Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitwert bei Untersagung der Hilfeleistung in Steuersachen. Wirksamkeit der Rücknahme einer Revision. gleichzeitige Einlegung von Nichtzulassungsbeschwerde und Revision

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Beschluß des BFH, wonach der Wert des Rechtsstreits über die Untersagung der Hilfeleistung in Steuersachen nach den Einkünften zu bemessen ist, die der von der Untersagungsverfügung Betroffene in dem der Verfügung vorangegangenen Kalenderjahr aus der nunmehr untersagten Tätigkeit erzielt hat, verletzt kein Verfassungsrecht.

2. Der BFH trägt den besonderen Schwierigkeiten, die im finanzgerichtlichen Verfahren bei dem Zugang zur Revisionsinstanz auftreten können, weil von dem Wert des Streitgegenstandes abhängt, ob die Revision der Zulassung bedarf oder nicht (vgl. FGO § 115 Abs. 1), und weil die Feststellung dieses Wertes ungewiß sein kann, Rechnung. Er hält die gleichzeitige Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und der Revision – wobei immer nur eines dieser Rechtsmittel zulässig sein kann – für möglich. Auch werden an die in diesem Zusammenhang abgegebenen prozessualen Erklärungen keine strengen Anforderungen gestellt. Damit ist dem verfassungsrechtlichen Gebot, wonach der Rechtsweg nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf, in der Regel hinreichend Genüge getan.

3. Zur Einlegung einer Revision unter dem Vorbehalt, daß sie aufgrund Zulassung nach Nichtzlassungbeschwerde bzw. daß sie ohne Zulassung aufgrund des Streitwertes zulässig ist.

4. Zur Rückgängigmachung einer Revisionsrücknahme bzw. neuerlichen Einlegung der Revision nach vorheriger Revisionsrücknahme wegen eventueller mißverständlicher Hinweise des Senatsvorsitzenden ggf. mittels Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

 

Normenkette

ZPO § 3; FGO § 155; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 S. 1; FGO §§ 56, 115

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 12.12.1978; Aktenzeichen VII B 50/78; BFHE 126, 509)

 

Gründe

Die Frage, wann für die Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 3 FGO ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, und die damit zusammenhängende Frage, wie der für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 1 FGO maßgebliche Wert des Streitgegenstands zu bestimmen ist, sind in erster Linie Fragen des einfachen Verfahrensrechts, dessen Auslegung und Anwendung vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht nachgeprüft wird. Der Bundesfinanzhof hat bei seiner Entscheidung die Tragweite der Grundrechte des Beschwerdeführers jedenfalls nicht verkannt.

Gegen die Entscheidung bestehen im Hinblick auf die Berechnung des Wertes des Streitgegenstands keine verfassungsrechtlichen Bedenken; insoweit hat der Beschwerdeführer auch keine Rügen vorgebracht. Der Beschluß des Bundesfinanzhofs verletzt Verfassungsrecht aber auch insofern nicht, als er das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde verneint hat.

1. Die Entscheidung verstößt insoweit insbesondere nicht gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

a) Diese Bestimmung überläßt die nähere Ausgestaltung des Rechtswegs den jeweils geltenden Prozeßordnungen (BVerfGE 10, 264 [267 f.]; 27, 297 [310]). Der Zugang zu den Gerichten kann auch durch allgemeine prozeßrechtliche Grundsätze bestimmt sein, etwa durch den Grundsatz, daß ein Rechtsbehelf nur zulässig ist, wenn für ihn ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet nicht, daß die Prozeßordnungen einen Instanzenzug zur Verfügung stellen (BVerfGE 11, 232 [233]; 28, 21 [36]; 40, 272 [274]). Die Bestimmung garantiert aber die Wirksamkeit des Rechtsschutzes; der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Rechtsweg darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfGE 10, 264 [268]; st. Rspr.). Das gilt nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, es gilt auch für die Warnehmung aller Instanzen, die eine Prozeßordnung jeweils vorsieht (BVerfGE 40, 272 [275]).

