Entscheidungsstichwort (Thema)

Regelung der bundeseigenen Verwaltung von Beförderungs- und Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

§ 9 Absatz 2 Satz 1 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) vom 6. September 1950 (Bundesgesetzbl. S. 448) – sodann § 9 Abs. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung in der Fassung des § 1 Absatz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Regelung finanzieller Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern (Viertes Überleitungsgesetz) vom 27. April 1955 (Bundesgesetzbl. I S. 189) – war, soweit sich diese Vorschrift auf die Verwaltung der Beförderungsteller bezog, mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Normenkette

FVG § 9 Abs. 2; GG Art. 35, 83, 85, 87, 108

 

Tatbestand

A.

I.

Für die Verwaltung der Beförderungsteuer galt bis zum Inkrafttreten des Finanzreformgesetzes vom 12. Mai 1969 (BGBl I S. 359) Art. 108 Abs. 1 GG vom 23. Mai 1949 (BGBl S. 1) in folgender Fassung:

„Zölle, Finanzmonopole, die der konkurrierenden Gesetzgebung unterworfenen Verbrauchsteuern, die Beförderungsteuer, die Umsatzsteuer und die einmaligen Vermögensabgaben werden durch Bundesfinanzbehörden verwaltet. Der Aufbau dieser Behörden und das von ihnen anzuwendende Verfahren werden durch Bundesgesetz geregelt. Die Leiter der Mittelbehörden sind im Benehmen mit den Landesregierungen zu bestellen. …”

Nach Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG ist die Bundesfinanzverwaltung in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau zu führen.

Das FVG vom 6. September 1950 (BGBl S. 448) traf folgende Regelung:

㤠9

Verwaltung der Umsatzsteuer und der Beförderung. Steuer

(1) Die Umsatzsteuer und die Beförderungsteuer werden durch die Oberfinanzdirektionen verwaltet, und zwar durch Verwaltungsangehörige des Bundes, die der Besitz- und Verkehrsteuerabteilung zugeteilt sind und dem Oberfinanzpräsidenten unmittelbar unterstehen.

(2) Die Oberfinanzdirektionen können bei der Bearbeitung der Umsatzsteuer und der Beförderungsteuer die Hilfe der Finanzämter in Anspruch nehmen. Für die Hilfeleistung der Finanzämter bei der Bearbeitung der Umsatzsteuer und der Beförderungsteuer erhalten die Länder vom Bund eine angemessene Entschädigung.

(3) Die Vorschriften der Reichsabgabenordnung, insbesondere für die Zuständigkeit und das Verfahren, gelten entsprechend.”

§ 9 Abs. 2 Satz 2 FVG (Entschädigungsregelung) fiel nach zwischenzeitlichen Änderungen durch § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Regelung finanzieller Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern (Viertes Überleitungsgesetz) vom 27. April 1955 (BGBl I S. 189) weg.

Zur Durchführung des FVG erließ die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates, gestützt auf die Ermächtigung in § 40 FVG, allgemeine Verwaltungsvorschriften. Abschnitt 4 Ziffer (2) der Ersten Verwaltungsanordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Finanzverwaltung (1. DAFVG) vom 23. November 1950 (BAnz. Nr. 232 S. 1) bestimmte:

„Die Oberfinanzdirektionen nehmen die Hilfe der Finanzämter bei der Verwaltung der Beförderungsteuer nach § 9 Abs. 2 FVG verwaltungsmäßig in der Weise in Anspruch, daß die Finanzämter die Beförderungsteuer für die Oberfinanzdirektion erheben.

Die Bescheide und sonstigen Verfügungen der”. Finanzämter, die Beförderungsteuer erheben, sind unter der Bezeichnung Finanzamt …, zugleich Beförderungsteuerstelle der Oberfinanzdirektion … zu erlassen. …”

Durch Art. I Nr. 6 des Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) vom 12. Mai 1969 (BGBl I S. 359) wurde Art. 108 GG wesentlich geändert. Nach Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG n. F. werden nur noch Zölle, Finanzmonopole, die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer und die Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften durch Bundesfinanzbehörden verwaltet. Die übrigen Steuern, somit auch die Umsatzsteuer und die infolge des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) vom 29. Mai 1967 (BGBl I S. 545) auslaufende Beförderungsteuer, werden gemäß Art. 108 Abs. 2 und 3 GG n. F. durch Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwaltet; für die Zusammenarbeit von Bundes- und Landesfinanzverwaltung enthält Art. 108 Abs. 4 GG n. F. besondere Bestimmungen.

