z. B. auch ein Beigeladener als Verfahrensbeteiligter in Betracht kommen.[4] Kein Verfahrensbeteiligter i. S. d. §§ 198 ff. GVG ist allerdings der Privatkläger in einem Strafverfahren.[5] Keinen Anspruch kann die Finanzbehörde aufgrund eines überlangen Gerichtsverfahrens geltend machen, da sie selber nicht Grundrechtsträger ist.[6] Keine Anwendung finden die Bestimmungen damit bedauerlicher Weise bei überlangen Verwaltungsverfahren.[7] Die Geltendmachung eines Anspruchs nach den §§ 198ff. GVG schließt die Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs[8] nicht aus.[9]

[3] im Einzelnen vgl. Schwarz, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 155 FGO Rz. 65; zur Formulierung des Klage...

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