b) Der Bundesfinanzhof trägt den besonderen Schwierigkeiten, die im finanzgerichtlichen Verfahren bei dem Zugang zur Revisionsinstanz auftreten können, weil von dem Wert des Streitgegenstandes abhängt, ob die Revision der Zulassung bedarf oder nicht (vgl. § 115 Abs. 1 FGO), und weil die Feststellung dieses Wertes ungewiß sein kann, Rechnung. Er hält die gleichzeitige Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und der Revision – wobei immer nur eines dieser Rechtsmittel zulässig sein kann – für möglich (vgl. etwa BFHE 103, 42). Auch werden an die in diesem Zusammenhang abgegebenen prozessualen Erklärungen keine strengen Anforderungen gestellt (vgl. BFHE 127, 135 f.; s.a. BVerfGE 40, 272 [275]). Damit ist dem verfassungsrechtlichen Gebot, wonach der Rechtsweg nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf, in der Regel hinreichend Genüge getan. Ob und inwieweit dieses verfassungsrechtliche Gebot darüberhinaus auch bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen ist, ob für die Nichtzulassungsbeschwerde ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, bedarf keiner grundsätzlichen Klärung. Im vorliegenden Fall war der Bundesfinanzhof – auch mit Rücksicht auf die dem Beschwerdeführer erteilten Hinweise vom 27. Juli 1978 – von Verfassungs wegen jedenfalls nicht gehalten, ein Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde anzunehmen; ob dies nach einfachem Recht geboten war, beurteilt das Bundesverfassungsgericht nicht.

c) Es ist allerdings nicht auszuschließen, daß die dem Beschwerdeführer in dem Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 27. Juli 1978 erteilten Hinweise irreführend waren. Dies gilt zum einen für die Frage, ob der Beschwerdeführer die Einlegung der Revision in unzulässiger Weise von Bedingungen abhängig gemacht hatte. Zwar ist die Revision, die nur für den Fall ihrer Zulassung eingelegt wird, in der Regel unzulässig (BFHE 110, 393). Der Beschwerdeführer hatte freilich für den Fall, daß es einer Zulassung nicht bedürfen sollte (und somit eine Zulassung auch nicht in Betracht kam), die Revision ohne weitere Bedingung eingelegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs wird eine unter einem solchen Vorbehalt eingelegte Revision als zulässig angesehen (BFHE 127, 135 f.; vgl. auch BVerfGE 40, 272 [275]). Zum anderen war hinsichtlich der Berechnung des Wertes des Streitgegenstands für den Beschwerdeführer nicht ohne weiteres erkennbar, daß der in dem Schreiben vom 27. Juli 1978 verwendete Begriff des „Jahreseinkommens” nicht im Sinne der Begriffsbestimmungen des Einkommenssteuergesetzes (vgl. § 2 Abs. 4 EStG) verstanden werden sollte. Dies ergibt sich auch nicht aus der vom Bundesfinanzhof in dem angegriffenen Beschluß angeführten Entscheidung (BFHE 125, 435).

d) Die Hinweise vom 27. Juli 1978 haben nach eigenen Angaben des Beschwerdeführers dazu geführt, daß er die Revision zurücknahm, weil er sie – möglicherweise fälschlich – für unzulässig hielt. Allein dieser Umstand gebot es aber von Verfassungs wegen nicht, die Nichtzulassungsbeschwerde nunmehr als zulässig zu behandeln. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Es mag schon zweifelhaft sein, ob der Beschwerdeführer sich aufgrund der Hinweise vom 27. Juli 1978 ohne weiteres veranlaßt sehen mußte, seine Revision umgehend zurückzunehmen. Hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision waren seitens des Senatsvorsitzenden lediglich Bedenken geäußert worden. Zur Streitwertberechnung hatte er auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Grundsätze hingewiesen. Der Beschwerdeführer war aufgefordert worden, sich zur Zulässigkeit der Revision und zum Wert des Streitgegenstands zu äußern. Dies hätte ihm möglicherweise Veranlassung geben müssen, zunächst weiteres vorzutragen und jedenfalls von einer Rücknahme der Revision vorerst abzusehen.

