Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Bestimmtheit einer Ermächtigungsnorm. Steuerermäßigung für Erfinder bei Verwertung der Erfindung im eigenen Gewerbebetrieb

 

Leitsatz (amtlich)

Artikel II Ziffer 2 Buchstabe e des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 (Bundesgesetzbl. S. 95) verstieß gegen Artikel 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes und war deshalb nichtig.

 

Normenkette

ErfV; GG Art. 80 Abs. 1 S. 2

 

Gründe

A.

I.

1. Durch Erlaß vom 11. September 1944 (RStBl 1944 S. 586 Nr. 435) regelte der Reichsminister der Finanzen die einkommensteuerliche Behandlung der Einkünfte der freien Erfinder aus ihren Erfindungen. Die Vorschriften begünstigten die Erfindertätigkeit, die außerhalb eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt wurde und auf die Erzielung einer patentfähigen, wehrwirtschaftlich oder volkswirtschaftlich wichtigen Erfindung gerichtet war. Für die steuerliche Behandlung der Erfindervergütungen bei Arbeitnehmern galt der Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 10. September 1943 (RStBl 1943 S. 701 Nr. 685). Bezüglich der Einkünfte der freien Erfinder bestimmte Nr. 6 des Erlasses vom 11. September 1944:

Die anteilige Einkommensteuer, die sich auf Grund der Einkommensteuertabelle ergibt, wird nur zur Hälfte erhoben …

Der Erlaß vom 11. September 1944 stützte sich ausdrücklich nur auf § 17 Abs. 2 Satz 1 der Reichsabgabenordnung vom 22. Mai 1931 (RGBl I S. 161). Diese Bestimmung der Reichsabgabenordnung in der 1944 geltenden Fassung hatte folgenden Wortlaut:

§ 17

(1) Die Reichssteuern werden von Reichsbehörden verwaltet (Finanzbehörden).

(2) Die oberste Leitung steht dem Reichsminister der Finanzen zu …

2. Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes enthielt erstmals das Gesetz zur Änderung des Einkommensteurgesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 (BGBl S. 95) eine Regelung über die einkommensteuerliche Behandlung der Erfinder. Die Bestimmung beschränkte sich in Art II Ziff. 2 Buchst e auf die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen und lautete:

Artikel II

Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates

  1. Bestimmungen durch Rechtsverordnung zu erlassen:

    a) bis d) …

    e) über die steuerliche Behandlung von Erfindervergütungen;

Auf Grund dieser Ermächtigung erließ die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951 (BGBl I S. 387). Diese Verordnung hob den Erlaß des Reichsministers der Finanzen (RdF-Erlaß) vom 11. September 1944 nicht ausdrücklich auf. Sie enthält aber eine Reihe von Regelungen, die dem RdF-Erlaß vom 11. September 1944 inhaltlich entsprechen; die Regelung stellt jetzt nur noch darauf ab, ob die Erfindertätigkeit, auf die ein Nachlaß gewährt werden kann, volkswirtschaftlich wertvoll ist. Sie bestimmt, daß die anteilige Einkommensteuer für die Einkünfte aus der begünstigten freien Erfindertätigkeit auf Antrag nur zur Hälfte erhoben wird. Der wesentliche Unterschied zu den Bestimmungen des RdF-Erlasses vom 11. September 1944 liegt darin, daß die Verordnung vom 30. Mai 1951 die Ermäßigung der anteiligen Einkommensteuer bis auf die Hälfte dann nicht gestattet, wenn der Erfinder seine Erfindung im eigenen gewerblichen Betrieb verwertet. § 4 der Verordnung lautet:

§ 4

Begünstigung der nicht im eigenen gewerblichen Betrieb verwerteten Erfindung

Liegen die Voraussetzungen des § 3 vor und wird die Erfindung nicht im eigenen gewerblichen Betrieb verwertet, gilt folgendes:

  1. Die anteilige Einkommensteuer, die sich für die Einkünfte aus freier Erfindertätigkeit im Verhältnis zum Gesamtbetrag der Einkünfte auf Grund der Steuer, die für das gesamte Einkommen nach der Einkommensteuertabelle festzusetzen wäre, ergibt, wird auf Antrag für die Versuchszeit und für den Veranlagungszeitraum, in dem die Verwertung beginnt, und für die 8 folgenden Veranlagungszeiträume, bei patentierten Erfindungen höchstens aber für die Laufzeit des Patents, nur zur Hälfte erhoben …

Die Verordnung galt nach § 6 erstmalig für den Veranlagungszeitraum 1950. Bis dahin wurde von der Praxis im allgemeinen noch der RdF-Erlaß vom 11. September 1944 angewandt.

