Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer. Grunderwerbsteuerbefreiung. Nordrhein-Westfalen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 1 GrEStG NW und § 1 Nr. 5 GrEStWoBauG NW sind verfassungsgemäß.

2. Die Verfassungsmäßigkeit eines Landesgesetzes kann grundsätzlich nicht deshalb in Zweifel gezogen werden, weil das Landesgesetz von verwandten Regelungen in anderen Bundesländern oder im Bund abweicht.

3. Daß das in Nordrhein-Westfalen geltende Grunderwerbsteuergesetz zahlreiche Befreiungstatbestände aufwies, kann ebenfalls keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz begründen. Aus dem Zahlenverhältnis von Befreiungs- und Besteuerungsfällen allein kann ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht hergeleitet werden.

 

Normenkette

GrEStG NW § 1 Fassung: 1970-07-12; GrEStWoBauG NW § 1 Nr. 5; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 30.07.1980; Aktenzeichen II R 72/76)

FG Münster (Urteil vom 08.04.1976; Aktenzeichen IV 1833/73 GrE)

 

Gründe

Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten.

Der Beschwerdeführer ist aufgrund eines Grundstückkaufvertrags vom 11. August 1972 nach dem damals im Lande Nordrhein-Westfalen geltenden Vorschriften über die Grunderwerbsteuer – unter Ablehnung eines Befreiungsantrags – zu dieser Steuer herangezogen worden. Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich mittelbar insbesondere gegen § 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Juli 1970 (GV NW S. 612) und § 1 Nr. 5 des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Juli 1970 (GV NW S. 620). Beide Vorschriften sind inzwischen außer Kraft getreten (vgl. zuletzt § 25 Abs. 8 des GrunderwerbsteuergesetzesGrEStG 1983≪ vom 17. Dezember 1982 – BGBl. I S. 1777 –).

Der Beschwerdeführer macht insoweit vornehmlich geltend, es liege schon deshalb ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip vor, weil die Grunderwerbsteuergesetze der Länder mit ihren vielfachen Differenzierungen unüberschaubar und die Besteuerung zur Ausnahme, die Befreiungen von der Steuer hingegen zur Regel geworden seien. Diese Rüge ist unbegründet,

1. Eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich.

Soweit der Beschwerdeführer die unterschiedliche Besteuerung in den Bundesländern beanstandet, ist darauf hinzuweisen, daß nach der ständigen Rechtsprechung das Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 17, 319 ≪331≪ m.w.N.) die Verfassungsmäßigkeit eines Landesgesetzes grundsätzlich nicht deshalb in Zweifel gezogen werden kann, weil das Landesgesetz von verwandten Regelungen in anderen Bundesländern oder im Bund abweicht.