Die Neufassung von Art. 108 GG trat gemäß Art. II des Finanzreformgesetzes am 1. Januar 1970 in Kraft, so daß seit diesem Zeitpunkt § 9 FVG a. F. überholt und nicht mehr anwendbar war.

Mit Erlaß vom 25. November 1969 (BStBl I S. 820) traf der BdF im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder nähere Anordnungen und eine

Übergangsregelung über die Verwaltung der Umsatzsteuer und der auslaufenden Beförderungsteuer für die Zeit ab 1. Januar 1970.

II.

1. Der II. Senat des BFH hat in fünf Vorlagebeschlüssen die sechs Revisionsverfahren betreffen, in denen es um Urteile von FGen über die Heranziehung von Steuerpflichtigen zur Beförderungsteuer geht, dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 9 Abs. 2 FVG a. F. mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit sich diese Vorschrift auf die Verwaltung der Beförderungsteuer bezieht [1] .

Zur Begründung führt der BFH im wesentlichen aus:

Sei § 9 Abs. 2 FVG a. F. mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, so habe den FÄ als Landesfinanzbehörden die Kompetenz gefehlt, die umstrittenen Beförderungsteuerbescheide zu erlassen.

Art. 108 GG a. F. kenne nur drei Arten der Finanzverwaltung: Eigenverwaltung durch Bundesbehörden (Art. 108 Abs. 1 Satz 1), Auftragsverwaltung (Art. 108 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 und Abs. 4) und Eigenverwaltung durch Landesbehörden (Art. 108 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4). Die Bundesfinanzverwaltung sei nach Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau zu führen. Daraus ergebe sich, daß im Bereich der Bundesfinanzverwaltung Jede Verwaltungstätigkeit von Landesfinanzbehörden ausgeschlossen sei; alle Behörden müßten hier Bundesbehörden sein.

Insoweit könne sich der Bund einer ihm durch das Grundgesetz übertragenen Aufgabe nicht entziehen. Die Verfassung habe es dem Bund verwehrt, andere Behörden als Bundesfinanzbehörden zur Verwaltung der Umsatzsteuer und der Beförderungsteuer heranzuziehen. Den hierzu erforderlichen Verwaltungsunterbau hätte sich der Bund in eigenen Behörden zu schaffen gehabt.

Auch aus den Vorschriften des VIII. Abschnitts des Grundgesetzes könne nicht abgeleitet werden, der Bund sei befugt, Landesfinanzbehörden zur Ausführung des Beförderungsteuergesetzes heranzuziehen. Zwar begründe Art. 83 GG eine allgemeine Zuständigkeit der Länder, die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit auszuführen; Abweichungen hiervon müßten vom Grundgesetz bestimmt oder zugelassen sein. Art. 108 GG a. F. in Verbindung mit Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG gestatte es jedoch nicht, die dem Bund zugewiesene Verwaltungskompetenz für die Beförderungsteuer auf die Länder im Wege der Auftragsverwaltung zu übertragen.

Es sei nicht möglich gewesen, die dem Bund fehlende Befugnis, durch ein auf Art. 108 Abs. 1 Satz 2 GG a. F. zu stützendes. Bundesgesetz die FÄ der Länder zur Verwaltung der Umsatzsteuer und der Beförderungsteuer heranzuziehen, durch Zustimmung der Länder zu begründen. Die Zustimmung des Bundesrates zum FVG sei nicht dasselbe wie eine Zustimmung aller Länder. Allerdings hätten sich die Länder der Regelung, durch die ihre Finanzbehörden in Anspruch genommen wurden, nicht widersetzt; darin sei aber kein Handeln der Länder zu sehen. Davon abgesehen könne auch ein Einverständnis der Länder sich nicht auf die Bindung des Bundesgesetzgebers an die verfassungsmäßige Ordnung auswirken.

§ 9 Abs. 2 FVG a. F. verstehe auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und nach dem gesetzgeberischen Zweck unter dem Begriff der „Hilfe” für die OFD nicht nur den Beistand der FÄ durch einzelne oder eine Mehrheit von Hilfeleistungen bei der Bearbeitung der Umsatzsteuer und der Beförderungsteuer, wogegen verfassungsrechtliche Einwendungen nicht erhoben werden könnten, sondern lege den FÄ einen Funktionsbereich auf, wie er ihnen als örtlichen Landesbehörden auch hinsichtlich der Steuern übertragen worden sei, die nach verfassungsmäßiger Regelung von den Ländern in Eigenverwaltung oder in Auftragsverwaltung zu verwalten seien. Die Tätigkeit der FÄ bei der Verwaltung der Umsatzsteuer und der Beförderungsteuer sei keine bloße nach Art. 35 GG zulässige Amtshilfe, die dem Bund geleistet werde.

