Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschlagnahme von Belegen bei einer Großbank bei Verdacht der Steuerhinterziehung durch Kunden und der Beihilfe durch Bankangestellte

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Beschlagnahmen von Belegen bei einer Großbank wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durch Kunden und der Beihilfe dazu durch Bedienstete der Bank stehen mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit in Einklang. Im Hinblick auf die rechtsstaatlich geforderte umfassende Ermittlungstätigkeit sind Nachforschungen auch dann, wenn sie später nicht zu einer Anklage oder Verurteilung führen sollten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1-2, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3; StPO §§ 33a, 94; AO 1977 § 154

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.04.1994; Aktenzeichen III Qs 82/94)

LG Düsseldorf (Entscheidung vom 29.03.1994; Aktenzeichen III Qs 75/94)

LG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.03.1994; Aktenzeichen III Qs 62/94)

AG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.03.1994; Aktenzeichen 151 Gs 520/94)

AG Düsseldorf (Entscheidung vom 25.02.1994; Aktenzeichen 151 Gs 461/94)

AG Düsseldorf (Entscheidung vom 21.02.1994; Aktenzeichen 151 Gs 414/94)

AG Düsseldorf (Entscheidung vom 09.02.1994; Aktenzeichen 151 Gs 347/94)

AG Düsseldorf (Entscheidung vom 07.02.1994; Aktenzeichen 151 Gs 285/94)

AG Düsseldorf (Entscheidung vom 28.01.1994; Aktenzeichen 151 Gs 107/94)

AG Düsseldorf (Entscheidung vom 20.01.1994; Aktenzeichen 151 Gs 107/94)

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Beschlagnahmen bei einer Großbank wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durch Kunden und der Beihilfe dazu durch Bedienstete der Bank.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde sind nicht erfüllt. Sie wirft keine Fragen von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung auf (§ 93a Abs. 2 Buchst. a BVerfGG), die nicht schon in früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 27, 211 ff.; 44, 353 ff.; 67, 100 ff.; 76, 83 ff.; 77, 1 ff.; 77, 65 ff.; 84, 239 ff. und 89, 1 ff.) erörtert worden sind. Keine andere Bewertung gebieten die in Fachzeitschriften aus Anlaß des zugrundeliegenden Sachverhalts und der hierzu ergangenen Entscheidungen (zu den Durchsuchungsanordnungen Beschluß der Kammer vom 23. März 1994 – 2 BvR 396/94 –) geäußerten Ansichten.

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der von der Verfassung gewährleisteten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG); die mit der Verfassungsbeschwerde zulässig erhobenen Rügen haben keine Aussicht auf Erfolg.

I.

Unzulässig sind folgende Rügen:

1. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht in einer den Anforderungen des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens genügenden Weise gerügt.

a) Zwar macht die Beschwerdeführerin geltend, die angegriffenen Entscheidungen stützten sich auf Tatsachen, von denen sie erstmals im Verfassungsbeschwerde-Verfahren 2 BvR 396/94 durch das Berichterstatterschreiben vom 14. März 1994 erfahren habe und zu denen sie sich vor den Fachgerichten nicht habe äußern können. Die Beschwerdeführerin war indes seit dem Empfang jenes Berichterstatterschreibens in der Lage, sich im Rahmen des von ihr eingeschlagenen Verfahrens gemäß § 33a StPO vor dem Landgericht zu den ihr mitgeteilten Tatsachen zu äußern. Weder hat die Beschwerdeführerin vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, daß sie den detaillierten Vortrag, mit dem sie nun die Verfassungsbeschwerde begründet, auch schon dem Landgericht unterbreitet hätte. Gerade dies fordert aber der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde: Ein Beschwerdeführer muß die Beseitigung des Hoheitsaktes, dessen Grundrechtswidrigkeit er geltend macht, zunächst mit den ihm durch das Gesetz zur Verfügung gestellten anderen Rechtsbehelfen zu erreichen versuchen (vgl. BVerfGE 22, 287 ≪290≫; 77, 275 ≪282≫; st. Rspr.) und die gegebenen prozessualen Möglichkeiten (hier das Verfahren gemäß § 33a StPO) ausgeschöpft haben (vgl. BVerfGE 5, 9 ≪10≫; 42, 243 ≪249 f.≫). An der Darlegung dieser Voraussetzungen hat es die Beschwerdeführerin fehlen lassen. Sie hat zwar den Beschluß des Landgerichts vom 1. Juni 1994 vorgelegt, mit dem ein Antrag auf nachträgliche Anhörung gemäß § 33a StPO abgelehnt worden ist; es kann jedoch weder dieser Entscheidung noch der Verfassungsbeschwerde entnommen werden, was die Beschwerdeführerin zur Durchsetzung ihrer Rechte vor dem Landgericht inhaltlich ausgeführt hat.

