Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Berücksichtigung von Kinderunterhalt in Veranlagungszeitraum 1981 verfassungsgemäß

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Steuergerechtigkeit gebietet, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten; deshalb sind auch unvermeidbare Ausgaben im privaten Bereich – wie zwingende Unterhaltsverpflichtungen – einkommensteuerlich zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für die Beurteilung, ob der Gesetzgeber unabweisbare Unterhaltsaufwendungen realitätsfremd außer acht gelassen hat, liefert das sozialrechtlich gewährleistete Existenzminimum.

2. Dem verfassungsrechtlich unbedenklichen Grundsatz des Kinderlastenausgleichs, die üblichen Unterhaltsaufwendungen für ein Kind durch Kindergeld oder Leistungen im Sinne des § 8 Abs. 1 BKGG abzugelten, entspricht es, für Unterhaltszahlungen an Kinder, für die Kindergeld beansprucht werden kann, keinen Steuerfreibetrag nach § 33 a Abs. 1 EStG zu gewähren.

3. Die Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch zwangsläufige Unterhaltsverpflichtungen für Kinder wurde im Jahr 1981 auch nach den vom Gesetzgeber selbst gesetzten Maßstäben nicht realitätsfremd berücksichtigt.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; EStG 1981 § 10 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 3, §§ 32, 32a Abs. 1 Nr. 1, § 33a Abs. 1, 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 26.05.1987; Aktenzeichen VI B 92/86)

Schleswig-Holsteinisches FG (Urteil vom 15.05.1986; Aktenzeichen V 267/83)

 

Gründe

1. a) Nach ständiger Rechtsprechung (BVerfGE 43, 108 ≪120≫ m.w.N.; 61, 319 ≪343 f.≫; 66, 214 ≪223 f.≫; 67, 290 ≪297 f.≫; 68, 143 ≪152 f.≫) ist es ein grundsätzliches Gebot der durch Art. 3 Abs. 1 GG verbürgten Steuergerechtigkeit, die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Daraus ergibt sich, daß auch solche Ausgaben einkommensteuerrechtlich bedeutsam sind, die außerhalb der Sphäre der Einkommenserzielung – also im privaten Bereich – anfallen und für den Steuerpflichtigen unvermeidbar sind. Die wirtschaftliche Belastung durch Unterhaltsverpflichtungen ist ein besonderer, die Leistungsfähigkeit beeinträchtigender Umstand. Diese unabweisbare Sonderbelastung darf der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen die Steuergerechtigkeit nicht außer acht lassen. Daraus folgt, daß er für die steuerliche Berücksichtigung zwingender Unterhaltsverpflichtungen nicht realitätsfremde Grenzen ziehen darf (BVerfGE 66, 214 ≪223≫; 67, 290 ≪297≫; 68, 143 ≪153≫). Darüber hinaus darf der Gesetzgeber das einmal gewählte Ordnungsprinzip nicht ohne weiteres unbeachtet lassen. Eine Systemwidrigkeit führt zwar für sich allein noch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Verletzung der vom Gesetz selbst statuierten Sachgesetzlichkeit kann jedoch einen solchen Verstoß indizieren (BVerfGE 66, 214 ≪224≫; 67, 290 ≪298≫).

b) Die Beseitigung des dualen Kinderlastenausgleichs durch Art. 2 des Einkommensteuerreformgesetzes vom 5. August 1974 (BGBl. I S. 1769) und die Ersetzung durch ein einheitliches, vom Einkommen der Eltern unabhängiges Kindergeld hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 43, 108 ≪121 ff.≫; 45, 104 ≪120 f.≫) als vereinbar mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG beurteilt. Diesem verfassungsrechtlich unbedenklichen Grundsatz der seinerzeitigen Reform des Kinderlastenausgleichs, die üblichen Unterhaltsaufwendungen für ein Kind durch Kindergeld oder Leistungen im Sinne des § 8 Abs. 1 BKGG abzugelten, entspricht es, für Unterhaltszahlungen an Kinder, für die Kindergeld beansprucht werden kann, keinen Steuerfreibetrag nach § 33 a Abs. 1 EStG zu gewähren.

c) Zur Beantwortung der Frage, ob der Steuergesetzgeber unabweisbare Unterhaltsaufwendungen realitätsfremd außer acht gelassen und damit gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verstoßen hat, kann das Sozialhilferecht wesentliche Anhaltspunkte liefern. Das sozialhilferechtlich gewährleistete Existenzminimum, das jeweils verbrauchsbezogen ermittelt wird, soll eine menschenwürdige Lebensführung ermöglichen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG). Es wird regelmäßig den steigenden Lebenshaltungskosten angepaßt (BVerfGE 66, 214 224≫; 67, 290 ≪298≫).

Das Kindergeld betrug 1981 gemäß § 10 BKGG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1981 vom 1. Februar 1981 an monatlich für das erste Kind 50 DM, für das zweite Kind 120 DM und ab dem dritten Kind 240 DM. Rechnet man das Kindergeld, wie es das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 43, 108 ≪122 f.≫) für geboten erachtet hat und wie es aus Sachgründen auch gerechtfertigt ist, auf einen steuerlichen Freibetrag um und legt man den im Jahr 1981 bestehenden Anfangssteuersatz von 22 v. H. (§ 32 a Abs. 1 Nr. 2 EStG 1981) zu grunde, so ergeben sich – fiktive steuerliche – Entlastungsvolumina in Höhe von 2727 DM für das erste Kind, 6363 DM für das zweite Kind und 12 909 DM ab dem dritten Kind.

Bei einem Vergleich mit dem entsprechenden Regelsatz ist freilich nicht allein auf das Kindergeld abzustellen. Vielmehr sind die weiteren steuerlichen Entlastungen mit einzubeziehen (BVerfGE 43, 108 ≪121 f.≫; 45, 104 ≪125≫).