§ 9 Abs. 2 FVG a. F. sei ferner nicht mit der Erwägung verfassungsrechtlich zu halten, daß die FA bei der Bearbeitung der Umsatzsteuer und der Beförderungsteuer nur „Hilfsstellen” der nach § 9 Abs. 1 FVG zuständigen OFDen seien. Keinesfalls könne eine Landesbehörde unselbständiger Teil einer Bundesbehörde sein.

§ 9 Abs. 2 FVG a. F. sei auch dann nicht als verfassungsgerecht anzusehen, wenn man ihn als eine gesetzlich angeordnete Institutions- oder Organleihe deute. Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG a. F. sowie Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG erlaubten es nicht, daß sich der Bund zur Verwaltung der Umsatzsteuer und der Beförderungsteuer der Organisation der örtlichen Landesfinanzbehörden anstelle des eigenen Verwaltungsunterbaues einer bundeseigenen Verwaltung bediene.

Entgegen der Ansicht des BdF gehe es nicht an, verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit von § 9 Abs. 2 FVG a. F. zurückzustellen. Für die Überzeugung des Revisionsgerichts von der Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift sei es unerheblich, ob die bisher mit dem Grundgesetz unvereinbare Regelung durch eine Änderung des Grundgesetzes gegenstandslos werde. Eine Verfassungsänderung gelte grundsätzlich nur für die Zukunft und habe keinen Einfluß auf die Verfassungsmäßigkeit der bisherigen Regelung.

Schließlich greife der Einwand nicht durch, der Steuerpflichtige – dessen materielle Steuerpflicht durch § 9 FVG a. F. nicht berührt werde – werde durch die Fortsetzung des bisherigen Verfahrens für eine begrenzte Zeit nicht unzumutbar belastet. Rechtswidrig sei ein Eingriff der öffentlichen Gewalt schon dann, wenn der handelnden Behörde die Befugnis zu dem Eingriff fehle. Insoweit sei die Beförderungsteueranforderung durch ein FA auch „materiell unbegründet”.

Das inzwischen in Kraft getretene Finanzreformgesetz vom 12. Mai 1969 sei auf die Fragestellung in den anhängigen Verfahren ohne Einfluß.

2. Namens der Bundesregierung hat sich der BdF geäußert. Er hält die Vorlage für unzulässig und § 9 Abs. 2 FVG a.F. für verfassungsgemäß. Die Inanspruchnahme der FÄ als Hilfsstellen der OFDen bei der Bearbeitung der Umsatzsteuer und der Beförderungsteuer habe keinen Verzicht des Bundes auf verfassungsrechtlich festgelegte Verwaltungskompetenzen bedeutet, sondern sei durch eine gesetzlich statuierte Organanleihe gedeckt gewesen. Dieses Rechtsinstitut, das eine funktionelle Eingliederung des „entliehenen” Organs in die Behördenhierarchie des „entleihenden” Verwaltungsträgers bewirke, sei keineswegs verfassungswidrig. Nicht zu bezweifeln sei das Einverständnis der Länder, die diese Organleihe für die Bundesfinanzverwaltung 20 Jahre lang vollzogen hätten.

 

Entscheidungsgründe

B.

I.

Da das BVerfG nach § 24 BVerfGG einstimmig entscheidet, kann die Zulässigkeit der Vorlagen dahinstehen.

II.