b) Auch soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, das Landgericht habe sich mit ihren Argumenten zur Frage der Buchungen über CpD-Konten und des § 154 AO nicht auseinandergesetzt und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ist die Verfassungsbeschwerde nicht zulässig. Der Vortrag ist schon nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG möglich erscheinen zu lassen. In seinen ersten beiden hier angegriffenen Entscheidungen hat das Landgericht auf seinen früheren Beschluß vom 19. Januar 1994 im selben Ermittlungsverfahren verwiesen. Es hatte sich dort zu der Rechtsansicht bekannt, der Geldtransfer von und nach Luxemburg ohne Ansprache von Konten der Kunden oder Aufdeckung der Kundenidentität verstoße gegen § 154 AO. Dagegen wendet sich die Beschwerdeführerin. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte aber nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (vgl. BVerfGE 64, 1 ≪12≫). Daß das Landgericht bei seiner dritten Entscheidung über Beschlagnahmen auf eine erneute Verweisung verzichtete, läßt nicht den Schluß zu, daß das Gericht die Frage in verfassungswidriger Weise aus seinen Erwägungen ausgeschlossen hätte.

2. Auch der Vorwurf, das Landgericht habe unter Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) willkürlich entschieden, ist nicht in einer den Anforderungen des § 92 BVerfGG genügenden Weise ausgeführt. So bleibt im Dunkeln, inwiefern das Gericht in seinen Entscheidungen Vorschriften des materiellen oder des formellen Rechts in einer Weise ausgelegt haben sollte, die bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und den Schluß auf sachfremde Erwägungen nahelegt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪96≫).

a) Insbesondere hat die Beschwerdeführerin Anhaltspunkte für ihre Behauptung, die landgerichtlichen Entscheidungen ließen es denkbar erscheinen, daß das Gericht ohne Anforderung der Akten entschieden habe, nicht näher dargelegt. Die unter Hinweis auf stereotype Begründungen geäußerte Vermutung genügt nicht.

b) Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, das Landgericht habe unter Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ohne Sichtung der beschlagnahmten Unterlagen entschieden, fehlt es an der Darlegung, daß das Gericht die Entscheidung nicht anders als aufgrund eigener Sichtung jedes einzelnen Papiers habe treffen können. Für eine solche Sichtung bestand gerade kein Anlaß, weil die Beschwerdeführerin für keinen einzigen Beschlagnahmegegenstand den Bezug zum Tatvorwurf in Frage gestellt hatte. Sie räumte im Gegenteil in ihrer an das Landgericht gerichteten Beschwerdeschrift vom 16. Februar 1994 – der einzigen dem Bundesverfassungsgericht vorgelegten – selbst ein, daß die Beschlagnahmen Geschäftsvorfälle beträfen, die zu eben jenem von der Beschwerdeführerin geführten Kontokorrentkonto der Dresdner Bank Luxemburg S.A. (im folgenden: DBL) Bezug hätten, von dem die Ermittlungsbehörden vermuteten, es sei für den anonymen Zahlungsverkehr verwendet worden (vgl. Beschluß der Kammer vom 23. März 1994 – 2 BvR 396/94 – unter II. 2. a≫ ≪1≫, Umdruck S. 7 und 8).

3. Unzulässig ist schließlich auch die Rüge, das Grundrecht des Art. 13 GG sei verletzt. Der geschützte Lebensraum Wohnung kann durch die Beschlagnahmen nicht verletzt werden. Den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG berühren nur solche Eingriffe, durch die die Privatheit der Wohnung ganz oder teilweise aufgehoben wird (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪12≫). Eine derartige Wirkung kommt den Beschlagnahmen indes nicht zu. Sie erschöpfen sich darin, die sichergestellten Gegenstände der Sachherrschaft der Beschwerdeführerin zu entziehen und den Ermittlungsbehörden den Zugang zu den darin verkörperten Informationen zu eröffnen. Daß zum Zweck der Beschlagnahme in Ausführung richterlicher Durchsuchungsanordnungen in die Räume der Beschwerdeführerin als deren „Wohnung” im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG eingedrungen wurde, stellt einen von den Beschlagnahmen unabhängigen Grundrechtseingriff dar, der unter den gegebenen Voraussetzungen jedoch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnete (vgl. Beschluß der Kammer vom 23. März 1994 – 2 BvR 396/94 –). Da Beschlagnahmen als solche – auch in fremder Wohnung – nicht den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG berühren (vgl. BVerfGE 76, 83 ≪91≫), stehen sie nicht unter verfassungsrechtlichem Richtervorbehalt nach Art. 13 Abs. 2 GG. Die entgegengesetzte Ansicht der Beschwerdeführerin entbehrt jeglicher verfassungsrechtlicher Grundlage.