3. Abschnitt I § 1 Nr. 20 des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 27. Juni 1951 (BGB I S. 411) fügte die Ermächtigungsvorschrift des Art. II Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 wörtlich gleichlautend als § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e in das Einkommensteuergesetz ein. Dieses Gesetz hob Art. II Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 zwar nicht ausdrücklich auf; die frühere Regelung wurde aber durch ihre wörtliche Übernahme in das Einkommensteuergesetz gegenstandslos.

4. Abschnitt I Art. 1 Nr. 46 des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (BGBl I S. 373) faßte die gesetzliche Ermächtigung zur Regelung der einkommensteuerlichen Behandlung von Erfindervergütungen genauer. Seither lautet die Bestimmung:

§ 51 EStG

(1) Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates

  1. Vorschriften durch Rechtsverordnung zu erlassen

    a)–c) …

    d) über eine Ermäßigung der Einkommensteuer bis auf die Hälfte der Einkünfte, die freie Erfinder aus volkswirtschaftlich wertvollen Versuchen oder Erfindungen haben, und über den Abzug der durch die Erfindertätigkeit verursachten Aufwendungen und Verluste sowie über das zeitliche Ausmaß dieser Begünstigungen;

    e) über eine Ermäßigung der Lohnsteuer bis auf die Hälfte der Vergütungen, die Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern für schutzfähige und aus der Arbeit des Arbeitnehmers im Betrieb entstandene Erfindungen zahlen, sowie über die Abgeltung der Einkommensteuer im Fall der Veranlagung;

II.

1. Der Berufungsführer des Ausgangsverfahrens betreibt eine Fabrik zur Herstellung von Transportanlagen, insbesondere von Transportbändern, Becherwerken, Schnecken und Kastenförderern. Er hat auf diesem Gebiet eine Reihe von Erfindungen gemacht, die er im eigenen gewerblichen Betrieb verwertet. Der Minister für Wirtschaft und Verkehr von Nordrhein-Westfalen hat die volkswirtschaftliche Wichtigkeit seiner Erfindungen anerkannt. Im Veranlagungszeitraum 1951 rührten die Betriebseinnahmen des Berufungsführers zu 68 % aus Lieferungen her, bei denen seine Erfindungen verwertet worden waren.

2. Für den Veranlagungszeitraum 1951 beantragte der Berufungsführer zunächst die Steuerbegünstigung gemäß § 32 b EStG in der Fassung des Gesetzes vom 27. Juni 1951 (BGBl I S. 411). Gleichzeitig beantragte er den begünstigten Steuersatz für freie Erfinder gemäß Nr. 6 des RdF-Erlasses vom 11. September 1944. Er hält diesen Erlaß für fortgeltendes Recht im Sinne von Art. 123 Abs. 1 GG, das nach seiner Meinung bisher nicht wirksam außer Kraft gesetzt worden sei. Die Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951 habe nicht an die Stelle dieser Rechtsvorschrift treten können; sie sei rechtsunwirksam, weil die Ermächtigungsnorm in Art. II Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950, auf der die Verordnung beruhe, gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verstoße. Der RdF-Erlaß vom 11. September 1944 sei also weiterhin anzuwenden; der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes könne es daher nicht entgegenstehen, daß er seine Erfindungen im eigenen Betrieb verwerte.

3. Das zuständige FA wendete im Einkommensteuerbescheid für 1951 antragsgemäß nach § 32 b EStG 1951 den Körperschaftsteuersatz an, versagte aber die Steuerbegünstigung für freie Erfindertätigkeit. Der Einspruch des Berufungsführers blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung heißt es, daß schon die Wahl des Körperschaftsteuersatzes nach § 32 b EStG 1951 eine weitere Tarifvergünstigung nach Einkommensteuerrecht ausschließe; auf die Frage der Fortgeltung des RdF-Erlasses vom 11. September 1944 komme es bei dieser Entscheidung nicht an.

