Entscheidungsstichwort (Thema)

Richtervorlage wegen Straffreiheit bei Selbstanzeige einer Steuerhinterziehung

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Richtervorlage.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das vorlegende Gericht muß den Sachverhalt so weit aufklären, daß die Entscheidungserheblichkeit der zu prüfenden Vorschrift feststeht und die Vorlage deshalb unerläßlich ist. Solange die Möglichkeit besteht, daß das vorlegende Gericht den Rechtsstreit in dem von ihm gewünschten Sinne entscheiden kann, ohne die für verfassungswidrig gehaltene Rechtsnorm anzuwenden, fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit der zu prüfenden Norm.

2. Die Richtervorlage zur Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß bei Steuerhinterziehung Straffreiheit eintreten kann, wenn sich der Täter selbst anzeigt, und daß diese Straffreiheit ausgeschlossen ist, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist die hinterzogenen Steuern entrichtet werden, ist unzulässig.

 

Normenkette

GG Art. 100; BVerfGG § 80 Abs. 2 S. 1; AO 1977 §§ 370-371

 

Verfahrensgang

AG Saarbrücken (Vorlegungsbeschluss vom 02.12.1982; Aktenzeichen 35 - 55/82 - 11 Js 1260/81)

 

Tenor

Die Vorlage ist unzulässig.

 

Gründe

Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß bei Steuerhinterziehung Straffreiheit eintreten kann, wenn sich der Täter selbst anzeigt, und daß diese Straffreiheit ausgeschlossen ist, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist die hinterzogenen Steuern entrichtet werden.

I.

1. Die für das Ausgangsverfahren maßgebliche Vorschrift der Abgabenordnung (AO) lautet:

§ 371

Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung

(1) Wer in den Fällen des § 370 unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, wird insoweit straffrei.

(2) …

(3) Sind Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt, so tritt für einen an der Tat Beteiligten Straffreiheit nur ein, soweit er die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet.

(4) …

Die in Bezug genommene Vorschrift des § 370 AO regelt die Strafbarkeit der Steuerhinterziehung.

2. Das Amtsgericht hat ein bei ihm anhängiges Strafverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 371 Abs. 1 AO und § 371 Abs. 3 AO mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Zur Begründung führt das Gericht aus, die Angeklagte sei glaubhaft geständig, als Geschäftsführerin einer GmbH unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben zu haben, wodurch sie eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO begangen habe. Sie habe Selbstanzeige erstattet, worauf ihr das Finanzamt mit Schreiben vom 21. Mai 1980 Frist zur Zahlung der verkürzten Steuern bis zum 30. Juni 1980 gesetzt habe. Diese Frist habe die Angeklagte ungenutzt verstreichen lassen, so daß die Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO nicht wirksam geworden sei (§ 371 Abs. 3 AO).

Die Verfassungsmäßigkeit der Absätze 1 und 3 des § 371 AO sei unter zwei Gesichtspunkten entscheidungserheblich.

Wenn § 371 Abs. 1 AO verfassungsgemäß sei, habe die Angeklagte keinen Rechtsanspruch auf Straffreiheit, da sie die verkürzten Steuern nicht fristgemäß nachgezahlt habe. In einem solchen Falle werde jedoch regelmäßig eine milde Strafe verhängt. Der allgemeine Straftäter könne hingegen nur eine Strafmilderung nach § 46 Abs. 2 StGB erhoffen, wenn er seine Handlungen vor Tatdeckung den Ermittlungsbehörden offenbare.

Unterstelle man die Gültigkeit des § 371 Abs. 1 AO, so wäre die Angeklagte bei Anwendung des § 371 Abs. 3 AO im Verhältnis zu einem anderen Selbstanzeiger benachteiligt, der die zu seinen Gunsten verkürzten Steuern fristgerecht nachzahlen könne, weil er sie für private Zwecke beiseite geschafft und angelegt habe. Die Angeklagte müßte, wenn auch milder, bestraft werden, obwohl die Wiedergutmachung des durch einen Straftäter angerichteten Schadens kein sachgerechter Grund sei, davon die Straffreiheit abhängig zu machen.

Die beiden entscheidungserheblichen Vorschriften verstießen gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 GG.

Dem § 371 Abs. 1 AO liege eine sachwidrige Differenzierung zugrunde. Die Sachgemäßheit erfordere, daß jeder Straftäter, der die von ihm tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft begangene Straftat vor Entdeckung selbst anzeige, von Bestrafung frei bleibe oder bestraft werde; dies gelte jedenfalls dann, wenn Straftaten wie Steuerhinterziehung, Betrug oder Subventionsbetrug in ihren kriminalpolitischen Zielsetzungen, ihren sozialschädlichen Auswirkungen und ihren kriminellen Unrechtsgehalten eng verwandt seien. Die Privilegierung ausschließlich des Steuerhinterziehers sei nicht sachgemäß, weil § 371 Abs. 1 AO aus finanziellen Erwägungen und aus dem fiskalischen Bemühen heraus geschaffen worden sei, bisher verheimlichte Steuerquellen zu erschließen.