II.

1. a) Durch die Beschlagnahme der Belege ist die Beschwerdeführerin jedenfalls in ihrer durch Art. 19 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Befugnis, über ihre Geschäftspapiere zu verfügen, und damit in ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit betroffen (vgl. BVerfGE 66, 116 ≪130≫). Die grundrechtliche Verbürgung unterliegt jedoch den Schranken, die sich hier aus der Strafprozeßordnung ergeben und im Blick auf das rechtsstaatlich begründete Interesse an einer möglichst umfassenden Aufklärung schwerer Straftaten verfassungsrechtlich unbedenklich sind (vgl. BVerfGE 77, 65 ≪76≫).

Ob und inwieweit der Beschwerdeführerin durch Art. 19 Abs. 3 GG auch das dem Individuum zustehende Recht auf Datenschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG) zuerkannt ist (vgl. BVerfGE 66, 116 ≪130≫; 77, 1 ≪46≫), kann dahinstehen, da für die Beschwerdeführerin daraus kein günstigerer Maßstab abgeleitet werden kann.

b) Die Gerichte haben in den angegriffenen Entscheidungen die Bestätigung der für etwa 40.000 Belege aus dem Betrieb der Beschwerdeführerin angeordneten Beschlagnahmen auf Vorschriften der Strafprozeßordnung gestützt. Dies ist nachvollziehbar, keineswegs willkürlich (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪96≫) im Sinne des aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Willkürverbots und beruht auch nicht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte (vgl. BVerfGE a.a.O., S. 92 f.). Die Beschlagnahmen stehen insbesondere mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit in Einklang.

(1) Gemäß § 94 StPO sind Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, zu beschlagnahmen, wenn sie nicht freiwillig herausgegeben werden. Damit ist zwar nicht ausgeschlossen, daß sie letztlich im Strafverfahren keine Verwendung finden. Dies ist aber unvermeidbar, weil das strafrechtliche Ermittlungsverfahren auf einem Tatverdacht beruht. Die rechtsstaatlich geforderte umfassende Ermittlungstätigkeit (vgl. BVerfGE 29, 183 ≪194≫; 33, 367 ≪383≫; 77, 65 ≪76≫) bringt Nachforschungen mit sich, auch wenn sie später nicht zu einer Anklage oder Verurteilung führen sollte. Entscheidend ist nur die potentielle Bedeutung des zu beschlagnahmenden Materials (vgl. BVerfGE 77, 1 ≪53≫).