4. a) Mit der Berufung vor dem FG hat der Steuerpflichtige die Einspruchsentscheidung, die den Einkommensteuerbescheid für 1951 betrifft, aus den bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründen angefochten.

b) Das FA hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und zwar in erster Linie aus den schon in der Einspruchsentscheidung angeführten Gründen. Für den Fall, daß auch die Möglichkeit einer Steuervergünstigung für freie Erfindertätigkeit bejaht werden sollte, führte es aus: Der RdF-Erlaß vom 11. September 1944 sei zwar bis zum Inkrafttreten der Verordnung vom 30. Mai 1951 eine gültige Rechtsnorm gewesen; für den hier streitigen Veranlagungszeitraum 1951 sei aber bereits die Verordnung vom 30. Mai 1951 anzuwenden, die bei Verwertung von Erfindungen im eigenen gewerblichen Betrieb des Erfinders eine Herabsetzung der anteiligen Einkommensteuer nicht mehr zulasse. Die Ermächtigung in Art. II Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950, auf der die Verordnung beruhe, verstoße nicht gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, da sie sich nach Inhalt und Zweck nur auf den Erlaß von begünstigenden Regelungen beziehe.

c) Das FG beschloß am 23. Juni 1965, das Berufungsverfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob Art. II Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 verfassungswidrig sei.

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, daß ein Steuerpflichtiger, wenn er die Anwendung des Körperschaftsteuersatzes gemäß § 32 b EStG 1951 verlange, nicht zusätzlich eine Herabsetzung der Einkommensteuer für freie Erfindertätigkeit beantragen könne; es sei, wenn zwei nicht miteinander zu vereinbarende Vergünstigungen beantragt seien, die für den Steuerpflichtigen günstigere Vorschrift anzuwenden. Für den Berufungsführer sei im vorliegenden Fall die Steuervergünstigung für freie Erfindertätigkeit vorteilhafter als die Anwendung des Körperschaftsteuersatzes gemäß § 32 b EStG 1951. Da eine Herabsetzung der Einkommensteuer für Einkünfte aus freier Erfindertätigkeit im Falle der Verwertung der Erfindungen im eigenen gewerblichen Betrieb des Erfinders jedoch nur nach dem RdF-Erlaß vom 11. September 1944, nicht aber nach der Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951 möglich sei, komme es für die Entscheidung auf die Frage an, ob die Verordnung vom 30. Mai 1951 den RdF-Erlaß vom 11. September 1944 aufgehoben habe. Das Gericht schließe sich der in Rechtsprechung und Literatur mehrfach vertretenen Ansicht an, daß es bei der Beurteilung der Rechtsnormqualität von Milderungserlassen des früheren Reichsministers der Finanzen entscheidend darauf ankomme, ob der Erlaß inhaltlich Steuerfreiheit für eine Mehrheit gleichartiger Tatbestände gewährt habe, für die ein durch Gesetz gewährleisteter Befreiungsanspruch nicht gegeben gewesen sei. Habe ein solcher Erlaß derartige Regelungen zum Inhalt gehabt, und hätte er deshalb auf § 13 AO a. F. gestützt werden können und sollen, so sei er trotz des Hinweises auf § 17 AO a. F. als Milderungserlaß im Sinne von § 13 AO a. F. anzusehen. Milderungserlasse gemäß § 13 AO a. F. seien auch dann als Rechtsnormen im steuergerichtlichen Verfahren anzuwenden, wenn sie nur im Reichssteuerblatt verkündet worden seien. An die Rechtsetzung eines autoritären Regimes dürften jedenfalls dann nicht dieselben strengen Maßstäbe angelegt werden wie an die Rechtsetzung eines demokratischen Rechtsstaates, wenn es sich um Bestimmungen zugunsten des Steuerpflichtigen handele. Der BFH habe in zwei Entscheidungen (vom 18. Dezember 1958 und 16. Juli 1959 – IV 227/56 –) den Rechtsnormcharakter des RdF-Erlasses vom 11. September 1944 und sein Fortgelten gemäß Art. 123 Abs. 1 GG ausdrücklich bejaht. Dieser Erlaß habe nur durch eine Rechtsnorm aufgehoben oder inhaltlich ersetzt werden können. Beruhe die Verordnung vom 30. Mai 1951 auf einer verfassungswidrigen Ermächtigung, so sei sie nichtig; in diesem Falle sei für den Veranlagungszeitraum 1951 der RdF-Erlaß vom 11. September 1944 anzuwenden, der im Falle des Berufungsführers die Gewährung der Steuervergünstigung für freie Erfindertätigkeit gebiete. Sei die Ermächtigung dagegen gültig, so sei auch die Verordnung vom 30. Mai 1951 gültig; in diesem Falle sei der RdF-Erlaß vom 11. September 1944 noch vor Entstehung der Steuerschuld für den Veranlagungszeitraum 1951 durch die Verordnung vom 30. Mai 1951 ersetzt und außer Kraft gesetzt worden; Steuervergünstigungen für Einkünfte aus der im eigenen Betrieb verwerteten Erfindertätigkeit seien daher nicht mehr zulässig.

