Leitsatz

1. Die Offenbarung durch das Steuergeheimnis geschützter Verhältnisse zur Durchführung eines Verwaltungsverfahrens zur Rückforderung von Arbeitslosengeld setzt nicht voraus, dass die Finanzbehörde festgestellt hat, dass die Kenntnis der zu offenbarenden Tatsachen die Rückforderung rechtfertigt oder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit rechtfertigen wird; ausreichend ist insofern, dass die Tatsachen für die Durchführung eines solchen Verwaltungsverfahrens überhaupt geeignet sind.

2. § 31a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b bb AO ist verfassungsgemäß. Er verletzt insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weder in materieller noch wegen Unbestimmtheit der Offenbarungsbefugnisse der Finanzbehörde in formeller Hinsicht.

 

Normenkette

Art. 6 EMRK, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, § 30 Abs. 1, § 31a Abs. 1 AO

 

Sachverhalt

A hatte in den Jahren 2002, 2003 und 2004 Arbeitslosengeld erhalten, in diesen Jahren aber auch nicht unbeträchtliche Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit sowie aus Gewerbebetrieb gehabt, ferner Einkünfte aus Kapitalvermögen.

Das FA wollte der Agentur für Arbeit seine dazu gewonnenen Kenntnisse mitteilen. A, der von dieser Absicht erfahren hatte, beantragte jedoch beim FG den Erlass einer einstweiligen Anordnung, um dem FA dies untersagen zu lassen. Der Antrag hatte wegen der Einkünfte aus Kapitalvermögen Erfolg; im Übrigen lehnte ihn das FG aber ab, ließ jedoch die Beschwerde dagegen zu (EFG 2007, 1126).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Entscheidung des FG bestätigt.

 

Hinweis

1. Die Offenbarung durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) geschützter Verhältnisse ist zulässig, soweit sie für die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens mit dem Ziel der Entscheidung über die Rückforderung einer Leistung aus öffentlichen Mitteln erforderlich ist (§ 31a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b bb AO). Wann ist eine solche Mitteilung im Sinn dieser Vorschrift "erforderlich": Wenn feststeht oder jedenfalls mehr oder weniger wahrscheinlich ist, dass es zu einer Rückforderung kommt, oder schon dann, wenn nur irgendein mehr oder weniger vager Anlass besteht, die Rechtmäßigkeit des Leistungsbezugs (ergo: die Möglichkeit einer Rückforderung) in Betracht zu ziehen und näher zu prüfen?

Ginge man von Ersterem aus, dürfte das FA Feststellungen über Einkünfte eines Beziehers von Arbeitslosengeld i.d.R. nur dann der Arbeitsagentur mitteilen, wenn jener ganzjährig arbeitslos gemeldet war; denn allein, dass jemand Arbeitslosengeld in demselben Jahr erhalten hat, in dem er auch steuerpflichtige Einkünfte hatte, besagt sonst darüber nichts, ob er zu Unrecht Arbeitslosengeld erhalten hat. Die einschlägigen Vorschriften des SGB III sehen nämlich beim Arbeitslosengeld gleichsam eine monatsweise Berücksichtigung von Einkünften vor, während das FA bekanntlich im Allgemeinen nur das Jahreseinkommen ohne Aufschlüsselung auf die einzelnen Monate feststellt. Effektiv verhindern kann die Offenbarungsbefugnis des FA den unberechtigten Bezug von Arbeitslosengeld also nur dann, wenn das Nebeneinander von Einkünften und Arbeitslosengeld in einem Kalenderjahr bereits eine ("Verdachts"-)Mitteilung erlaubt oder wenn man das FA für verpflichtet hält, vor einer solchen Mitteilung die festgestellten Einkünfte zeitlich einzuordnen und anhand des SGB III die Berechtigung zum Bezug von Arbeitslosengeld zumindest überschläglich zu prüfen.

2.§ 31a Abs. 1 AO verlangt indes nur, dass die Offenbarung steuerlicher Tatsachen für die Einleitung oder Durchführung eines Verwaltungsverfahrens der Arbeitsagentur erforderlich ist; das ist immer dann der Fall, wenn die Tatsachen in einem solchen Verfahren entscheidungserheblich sein können und die Agentur deshalb ein solches Verfahren bei Kenntnis der vom FA festgestellten Tatsachen vernünftigerweise einleiten, zumindest also amtsinterne Vorprüfung der Rechtmäßigkeit des Leistungsbezugs vornehmen wird.

3. Das FA muss also keine über das steuerrechtlich Bedeutsame hinausgehenden Ermittlungen anstellen, bevor es der Arbeitsagentur eine Mitteilung zukommen lässt; es muss aber die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (nur im Groben?) berücksichtigen und darf deshalb keine Mitteilung über Tatsachen machen, die nach diesen Vorschriften von vornherein für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung belanglos sind (wie Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Berechtigung zum Bezug von Arbeitslosengeld).

4.§ 31a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b bb AO ist mit dem GG vereinbar. Er fasst den Kreis der Fälle, in denen das FA gegenüber einer anderen Behörde vom Steuergeheimnis entbunden ist, zwar recht allgemein (und weit), ist aber insofern nicht verfassungswidrig unbestimmt. Er verletzt auch nicht das – häufig überschätzte – sog. Recht aus informationeller Selbstbestimmung, das keineswegs die Verwendung persönlicher Daten für Zwecke anderer Behörden verbietet, oder gar den sog. nemo-tenetur-Grundsatz: Dieser verbietet nicht, um zu überprüfen, ob öffentliche Leistungen zu Unrecht in Anspruch genommen worden sind, Tatsachen auszuwerten, die der B...

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