1. Die Regelung des Art. 108 GG in der bis zum Finanzreformgesetz vom 12. Mai 1969 geltenden Fassung und daran anschließend die Regelung des § 9 FVG a. F. ist nach sehr grundsätzlichen Auseinandersetzungen als Kompromiß zustande gekommen. Nachdem der Parlamentarische Rat mit Mehrheit die Bundesfinanzverwaltung für alle Bundessteuern vorgesehen hatte (vgl. die Darstellung in Bonner Kommentar, Anm. I zu Art. 108 GG), wurde es durch Einsprüche von alliierter Seite notwendig, in Art. 108 GG die Bundesfinanzverwaltung auf die Zölle, Finanzmonopole und Verbrauchsteuern, sowie die Umsatzsteuer, Beförderungsteuer und die einmaligen Vermögensabgaben zu beschränken; für die übrigen Steuern wurde die Auftragsverwaltung durch die Länder eingerichtet (Art. 108 Abs. 3 GG a. F.), die aber gegenüber dem Normalbild des Art. 85 GG modifiziert wurde – insbesondere durch Weisungsrechte von Bundesbevollmächtigten gegenüber Mittel- und Unterbehörden, Art. 108 Abs. 4 Satz 2 zweiter Halbsatz GG a. F. –, während umgekehrt die Länder im Bereich der Bundesfinanzverwaltung ein Mitspracherecht bezüglich der Leiter der Mittelbehörden erhielten (Art. 108 Abs. 1 Satz 3 GG a. F.). Das Grundgesetz hatte demnach auf dem Gebiet der Finanzverwaltung sowohl bezüglich der Bundesverwaltung wie bezüglich der Auftragsverwaltung Besonderheiten vorgesehen, in denen die Spuren der vorangegangenen Auseinandersetzungen zu erkennen sind.

2. Der § 9 FVG a. F. hat auf dieser Grundlage bestimmt, daß die Umsatzsteuer und die Beförderungsteuer von den OFDen verwaltet werden, die dabei die Hilfe der nach sonstigen Vorschriften zuständigen FÄ in Anspruch nehmen. Daß jede andere Lösung einen sehr erheblichen und schwer vertretbaren Verwaltungsaufwand, verbunden mit Belastungen der betroffenen Steuerpflichtigen, erfordert hätte, ist nie ernsthaft bestritten worden (vgl. bereits Geiger, Verfassungsentwicklung durch die Verfassungsgerichtsbarkeit, Düsseldorf, 1965, S. 8: „… gar nicht anders zu machen”; ferner BFH 92, 144 [150]) [2] .

Dagegen ist die Vereinbarkeit der getroffenen Regelung mit dem Grundgesetz im Schrifttum umstritten.

Die Rechtsprechung hat bis zum Ergehen der hier behandelten Vorlagebeschlüsse den § 9 Abs. 2 FVG a. F. immer als verfassungsmäßig erklärt (BFH 58, 17 [18] [3] ; 60, 314 [316] [4] ; 71, 619 [621] [5] ; 76, 456 [6] ; 76, 678 [682] [7] ; 83, 646 [649] [8] ; 86, 465 [466] [9] ; 87, 206 [207] [10] ; 92, 144 [151] [11] ; 95, 467 [471] [12] ; BGH, BStBl 1958 I, 710).

Weder im Wege der abstrakten Normenkontrolle noch auf einem sonstigen Wege des Art. 93 Nr. 1–4 GG ist die Gültigkeit des § 9 Abs. 2 FVG a. F. bisher von einem hierzu berufenen Organ angefochten worden. Es ist von allen Verwaltungen zwanzig Jahre lang gemäß § 9 FVG a. F. verfahren worden.

III.

§ 9 Abs. 2 FVG a. F. war mit dem Grundgesetz vereinbar.

1. Der Wortlaut des § 9 FVG a. F. läßt sich mit Art. 108 GG a. F. noch in Einklang bringen: Denn § 9 Abs. 1 geht ausdrücklich davon aus, daß die Verwaltung der Umsatzsteuer und der Beförderungsteuer der OFD – und zwar durch Verwaltungsangehörige des Bundes – obliegt. Und § 9 Abs. 2 spricht nur davon, daß die OFDen „bei der Bearbeitung” der Umsatz- und Beförderungsteuer die Hilfe der FÄ in Anspruch nehmen kann. Das läßt sich zwanglos dahin verstehen, daß jedenfalls nicht bloß formal, sondern materialiter die gesamte rechtliche Verantwortung für die Verwaltung der Umsatz- und Beförderungsteuer bei der OFD liegt, daß in ihr die grundsätzlichen Entscheidungen für die Verwaltung der beiden Steuern getroffen werden und daß dort Teile der Bearbeitung der Umsatz- und Beförderungsteuer verbleiben (es heißt nicht „zur Bearbeitung” …, sondern „bei der Bearbeitung” …), daß die FÄ also nicht einfach allgemein die Umsatzsteuer und Beförderungsteuer Verwalter. Das läßt sich im Bereich der Steuerverwaltung, die verfassungsrechtlich nur in einem mühsamen Kompromiß untergebracht werden konnte, das von Anfang an auf eine Verzahnung von Bundes- und Landesverwaltung und auf eine Zusammenarbeit von Bundes- und Landesfinanzbehörden angelegt war, rechtfertigen.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken richten sich gegen das, was in der Praxis aus jenem § 9 Abs. 2 FVG a. F. geworden ist: die faktische Verwaltung der Umsatz- und Beförderungsteuer durch die FÄ. Sollte diese Praxis verfassungswidrig sein, so wäre damit die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Vorschrift selbst noch nicht zu verneinen. Es wäre zunächst Sache der zuständigen Gerichte, jener Praxis entgegenzutreten.