Möglicherweise konnte oder kann der Beschwerdeführer auch noch die durch Rücknahme der Revision eingetretenen Folgen beseitigen. Hierfür könnten verschiedene prozessuale Wege in Betracht kommen: Der Bundesfinanzhof hat die Rücknahme eines Rechtsbehelfs durch einen Steuerpflichtigen als unwirksam angesehen, wenn sie durch eine unrichtige Belehrung der Finanzbehörde veranlaßt worden ist (BFHE 74, 284 [286 f.]; 104, 291 [294]).

Der IV. Senat hat es in seiner Stellungnahme im vorliegenden Verfahren offenbar nicht für von vornherein ausgeschlossen gehalten, die Unwirksamkeit einer Revisionsrücknahme auch wegen einer Auskunft durch das Gericht oder eines seiner Mitglieder in Betracht zu ziehen. Geht man von der Wirksamkeit der Revisionsrücknahme im vorliegenden Fall aus, so ist nicht auszuschließen, daß der Beschwerdeführer die Revision möglicherweise neuerlich hätte einlegen können oder noch einlegen kann. Zurücknahme der Revision bewirkt nur den Verlust des eingelegten Rechtsbehelfs (§ 125 Abs. 2 FGO). Die neuerliche Einlegung der Revision ist grundsätzlich denkbar (BFHE 86, 811 [812]). Freilich mag es insoweit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedürfen. Ob sie möglich ist, wäre zunächst vom Bundesfinanzhof zu beurteilen.

In dem vorliegenden Verfahren, dessen Gegenstand allein die Entscheidung des Bundesfinanzhofs über die Nichtzulassungsbeschwerde ist, bedarf es keiner Beurteilung, welche Entscheidung des Bundesfinanzhofs geboten wäre, sollte sich der Beschwerdeführer auf die Unwirksamkeit der Rücknahme der Revision berufen oder neuerlich die Revision einlegen und wegen der Versäumung der Revisionsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Darüber müßte der Bundesfinanzhof als das zuständige Fachgericht zunächst befinden. Daher wäre auch der Sinn der Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu beachten. Angesichts der vorstehend aufgezeigten Möglichkeiten liegt aber jedenfalls nicht schon darin eine unzumutbare, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigende Erschwerung des Zugangs zur Revisionsinstanz, daß der Bundesfinanzhof für die Nichtzulassungsbeschwerde ein Rechtsschutzbedürfnis verneint hat. Es erscheint ohnehin auch sachgerecht, zunächst die dargelegten Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, um die durch die Rücknahme der Revision eingetretenen Folgen zu beseitigen. Der Beschwerdeführer macht nämlich vor allem geltend, er sei durch die seiner Auffassung nach irreführenden und fehlerhaften Hinweise vom 27. Juli 1978 zur Rücknahme der Revision veranlaßt worden. Insofern liegt es nahe, zunächst den Versuch zu unternehmen, die Rücknahme der Revision nach Möglichkeit „rückgängig” zu machen.

2. Die angegriffene Entscheidung ist auch im Hinblick auf den aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Grundsatz der „fairen Verfahrensführung” (vgl. BVerfGE 26, 66 [71]; 38, 105 [111]; 49, 220 [225]) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch insofern war es jedenfalls nicht geboten, etwaigen Verfahrensfehlern durch die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses für die Nichtzulassungsbeschwerde „abzuhelfen”.

3. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist allein der Beschluß des Bundesfinanzhofs, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen wurde. In dem vorliegenden Verfahren kann demnach nicht nachgeprüft werden, ob die angefochtene behördliche Untersagungsverfügung mit dem Verfassungsrecht in Einklang steht.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1611067

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