Das FG hält Art. II. Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 (BGBl S. 95) wegen Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG für verfassungswidrig. Diese Ermächtigungsnorm lasse auch durch Auslegung kaum etwas über Inhalt und Zweck und erst recht nichts über das Ausmaß der zu erlassenden Rechtsverordnung erkennen.

III.

1. Der BdF ist der Auffassung, die vom FG zur Überprüfung gestellte Rechtsnorm sei für das Ausgangsverfahren nicht entscheidungserheblich.

Der RdF-Erlaß vom 11. September 1944 sei keine Rechtsnorm, sondern nur eine Verwaltungsanordnung gewesen. Dies ergebe sich bereits aus der Tatsache, daß der Erlaß nur im Reichssteuerblatt verkündet worden sei. Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 13. Oktober 1923 (RGBl I S. 959) hätte der Erlaß, um Rechtsnormqualität zu erlangen, im Reichsgesetzblatt, im Reichsministerialblatt oder im Deutschen Reichsanzeiger verkündet werden müssen. Im Geschäftsbereich des Reichsministers der Finanzen sei bis Kriegsende darauf geachtet worden, daß Erlasse, die Rechtsnormqualität erhalten sollten, in den gesetzlich bestimmten Verkündungsblättern veröffentlicht wurden. Habe der RdF-Erlaß vom 11. September 1944 deshalb vor Inkrafttreten des Grundgesetzes keine Rechtsnormqualität besessen, so seien seine Bestimmungen auch nicht fortgeltendes Recht im Sinne von Art. 123 Abs. 1 GG geworden. Es habe keiner Rechtsnorm bedurft, um diesen Erlaß aufzuheben. Die Bundesregierung habe bei Erlaß der Verordnung vom 30. Mai 1951 selbst dann, wenn diese Verordnung mangels einer verfassungsmäßigen Ermächtigung als Rechtsverordnung nichtig sein sollte, doch auf jeden Fall ihren Willen zur Aufhebung des RdF-Erlasses vom 11. September 1944 im Verwaltungswege wirksam zum Ausdruck gebracht. Der RdF-Erlaß könne im vorliegenden Fall also nicht mehr angewandt werden, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Verordnung vom 30. Mai 1951 eine verfassungsmäßige Ermächtigung zugrunde liege oder nicht.

2. Der Vorsteher des FA hält im Gegensatz zu seiner Stellungnahme im Ausgangsverfahren den RdF-Erlaß vom 11. September 1944 nicht mehr für eine Rechtsnorm, sondern für eine Verwaltungsanordnung. Aus den gleichen Gründen wie der BdF verneint er die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsnorm und bezeichnet die gegenteilige Auffassung des vorlegenden Gerichts als offensichtlich unhaltbar. Die Ermächtigungsnorm in Art. II Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes vom 29. April 1950 ist nach seiner Auffassung mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Eine Norm, die nur dazu ermächtige, steuerliche Vergünstigungen aus vorkonstitutionellen Verwaltungsanordnungen zu beseitigen, brauche inhaltlich nicht so bestimmt zu sein wie eine Ermächtigung zur Auferlegung neuer Belastungen. Außerdem lasse sich die Ermächtigungsnorm, die hier umstritten sei, von der Entstehungsgeschichte her hinreichend deutlich auslegen. Da die Rechtsnatur des RdF-Erlasses vom 11. September 1944 nach Inkrafttreten des Grundgesetzes streitig gewesen sei, habe der Gesetzgeber die Rechtslage klären wollen.