Im Streitjahr erhielten die Beschwerdeführer den kindbezogenen Erhöhungsbetrag für die nur beschränkt abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen (vgl. § 10 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a und Nr. 3 EStG) in Höhe von 900 DM je Kind. Ferner wurde ihnen der durch das Steueränderungsgesetz 1979 eingeführte Kinderbetreuungsbetrag in Höhe von 1200 DM je Kind bis zu der von der Verwaltung festgelegten Nichtbeanstandungsgrenze (vgl. dazu Littmann, EStG, 14. Aufl., § 33 a Rz. 101) von 600 DM je Kind gewährt.

Allein diese drei Entlastungskomponenten mit insgesamt 4227 DM übersteigen, bezogen auf das erste Kind, den für 1981 für Schleswig-Holstein festgesetzten Regelsatz von rund 3540 DM/Jahr erkennbar. Noch deutlicher wird dieses Verhältnis bei einem Vergleich mit den Entlastungsbeträgen für das zweite Kind in Höhe von 7863 DM und 14 409 DM bezüglich des dritten Kindes.

Für das zweite Kind wurde dem Beschwerdeführer zudem ein anteiliger Ausbildungsfreibetrag in Höhe von 1050 DM gemäß § 33 a Abs. 2 Nr. 2 EStG gewährt.

Es braucht hier deshalb nicht abschließend untersucht zu werden, in welchem Umfang weitere steuerliche Maßnahmen wie die familienbezogene Staffelung der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG sowie außersteuerliche Leistungen des Staates im Schul-, Bildungs- und Ausbildungsystem, die die unterhaltspflichtigen Eltern ebenfalls wirtschaftlich entlasten (vgl. BVerfGE 43, 108 ≪121 f.≫; 45, 104 ≪125≫), zu berücksichtigen sind.

Die Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch zwangsläufige Unterhaltsverpflichtungen wurde im Jahr 1981 auch nach den vom Gesetzgeber selbst gesetzten Maßstäben nicht realitätsfremd berücksichtigt, wenn der für 1981 maßgebende Grundfreibetrag der Einkommensteuertabelle in Höhe von 4212 DM (§ 32 a Abs. 1 Nr. 1 EStG 1981), der das Existenzminimum für einen erwachsenen Steuerpflichtigen (vgl. BVerfGE 66, 214 ≪225≫) steuerfrei lassen soll (BTDrucks. 11/481 S. 66; BVerfGE 43, 1 ≪9≫; 66, 214 ≪225≫; 67, 290 ≪298≫) der oben dargestellten Entlastung von Unterhaltsverpflichtungen für Kinder in intakten Familien gegenübergestellt wird.

d) Der Steuergesetzgeber kann die steuerliche Leistungsfähigkeit mindernden Umstände im Steuerrecht selbst berücksichtigen. Er hat grundsätzlich aber auch die Wahl, derartige Umstände ausnahmsweise im Steuerrecht nicht oder nur am Rande zu berücksichtigen und sie statt dessen als förderungswürdigen Tatbestand im Sinne des Sozialrechts zu regeln. Die Berücksichtigung der verminderten Leistungsfähigkeit ist dann insoweit aus dem Steuerrecht ausgegliedert und als Förderungsaufgabe dem Sozialrecht zugewiesen. Geschieht dies, ist bei der Festsetzung der Sozialleistung oder bei deren Änderung die im Steuerrecht vernachlässigte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 43, 108 ≪125≫; 61, 319 ≪354≫).

Solange der Gesetzgeber, sich somit für ein sozialrechtliches Kindergeldsystem wie im Streitjahr 1981 entschieden hat, unterliegt die Angemessenheit dieser sozialrechtlichen Leistungen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht der abschließenden Beurteilung der Finanzgerichte. Nach den Ausführungen unter Ziff. 1 c bedarf es freilich keiner abschließenden Entscheidung, ob insoweit für das Streitjahr eine Prüfung im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen die Steuerfestsetzung vorzunehmen ist.

e) Das Finanzgericht ist im Ausgangsverfahren zutreffend von der seitherigen Rechtsprechung ausgegangen, wonach sich die von Verfassungs wegen gebotene Entlastung des Kinderunterhalts lediglich am Existenzminimum ausrichten, also den tatsächlichen oder auch nur den zivilrechtlich bedingten Unterhalt nicht voll abdecken muß (vgl. BVerfGE 43, 108 ≪122, 125≫; 61, 319 ≪344≫), sondern allein zwingende und unvermeidbare Aufwendungen umfaßt (vgl. BVerfGE 68, 143 ≪153≫).

Zu einer verfassungsrechtlichen Beanstandung hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung erkennbar nicht bereits dann veranlaßt gesehen, wenn die Entlastung rechnerisch den Regelsatz – geringfügig – unterschritten hat. Ausschlaggebend für die Annahme einer realitätsfernen Bemessung war vielmehr die über ein Jahrzehnt unterlassene Anpassung der Freibeträge gemäß § 33 a Abs. 1 EStG obwohl der Regelsatz jeweils verbrauchsbezogen wiederholt in diesem Zeitraum angehoben worden war (vgl. BVerfGE 66, 214 ≪224≫; 67, 290 ≪298≫).

f) Die historische Betrachtung der Beschwerdeführer führt hinter die unter Buchst. a zitierte Rechtsprechung zurück. Sie läßt insbesondere sowohl die tatsächlichen steuerlichen Verhältnisse wie auch das soziale Umfeld außer acht (eingeschränktes Kindergeld, Schulgeld, Studiengebühren, fehlende Lernmittelfreiheit, die längere Kindergartenförderung etc.).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 34 Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1556564

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