Daß das in Nordrhein-Westfalen geltende Grunderwerbsteuergesetz zahlreiche Befreiungstatbestände aufwies, kann ebenfalls keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz begründen. Art. 3 Abs. 1 GG enthält ein grundsätzliches Gebot der Steuergerechtigkeit (vgl. zuletzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. November 1982 – 1 BvR 620/78 u.a. – Umdruck S.27 m.w.N.). Dieses fordert, daß die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet ist und daß prinzipiell alle Steuerpflichtigen gleichmäßig nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit zur Tragung der Steuerlast herangezogen werden. Zur reinen Verwirklichung des Prinzips der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verpflichtet die Verfassung aber nicht (BVerfGE 43, 108 ≪120≪). Der Gesetzgeber kann sich bei seinen Entscheidungen über die Ausnützung von Steuerquellen beispielsweise von volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen oder steuertechnischen Erwägungen mitleiten lassen (vgl. BVerfGE, 6, 55 ≪81≪; 13, 181 ≪203≪). Auch konjunkturelle und wirtschaftslenkende Gesichtspunkte können eine differenzierende steuerliche Regelung sachlich rechtfertigen (vgl. BVerfGE 50, 386 ≪393≪). Nach diesen Maßstäben wäre der Gleichheitssatz nur dann verletzt, wenn den Befreiungen keine sachlichen Erwägungen zugrunde lägen oder wenn die Beibehaltung der Besteuerung – in Nordrhein-Westfalen für etwa 25 % der vom Steuertatbestand erfassten Grunderwerbsfälle – unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit zu einem unerträglichen Ergebnis geführt hätte (vgl. BVerfGE 41, 269 ≪280≪; 50, 57 ≪78, 103≪). Das ist jedoch nicht der Fall. Gesetzliche Differenzierungen sind zulässig, sofern sie auf sachgerechten Erwägungen beruhen. Die im vorliegenden Falle maßgebliche Befreiungsvorschrift (§ 1 Nr. 5 GrEStWoBauG) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer hat nicht dargelegt, daß andere Befreiungstatbestände ungerechtfertigt seien. Auch wenn ein einzelner Befreiungstatbestand der Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht standhalten sollte, würde dadurch die Verfassungsmäßigkeit des gesamten Grunderwerbsteuerrechts nicht in Frage gestellt. Der Beschwerdeführer verkennt, daß aus dem Zahlenverhältnis von Befreiungs- und Besteuerungsfällen allein ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht hergeleitet werden kann (vgl. BayVerfGHE 34, 31 ≪38≪).

2. a) Auch eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG wegen eines Verstoßes gegen das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit liegt nicht vor; sie kommt grundsätzlich nur in extremen Fällen in Betracht (vgl. BVerfGE 1, 14 ≪45≪). Bei seiner Rüge, das Grunderwerbsteuerrecht sei unüberschaubar geworden, übersieht der Beschwerdeführer, daß sich das Gebot der Meßbarkeit und Berechenbarkeit nur auf die Stellung des einzelnen Normadressaten bezieht, nicht aber darüber hinaus auf die allgemeinen Auswirkungen eines Gesetzes (BVerfGE 38, 61 ≪82≪; 50, 290 ≪379 f.≪; 52, 283 ≪302≪). Bezogen auf einzelne Steuerfälle aber ist weder dargetan noch ersichtlich, daß die im Lande Nordrhein-Westfalen anzuwendenden grunderwerbsteuerlichen Bestimmungen – insbesondere durch das Hinzutreten zahlreicher Befreiungsvorschriften – in einer Weise unklar gewesen wären, die sich mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlechthin nicht mehr vereinbaren ließe.

b) Ob die damals bestehende Rechtszersplitterung auf die Dauer als verfassungsmäßig hätte hingenommen werden können, mag hier dahinstehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebührt dem Gesetzgeber bei in der Entwicklung befindlichen Komplexen, zu denen die Problematik der Grunderwerbbesteuerung gehörte, eine angemessene Frist zur Anstellung von Überlegungen und Sammlung von Erfahrungen. Mängel einer Regelung geben erst dann Anlaß zum verfassungsgerichtlichen Eingreifen, wenn der Gesetzgeber eine spätere Überprüfung und Verbesserung trotz ausreichender Erfahrungen für eine sachgerechte Lösung unterläßt (vgl. BVerfGE 37, 104 ≪118≪; 43, 291 ≪321≪; 45, 187 ≪252≪).

Dies kann hier jedoch nicht angenommen werden.