3. a) Der BFH hat gemäß § 82 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG mitgeteilt, er habe die Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951 in mehreren Verfahren angewandt Erstmals im Urteil vom 25. Januar 1966 – VI 94/65 – habe der VI. Senat des BFH Zweifel daran geäußert, ob diese Ermächtigung den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entspreche; die Frage sei jedoch offengelassen worden, da es für die konkrete Entscheidung nicht auf die Gültigkeit dieser Vorschrift angekommen sei.

b) In ihrer Stellungnahme zu den Rechtsfragen des Vorlageverfahrens gemäß § 82 Abs. 4 Satz 2 BVerfGG bejahen die zuständigen Senate des BFH die Zulässigkeit der Vorlage, da die Rechtsauffassung des FG nicht offensichtlich unhaltbar sei.

Zu der in der Gerichtsvorlage aufgeworfenen Frage sind sie der Ansicht, die Ermächtigung des Art. II Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes vom 29. April 1950 sei mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar. Der Gesetzeswortlaut, der auch durch den Sinnzusammenhang mit anderen Vorschriften keine Aufhellung erfahre, lasse hinsichtlich des Inhaltes der zu erlassenden Rechtsverordnungen lediglich erkennen, daß es sich um die Regelung von Erfindervergütungen handeln müsse. Es sei weder zwischen Arbeitnehmererfindungen und freien Erfindungen noch zwischen eigener und fremder Verwertung der Erfindungen unterschieden. Zweck und Ausmaß der Ermächtigung seien völlig unbestimmt. Es sei nicht ersichtlich, wie weit die Steuervergünstigungen gehen könnten, und ob sie z.B. durch Einführung von Sondertarifen oder begünstigte Absetzungsmöglichkeiten herbeigeführt werden dürften. Anhaltspunkte dafür, daß die Ermächtigung nur an den RdF-Erlaß vom 11. September 1944 habe anknüpfen wollen und deshalb entsprechend eng auszulegen sei, seien nicht erkennbar.

Die Vorlage ist zulässig.

Die Auffassung des FG, der Erlaß des RdF habe als Rechtsnorm nach Inkrafttreten des Grundgesetzes fortgegolten, und es komme für seine Entscheidung auf die Gültigkeit der Ermächtigung in Art. II Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 an, ist nicht offensichtlich unhaltbar und deshalb vom Bundesverfassungsgericht hier ohne Prüfung auf ihre Richtigkeit zugrunde zu legen (vgl. u.a. BVerfGE 20, 350 [355]).

In der Begründung des Vorlagebeschlusses ist auch dargelegt, mit welcher Vorschrift des Grundgesetzes die vorgelegte Norm nach Auffassung des Gerichts nicht vereinbar sei.

C.

Art. II Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 war wegen Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nichtig.

1. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist dann verletzt, wenn eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen so unbestimmt ist, daß nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können. Der Gesetzgeber hat also selbst die Entscheidung zu treffen, daß bestimmte Fragen geregelt werden sollen; er muß die Grenzen einer solchen Regelung festsetzen und angeben, welchem Ziel sie dienen soll (BVerfGE 19, 361 ff. mit weiteren Nachweisen).

2. Die Ermächtigung des Art. II Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 genügte in ihrem Inhalt und in ihrem Ausmaß nicht den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.

