Leitsatz

1. Wird ein zur Insolvenzmasse gehörendes und mit einem Absonderungsrecht belastetes Betriebsgrundstück nach Insolvenzeröffnung auf Betreiben eines Grundpfandgläubigers ohne Zutun des Insolvenzverwalters versteigert und hierdurch – infolge Aufdeckung stiller Reserven – ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn ausgelöst, ist die auf den Gewinn entfallende Einkommensteuer eine "in anderer Weise" durch die Verwaltung bzw. Verwertung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit.

2. Die Massezugehörigkeit des Vermögensgegenstandes sowie dessen fehlende Freigabe durch den Insolvenzverwalter stellen die entscheidenden Wertungsmomente für die Annahme von Masseverbindlichkeiten dar.

 

Normenkette

§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO

 

Sachverhalt

Das Betriebsgrundstück der Insolvenzschuldnerin wurde im Rahmen einer Zwangsversteigerung veräußert. Diese wurde nach Insolvenzeröffnung durch die finanzierende und durch eine Grundschuld gesicherte Bank betrieben. Das FA sah die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 der InsO an und setzte diese in einem an den Kläger als Insolvenzverwalter gerichteten ESt-Bescheid fest, obwohl der ­Insolvenzmasse keine Mittel aus der Zwangsversteigerung zugeflossen waren. Einspruchs- und Klageverfahren blieben erfolglos (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.3.2019, 4 K 1005/18, Haufe-Index 13145994, EFG 2019, 1114).

 

Entscheidung

Die Revision des Insolvenzverwalters hatte aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen keinen Erfolg.

 

Hinweis

Dieses Urteil, das die bisherige BFH-Rechtsprechung konsequent fortführt, sollte von jedem Insolvenzverwalter beachtet werden, um zu vermeiden, dass Steuerschulden als Masseverbindlichkeiten entstehen, weil nicht freigegebene Massegegenstände durch Dritte verwertet werden, obwohl der Insolvenzmasse kein Veräußerungserlös zufließt.

1. Gemäß § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Der Umstand, dass ein Vermögensgegenstand mit einer Grundschuld belastet ist, ändert an der Massezugehörigkeit nichts. Denn durch ein Absonderungsrecht gemäß §§ 49 ff. InsO kann lediglich die vorrangige Befriedigung aus bestimmten Gegenständen, welche zur Haftungsmasse des Schuldners gehören, beansprucht werden. Dem steht ein "Vermögenswert-Erfordernis" (vgl. dazu BFH-Urteil vom 21.3.2019, III R 30/18; BFH/NV 2019, 1033) solange nicht entgegen, wie der abgesonderte Gegenstand seine Haftungsfunktion noch erfüllen kann. Diese entfällt nicht allein dadurch, dass im konkreten Fall die Verwertung des Gegenstandes nicht zur vollständigen Begleichung der Schulden ausreicht.

2. Die auf einen betrieblichen Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuer stellt nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine Masseverbindlichkeit dar, wenn der einzelne (unselbstständige) Besteuerungstatbestand nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde. Bei einer Zwangsvollstreckung ­endet mit dem Zuschlag die Zugehörigkeit des Gegenstandes zum Betriebsvermögen. Die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen stillen Reserven werden erst durch diesen Vorgang aufgedeckt, sodass bei der hierauf entfallenden Einkommensteuer von einer Masseverbindlichkeit auszugehen ist.

3. Dabei muss der Besteuerungstatbestand nicht durch eine Veräußerungshandlung des Insolvenzverwalters ausgelöst worden sein; es reicht ein Verhalten eines Dritten, z.B. eines absonderungsberechtigten Insolvenzgläubigers. Die streitige Zuordnung der Einkommensteuer zu den Masseverbindlichkeiten ist nicht an der Person des Handelnden festzumachen; die Einkommensteuerverbindlichkeit wird vielmehr nach der BFH-Rechtsprechung als Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO"in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse" begründet.

4. Dabei kommt es zum einen auf den Umstand an, dass der Vermögensgegenstand bis zur Verwertung mit Willen des Insolvenzverwalters Teil der Insolvenzmasse gewesen ist. Zum anderen ist die fehlende Freigabe des Gegenstandes durch den Insolvenzverwalter als entscheidendes Wertungsmoment anzusehen. Hierdurch wird der Gleichklang zwischen der Massezugehörigkeit des verwerteten Vermögensgegenstandes und der damit einhergehenden Steuerbelastung hergestellt.

Insolvenzverwalter im Prüfobligo

Jeder Insolvenzverwalter sollte deshalb sorgfältig prüfen, ob die Gefahr droht, dass durch die Verwertung eines Massegegenstandes durch einen berechtigten Dritten eine ungewollte Steuerverbindlichkeit zulasten der Masse entsteht.

5. Die Interessen des Insolvenzverwalters dürften durch diese Rechtsprechung im Regelfall gewahrt sein, da dieser regelmäßig frühzeitig erkennen dürfte, ob eine Freigabe des Massegegenstandes angezeigt ist.

Rechtslage bei unvollständiger Prüfgrundlage noch nicht abschließend geklärt

Der X. Senat hat in diesem Zusammenhang aber ausdrücklich offengelassen,...

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