2. Die Vorlagen des BFH wenden sich ausschließlich gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 2 FVG a. F. Dazu ist unter Berücksichtigung der Auslegung, daß jedenfalls nach dieser Vorschrift der Schwerpunkt der Bearbeitung der Umsatz- und Beförderungsteuer bei den FÄ liegen soll, im einzelnen zu sagen:

a) In der im Ringen mit den Besatzungsmächten mühsam zustande gebrachten Finanzverfassung des Grundgesetzes war, was die vorgeschriebene bundeseigene Verwaltung für die Umsatz- und Beförderungsteuer anlangt, die Lage von Anfang an so exzeptionell und einzigartig, daß sie nicht einfach durch Rückgriff auf hergebrachte Rechtsinstitute wie Amtshilfe, Organleihe oder nach dem Grundgesetz in einzelnen Fällen zulässige Mischverwaltung juristisch zureichend systematisiert werden konnte. Aus der Zusammenschau dieser Institute und anderer im Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht für Sonderlagen getroffenen Regelungen – Unterscheidung von Kompetenz und Ausübung der Kompetenz, Lindauer Abkommen, Notstandsverfassung mit ihren Kompetenzverschiebungen, Zusammenarbeit von Bundes- und Landesbehörden in der Kriminalpolizei und in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes (Art. 73 Nr. 10 GG, Art. 91 GG), Verwaltungsabkommen zur Erweiterung der räumlichen Zuständigkeit der Polizei der Länder bei der Verbrechensbekämpfung usw. – läßt sich allerdings argumentieren, daß die Verwirklichung der bundeseigenen Verwaltung für die Umsatz- und Beförderungsteuer in der hier vorgesehenen Weise der Verfassung nicht widerspricht.

b) Im Bereich des Art. 108 GG a. F. ist das sonst (Art. 83 ff. GG) bestimmte Verhältnis zwischen Bundesverwaltung und Landesauftragsverwaltung in besonderer Weise abgewandelt. Einerseits hat die Bundesverwaltung allgemeine Weisungsrechte gegenüber Mittel- und Unterbehörden des Landes (Art. 108 Abs. 4 Satz 2 zweiter Halbsatz a. F.), ohne daß Dringlichkeit (Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG) vorausgesetzt ist; daraus ergeben sich zulässige Verwaltungsbeziehungen zwischen Landesbehörden und Bundesbehörden. Andererseits werden die Leiter der Mittelbehörden im Benehmen mit den Landesregierungen bestellt (Art. 108 Abs. 1 Satz 3 n. F.). Das hat weiter zu der ungewöhnlichen Einrichtung von Behörden – den OFDen – geführt, die sowohl mit Verwaltungsangehörigen des Bundes, wie mit solchen des Landes besetzt sind und deren Leiter sowohl Bundesbeamter wie Landesbeamter und gleichzeitig Leiter der Mittelbehörde der Bundesverwaltung wie Leiter der Mittelbehörde der Landesverwaltung (als solcher nach Art. 85 Abs. 2 Satz 3, Art. 108 Abs. 3 Satz 3 a. F. im Einvernehmen mit der Bundesregierung bestellt) ist (§§ 5, 6 FVG a. F.; §§ 8, 9 FVG n. F.). Das Grundgesetz hatte also hier Verhältnisse geschaffen oder doch vorgezeichnet, denen gegenüber die sonst geltenden Grundsätze der Unterscheidung von Bundes- und Landesverwaltung nicht ohne weiteres anwendbar erscheinen.