Das in der Bundesrepublik Deutschland bis zum 31. Dezember 1982 geltende Grunderwerbsteuerrecht ging auf das Grunderwerbsteuergesetz des Reichs vom 29. März 1940 (RGBl. I S. 585) zurück. Dieses Gesetz galt nach Inkrafttreten des Grundgesetzes als Landesrecht fort; die Länder hatten nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 1 GG die ausschließliche Gesetzgebung für die Grunderwerbsteuer. Der Bund erhielt hierfür erst durch die im Finanzreformgesetz vom 12. Mai 1969 (BGBl. I S. 359) vorgenommene Neufassung von Art. 105 Abs. 2 GG die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit. Die Vorarbeiten für ein Grunderwerbsteuergesetz des Bundes wurden im Anschluß an das Gutachten der Steuerreformkommission 1971 aufgenommen. Durch das Gesetz zur Grunderwerbsteuerbefreiung, beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen (Art. 3 des Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude) vom 11. Juli 1977 (BGBl. I S. 1213) wurde zunächst nur eine Bereinigung der zahlreichen Befreiungsvorschriften für den Wohnungsbau erreicht. Die Konferenz der Landesfinanzminister einigte sich in einem Grundsatzbeschluß des Jahres 1978 darauf, eine Vereinfachung des Grunderwerbsteuerrechts – entsprechend den Vorstellungen der Steuerreformkommision – unter Wahrung des Steueraufkommens durch einen drastischen Abbau sämtlicher Befreiungen und eine gleichzeitige Senkung des Steuersatzes zu initiieren. Das mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs beauftragte Land Niedersachsen brachte hierzu im Jahre 1979 einen Gesetzesantrag im Bundesrat ein (BRDrucks. 339/79). Da das Gesetzgebungsvorhaben in der 8. Wahlperiode des Deutschen Bundestags nicht mehr zu Ende geführt werden konnte, wiederholte das Land Niedersachsen seinen Antrag zu Beginn der neuen Legislaturperiode. Der Bundesrat beschloß noch im Dezember 1980, den Entwurf eines Grunderwerbsteuergesetzes beim Bundestag einzubringen (BRDrucks. 585/80; BTDrucks. 9/251). Die erste Beratung im Bundestag fand in Mai 1981 statt (BTProt. 9/34, S. 1778 A ff.). Das neue Grunderwerbsteuergesetz wurde am 17. Dezember 1982 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat am 1. Januar 1983 in Kraft.

Berücksichtigt man die Vielschichtigkeit der zu regelnden Materie und die Schwierigkeit, angesichts der zahlreichen einander widerstreitenden Interessen eine neue, befriedigende Regelung zu finden, so erscheint die vom Gesetzgeber für sein Reformvorhaben benötigte Zeitspanne nicht als so unangemessen lang, daß die bis zum 31. Dezember 1982 geltenden grunderwerbsteuerlichen Vorschriften durchgreifenden rechtsstaatlichen Bedenken begegneten. Auch erscheint die zeitweise Weitergeltung dieser Vorschriften bei der gegebenen Situation für die Betroffenen nicht gänzlich unerträglich. Dies gilt erst recht für das Besteuerungsjahr 1972.

II.

Soweit der Beschwerdeführer die Anwendung des Steuerrechts auf den vorliegenden Fall und das finanzgerichtliche Verfahren beanstandet, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls unbegründet. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestands, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≪; st. Rspr.). Der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterliegt nur die Frage, ob die Rechtsanwendung der Gerichte die grundrechtlichen Normen und Maßstäbe beachtet hat (vgl. BVerfGE 52, 283 ≪295≪ m.w.N.). Das ist hier der Fall.

Daß der Beschluß des Bundesfinanzhofs gemäß Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl I S. 1861) ohne mündliche Verhandlung und ohne weitere Begründung ergangen ist, verstößt weder gegen Art. 19 Abs. 4 GG noch gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt auch nicht darin, daß das Finanzgericht davon abgesehen hat, die Unterlagen der Baugesellschaft beizuziehen. Vom Rechtsstandpunkt der Finanzgerichte bedurfte es der vom Beschwerdeführer beantragten weiteren Aufklärung des Sachverhalts nicht. Gegen Entscheidungen, welche den Vortrag eines Verfahrensbeteiligten, von dem das Gericht Kenntnis genommen hat, aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise außer Betracht läßt, gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz (vgl. zuletzt BVerfGE 60, 305 ≪310≪; st. Rspr.).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

NJW 1983, 1842

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