a) Die Ermächtigung sollte es offenbar dem Verordnunggeber ermöglichen, die Einnahmen der Erfinder aus der Verwertung ihrer Erfindung steuerrechtlich zu begünstigen. Insoweit hatte der Zweck der Ermächtigung einen gewissen Rahmen für den Verordnunggeber gesetzt. Es blieb dennoch ein zu weites Feld, in dem der Verordnunggeber tätig werden konnte, ohne daß er an vom Gesetzgeber festgesetzte Grundsätze gebunden gewesen wäre. Die Ermächtigung ließ nicht erkennen, wie weit eine Begünstigung (voller oder nur teilweiser Steuernachlaß) gehen konnte (BVerfGE 7, 282 [297]) und durch welche steuertechnischen Mittel sie erreicht werden sollte (z.B. durch Einführung eines Sondertarifs oder durch begünstigte Absetzungsmöglichkeiten). Es war weiter nicht ersichtlich, ob und wie unterschieden werden durfte oder sollte zwischen Erfindungen der Arbeitnehmer und denjenigen der freien Erfinder. Auch für andere Möglichkeiten der Differenzierung von Erfindungen und Erfindern gab die Ermächtigung keinen Anhaltspunkt. Dem Verordnunggeber war ein unverhältnismäßig großer, nicht berechenbarer Spielraum gelassen. Der Staatsbürger konnte daher nicht erkennen, mit welcher Tendenz von der Ermächtigung Gebrauch gemacht würde und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben könnten. Das entspricht nicht dem Sinn des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 7, 282 [30]; 19, 354 [376]).

Der Gleichheitssatz allein stellt eine ausreichende Begrenzung des Inhalts einer Ermächtigung nicht dar (BVerfGE 7, 282 [297]). Der Verordnunggeber, der nur an den Gleichheitssatz gebunden ist, kann unter verschiedenen, sachlich vertretbaren Gesichtspunkten Unterscheidungen treffen und daran jeweils verschiedene rechtliche Folgen knüpfen. Eine Ermächtigung muß aber die Grenzen enger ziehen und sachliche Grundsätze aufstellen, an die sich der Verordnunggeber zu halten hat. Wenn auch die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG bei Ermächtigungen zu belastenden Normen strenger sein mögen als bei Ermächtigungen zu begünstigenden Regelungen, so kann auch im letzteren Fall nicht darauf verzichtet werden, daß Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung hinreichend bestimmt sind. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG dient nicht nur dem Schutz des Staatsbürgers vor unvorhergesehenen Belastungen seitens der Exekutive, sondern auch und in erster Linie der rechtsstaatlich gebotenen klaren Abgrenzung der Rechtsetzung durch Legislative und Exekutive. Das Parlament soll sich seiner Verantwortung als gesetzgebender Körperschaft nicht dadurch entschlagen können, daß es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Regierung überträgt, ohne die Grenzen dieser übertragenen Kompetenz bedacht und bestimmt zu haben (BVerfGE 1, 14 [60]).

b) Aus dem Sinnzusammenhang mit anderen Bestimmungen, aus dem Ziel des Gesetzes und aus der Entstehungsgeschichte sind Auslegungshilfen nicht zu gewinnen. Das Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 diente im wesentlichen der Einführung eines neuen Einkommensteuertarifs. Im Entwurf der Bundesregierung vom 12. Dezember 1949 (BT-Drucks. I/317) war die Ermächtigungsvorschrift des späteren Art. II Ziff. 2 Buchst. e noch nicht enthalten, und auch an anderer Stelle beschäftigte sich der Entwurf nicht mit den Erfindervergütungen. Erst in der 14. Sitzung des BT-Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen vom 3. Februar 1950 wurde vorgeschlagen, Art. II Ziff. 2 Buchst. e in der dann Gesetz gewordenen Form einzufügen. Eine ausdrückliche Begründung dafür hat der Ausschuß nicht gegeben.

c) Der Bundesgesetzgeber war später offenbar selbst der Auffassung, daß die Ermächtigungsnorm in Art. II Ziff. 2 Buchst. e des Gesetzes vom 29. April 1950 nicht hinreichend bestimmt war. Bei der Neufassung der Ermächtigung durch Abschnitt I Art. 1 Nr. 46 des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (BGBl I S. 373) wies die Begründung ausdrücklich darauf hin, daß nun Zweck und Ausmaß der Ermächtigung näher umschrieben würden (BT-Drucks. II/481 zu § 51 Abs. 1 Ziff. 2 Buchst. d bis f EStG, S. 100).

Diese Entscheidung wurde mit 5 gegen 2 Stimmen getroffen.

 

Fundstellen

BStBl II 1968, 296

BVerfGE 23, 62

BVerfGE, 62

DB 1968, 467

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