§ 371 Abs. 1 AO widerspreche aus diesen Gründen auch den vom Gesetzgeber selbst gesetzten Grundregeln auf dem Gebiet des Strafrechts und der materiellen Gerechtigkeit. Es gebe keine dem § 371 Abs. 1 AO vergleichbare Norm. Das Strafrecht sei im übrigen ein Ordnungsbereich, der seinem Wesen nach keine Differenzierung vertrage, wie sie § 371 Abs. 1 AO zum Inhalt habe. Im Zusammenhang mit § 371 Abs. 3 AO könne sich jeder Steuerhinterzieher im Vergleich zu allen anderen Straftätern gewissermaßen freikaufen. Im Vergleich zweier Steuerstraftäter untereinander könne derjenige Straffreiheit erlangen, der sich in stärkerem Maße sozialschädigend verhalten habe, weil er die verkürzten Steuerbeträge privat angelegt und sie nicht im Unternehmen investiert habe.

Für § 371 Abs. 3 AO gälten die dargelegten Grundrechtsverstöße entsprechend.

II.

Die Vorlage ist unzulässig.

1. Nach Art. 100 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muß das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Dabei muß das vorlegende Gericht den Sachverhalt so weit aufklären, daß die Entscheidungserheblichkeit der zu prüfenden Vorschrift feststeht und die Vorlage deshalb unerläßlich ist. Solange die Möglichkeit besteht, daß das vorlegende Gericht den Rechtsstreit in dem von ihm gewünschten Sinne entscheiden kann, ohne die für verfassungswidrig gehaltene Rechtsnorm anzuwenden, fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit der zu prüfenden Norm (BVerfGE 58, 153 (157 f.) m. w. N.).

2. Die Vorlage ist bereits in sich widersprüchlich, so daß nicht mit der erforderlichen Sicherheit erkennbar ist, inwiefern eine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten beiden Normen abhängt. Das Gericht unterbreitet zwei in ihren Rechtswirkungen entgegengesetzte Normen gleichzeitig zur Prüfung. Dadurch können die Argumente gegen die Verfassungsmäßigkeit der einen Norm zum Teil als Argumente für die Verfassungsmäßigkeit der anderen Norm verstanden werden, da keine der widersprüchlichen Erwägungen erkennbar als Hilfserwägungen gekennzeichnet ist.

3. Auch für sich betrachtet, erfüllen die jeweiligen Erwägungen zu den beiden Normen nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen.

a) Bei den Ausführungen zu § 371 Abs. 1 AO bleibt unklar, ob das vorlegende Gericht hauptsächlich das Fehlen einer strafbefreienden Selbstanzeige bei verwandten Straftaten beanstandet oder ob es diese Vorschrift unabhängig davon für sachwidrig hält.

Daß der Gesetzgeber bei anderen Strafvorschriften keine Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige geschaffen hat, berührt nicht die Gültigkeit einer solchen Norm im Steuerstrafrecht.

Wäre es grundsätzlich sachwidrig, eine Begünstigung wie in § 371 Abs. 1 AO zu gewähren, so hätte dies bei Anwendung von § 371 Abs. 3 AO keinen Einfluß auf die Entscheidung, da in diesem Falle gerade keine Straffreiheit einträte. Einerseits hält das vorlegende Gericht § 371 Abs. 3 AO für verfassungswidrig, andererseits kann dem Vorlagebeschluß entnommen werden, daß diese Vorschrift grundsätzlich anwendbar sei.

Zwar führt das Gericht außerdem aus, es sei jedenfalls eine Strafmilderung zu gewähren, wenn § 371 Abs. 1 AO anzuwenden wäre. Es kann dahinstehen, ob dies allgemein zutrifft. Jedenfalls wäre diese Milderung keine unmittelbare Folge aus § 371 AO; es würden vielmehr Erwägungen, wie sie zur Begründung dieser Vorschrift angestellt werden können, im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungsbestimmung des § 46 Abs. 2 StGB entsprechend berücksichtigt, wonach auch das Verhalten des Täters nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, strafmildernd in Betracht kommt.

b) Nach dem Vorlagebeschluß steht nicht fest, ob es letztlich zu einer Verurteilung kommen muß, weil § 371 Abs. 3 AO anzuwenden ist; denn die Gründe lassen nicht erkennen, daß sich das Gericht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die zur Nachentrichtung der Steuern gesetzte Frist angemessen ist.

In welcher Weise die Angemessenheit der Frist zu berücksichtigen ist, wird zwar in Rechtsprechung und Schrifttum kontrovers erörtert. Insbesondere ist nicht endgültig geklärt, ob und wie die Fristsetzung gesondert angefochten werden kann oder ob – so die überwiegende Auffassung – deren Angemessenheit im Strafverfahren als Vorfrage zu prüfen ist (vgl. BFHE 135, 145 (147 ff); Franzen in Franzen/Gast/Samson, Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 1978, § 371 Rdnr. 145 f.; Hübner in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Stand 1977, § 371 Rdnr. 70 ff.; Pfaff, Kommentar zur steuerlichen Selbstanzeige, 1977, S. 173 ff.; jeweils m. w. N.).

Der Vorlagebeschluß läßt aber nicht erkennen, welche Meinung das vorlegende Gericht zu diesen Fragen vertritt, welche Erwägungen zur Frage der Angemessenheit der Frist im konkreten Falle anzustellen wären (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, NJW 1974, S. 1577 f. m. w. N.) und zu welchem Ergebnis dies führen würde.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1619388

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