c) Eine brauchbare Alternative ergab sich nicht; es war allen Kundigen von Anfang an klar, daß die Finanzverfassung in diesem Punkt nur praktikabel war, wenn die Umsatz- und Beförderungsteuer zum wesentlichen Teil von den FÄ bearbeitet wird. Jede andere Regelung, etwa die Einrichtung besonderer Bundessteuerämter für diese Steuern neben den für die Einkommen- und Körperschaftsteuern zuständigen FÄ, hätte überflüssige Doppelarbeit oder unsinnigen Verwaltungsaufwand bedeutet; sie mußte sich von selbst verbieten, wenn man davon ausgeht, daß eine Verfassung eine rechtsstaatliche und zugleich ordentlich funktionierende Finanzverwaltung sichern will. Die damit verbundenen Erschwerungen des Verfahrens wären zudem den Steuerpflichtigen gegenüber kaum vertretbar gewesen, während die Regelung des § 9 Abs. 2 FVG a. F. keine erkennbaren Rechtsverkürzungen oder Nachteile für die Steuerpflichtigen mit sich bringt.

d) Hinzu kommt, daß diese Regelung – nachdem sie seinerzeit vom Bund und den (im Bundesrat beteiligten) Ländern einhellig beschlossen wurde – zwanzig Jahre lang einverständlich und unangefochten angewandt wurde, ohne daß ihre Verfassungsmäßigkeit – sei es in einem Normenkontrollverfahren, sei es auf andere Weise – von einem Beteiligten in Zweifel gezogen wurde. Auch die Steuergerichte einschließlich des BFH selbst haben in diesen Jahren in ständiger Rechtsprechung – trotz im Schrifttum immer erhobener Bedenken – § 9 Abs. 2 FVG a. F. dahin gewürdigt, daß er unter der Geltung des Art. 108 GG a. F. die einzige Regelung war, die zu einer praktikablen Verwaltung der Umsatz- und Beförderungsteuer führte. Anders ist nicht zu erklären, daß das vorlegende Gericht seine verfassungsrechtlichen Bedenken erst von dem Augenblick an nicht mehr überwinden konnte, in dem davon ausgegangen werden durfte, daß durch eine Verfassungsänderung die genannten Steuern (soweit sie überhaupt bestehenblieben) der Auftragsverwaltung der Länder zugewiesen wurden. Auch Steuerpflichtige haben bis zum Ergehen der dem gegenwärtigen Verfahren zugrunde liegenden Vorlagebeschlüsse das BVerfG niemals gegen Gerichtsentscheidungen, die § 9 Abs. 2 FVG a. F. als verfassungsmäßig behandelt haben, angerufen.

3. Wo all dies zusammentrifft, läßt sich eine Verfassungswidrigkeit der angegriffenen, eine exzeptionelle Sonderlage regelnden Vorschrift nicht mit hinreichender Evidenz feststellen; sie ist vielmehr als verfassungsrechtlich legitimiert anzusehen, zumal diese Entscheidung den vom BVerfG entwickelten allgemeinen Verfassungssatz (vgl. BVerfGE 4, 115 [139]) unberührt läßt, daß weder der Bund noch die Länder über ihre im Grundgesetz festgelegten Kompetenzen verfügen können, daß Kompetenzverschiebungen zwischen Bund und Ländern auch nicht mit Zustimmung der Beteiligten zulässig sind und daß das Grundgesetz eine sogenannte Mischverwaltung, soweit sie nicht ausdrücklich zugelassen ist, ausschließt.

Der Ausspruch des Gerichts über die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Grundgesetz war auf die Anwendung bei der Verwaltung der Beförderungsteuer zu beschränken, da die Frage nur insoweit entscheidungserheblich und auch nur insoweit vorgelegt ist.

 

Fundstellen

BStBl II 1972, 48

BVerfGE 32, 145

[1] Vgl. Vorlagebeschluß 11/68 und 91/64 vom 15.10.1968 (BStBl II 1969, 126)
[2] BFH 27. 6. 68, V R 128/66 (BStBl II 1968, 488)
[3] BFH 3. 9. 53, II 266/52 U (BStBl III 1953, 297)
[4] BFH 24. 2. 55, II 183/53 U (BStBl III 1955, 120)
[5] BFH 21. 7. 60, V 264/58 U (BStBl III 1960, 480)
[6] BFH 22. 1. 63, VII 80/61 U (BStBl III 1963, 166)
[7] BFH 12. 3. 63, VII 98/61 U (BStBl III 1963, 247)
[8] BFH 16. 11. 65, VII 176/60 U (BStBl III 1965, 735)
[9] BFH 10. 8. 66, VII 9/65 (BStBl III 1966, 560)
[10] BFH 27. 10. 66, V 86/65 (BStBl III 1967, 98)
[11] BFH 27. 6. 68, V R 128/66 (BStBl II 1968, 488)
[12] BFH 22. 7. 69, V B 11/69 (BStBl II 1969, 564)

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