Soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für einen Folgebescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird, ist auch der Folgebescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Die Anpassung eines Folgebescheids an einen Grundlagenbescheid steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde. Der vom Grundlagenbescheid ausgehenden Bindungswirkung muss das Finanzamt durch Änderung des Folgebescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO Rechnung tragen, wenn der Folgebescheid die mit dem Grundlagenbescheid getroffene Feststellung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt. Die Finanzbehörde ist auch dann verpflichtet, bei einer vorausgegangenen Auswertung gemachte "Anpassungsfehler" durch entsprechende Änderungen zu berücksichtigen, wenn sie bei Erlass des Folgebescheids die rechtliche Würdigung des Grundlagenbescheids zunächst verkannt und deshalb den Inhalt des Grundlagenbescheids nicht (zutreffend) in den Folgebescheid übernommen hat.

§ 171 Abs. 10 Satz 1 AO ergänzt § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in Bezug auf die Festsetzungsverjährung und hemmt den Ablauf der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid, soweit dieser auf einem Grundlagenbescheid beruht (sachliche Hemmung). In zeitlicher Hinsicht gewährt § 171 Abs. 10 Satz 1 AO eine maximale Anpassungsfrist von 2 Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids, es sei denn, die "normale" Festsetzungsfrist für den Folgebescheid läuft ohnehin (noch) länger.

 
Praxis-Tipp

Durch Antragstellung ggf. weitere Ablaufhemmung herbeiführen

Wird das Finanzamt innerhalb der durch § 171 Abs. 10 Satz 1 AO im Ablauf gehemmten Frist nicht von Amts wegen tätig, empfiehlt es sich, innerhalb dieser 2-Jahresfrist ausdrücklich die Auswertung des Grundlagenbescheids beim "Folgebescheid-Finanzamt" zu beantragen. Das gilt jedenfalls in den Fällen, in denen die Anpassung des Folgebescheids für den Steuerpflichtigen vorteilhaft ist. Durch den ausdrücklichen Antrag auf Anpassung des Folgebescheids greift nämlich eine weitere Ablaufhemmung, und zwar die des § 171 Abs. 3 AO. Die Festsetzungsfrist läuft dann insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden ist.[1]

Stellt die Finanzbehörde durch Verwaltungsakt die Nichtigkeit eines Grundlagenbescheids fest, ist der Folgebescheid ebenfalls nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern. Zugleich bewirkt die Nichtigkeitsfeststellung die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO. Dabei ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass § 125 Abs. 5 AO die Nichtigkeitsfeststellung dem Grunde nach zeitlich unbegrenzt ermöglicht.[2]

 
Achtung

Bekanntgabe entscheidend!

Der Zeitpunkt des Zugangs der verwaltungsinternen Mitteilung über den Grundlagenbescheid (Einheitswertbescheid) bei der für den Erlass des Folgebescheids zuständigen Finanzbehörde ist für die Fristbestimmung ebenso unbeachtlich wie der Zeitpunkt, an dem der Grundlagenbescheid unanfechtbar geworden ist. Maßgebend für den Beginn der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO ist vielmehr der Zeitpunkt der wirksamen Bekanntgabe des Grundlagenbescheids. Eine Anfechtung des Grundlagenbescheids führt lediglich zur Hemmung der Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid nach § 171 Abs. 3a AO, nicht aber zur Hemmung der Festsetzungsfrist des Folgebescheids.[3]

[2] BFH, Urteil v. 20.8.2014, X R 15/10, BStBl 2015 II S. 109; die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde gem.§§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschluss v. 9.12.2015, 1 BvR 3240/14. Vgl. auch AEAO zu § 171, Nr. 6.4.

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