Eine grundlegend fehlerhafte Einschätzung der Beweismitteleignung der beschlagnahmten Belege liegt den angegriffenen Entscheidungen nicht zugrunde. Sie wird von der Beschwerdeführerin lediglich insoweit behauptet, als Einzahlungsbelege und Scheckkopien beschlagnahmt wurden, die den Einzahler bzw. den Scheckaussteller oder -nehmer namentlich, zum Teil unter Adressenangabe, bezeichnen; diese Belege sprächen vielmehr gegen entsprechende Tathandlungen. Damit verkennt die Beschwerdeführerin, daß es gerade eines der Ziele des Ermittlungsverfahrens ist, Namen und Anschriften solcher Bankkunden zu ermitteln, denen – der Verdachtslage zufolge – das System der Beschwerdeführerin zum anonymen Geldtransfer dienstbar gemacht worden sein sollte und die sich dessen auch bedient haben könnten. Das macht es notwendig zu prüfen, ob die auf den Belegen genannten Angaben zutreffen oder erfunden sind, nicht zuletzt um zu klären, ob Angestellte der Beschwerdeführerin einem ihnen bekannten Kunden bei der Abwicklung eines Geschäftsvorfalls unter falschem Namen geholfen haben. Zum anderen kann in den Fällen, in denen nicht in der Person des namentlich Genannten ein Bezug zur DBL besteht, dieser dazu vernommen werden, mit wem er hinsichtlich des Schecks in Verbindung getreten war. Daß den Belegen mit Namensnennungen jeglicher Bezug zum Vorwurf der Steuerhinterziehung bzw. der Beihilfe dazu fehle, etwa weil sie offensichtlich keine Berührungspunkte mit dem Zahlungsverkehr der DBL gehabt hätten, wird von der Beschwerdeführerin nicht vorgetragen und ergibt sich auch nicht aus den von ihr zur Untermauerung ihres Vorbringens vorgelegten Belegkopien. Diese geben sämtlich Schecks wieder, die entweder auf die DBL gezogen waren oder von dieser bei der Beschwerdeführerin zur Gutschrift auf das von ihr geführte, verdachtsbefangene Kontokorrentkonto der DBL vorgelegt wurden. Unter diesen Umständen begegnet es – gemessen am Stand des Ermittlungsverfahrens und dessen in der Besonderheit des Tatverdachts wurzelnden Umfangs – keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Gerichte davon abgesehen haben, die Beweiseignung der beschlagnahmten Belege im einzelnen zu erörtern.

(2) Die Beschlagnahmen genügten auch im übrigen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

aa) Die Beschlagnahmen waren erforderlich. Zur Aufklärung des Verdachts, im Betrieb der Beschwerdeführerin sei systematisch Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet worden, gab es kein milderes, in gleicher Weise geeignetes Mittel.

Hier ist insbesondere – entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin – die den Entscheidungen zugrundeliegende Einschätzung der Gerichte verfassungsrechtlich unbedenklich, daß bei der Gestaltung der Verdachtslage Aussagen von Angestellten nicht als gleichwertige Erkenntnisquelle in Betracht kommen. Urkunden und andere schriftliche Beweismittel haben gegenüber Zeugenaussagen oft einen höheren Beweiswert, zumal das Erinnerungsvermögen von Zeugen aus mancherlei Gründen unergiebig werden kann (vgl. BVerfGE 77, 1 ≪48≫). Auch die Annahme, daß angesichts der Fülle der zu untersuchenden Geschäftsvorfälle nicht zu erwarten sei, Zeugen würden durch umfassende und hinreichend präzise Angaben eine Auswertung der Belege entbehrlich machen, ist nicht zu beanstanden. Hinzu kommt, daß es angesichts des Verdachts der Beihilfe durch Beschäftigte der Beschwerdeführerin naheliegt, die Aussagen von Personen, die ebenfalls in die entsprechenden Geschäftsbereiche eingebunden waren oder sind, anhand objektiver Beweismittel zu überprüfen.

Die Gerichte durften auch davon ausgehen, daß es nicht geboten war, die Beschlagnahme auf eine stichprobenartige Auswahl von Belegen zu beschränken. Die Ermittlungsbehörden hätten sich dadurch zwar ein allgemeines Bild von Art und Ablauf der verdächtigen Geschäftsvorfälle verschaffen können. Dies reichte aber nicht aus, um auch das ganze Ausmaß strafbaren Handelns und damit die Schwere des Vorwurfs zu ermitteln.

Den Gerichten war verfassungsrechtlich nicht aufgegeben, bei der Bestätigung der Beschlagnahmen dergestalt schrittweise vorzugehen, daß zunächst nur die Beschlagnahme einzelner Belege zur stichprobenhaften Überprüfung hätte bestätigt werden dürfen. Es kann dahinstehen, ob eine solche Vorgehensweise dann geboten ist, wenn es gilt, einen allgemeinen, vagen Tatverdacht mit möglichst geringem Aufwand auszuräumen. So liegt es aber hier nicht. Denn die Beschwerdeführerin hatte in einem Zivilrechtsstreit vorgetragen, es sei der absolut übliche Weg, Zahlungen von einem luxemburgischen „Schwarzgeldkonto” mittels anonymer Barschecks der DBL, gezogen auf die Beschwerdeführerin, zu bewirken, wenn der Kunde, um die Herkunft des Geldes verdeckt zu halten, nicht namentlich mit seinem bei der Beschwerdeführerin geführten Konto in Erscheinung treten wolle. Mit dieser Aussage war den Strafverfolgungsbehörden ein konkreter Anhaltspunkt gegeben, dem es nachzugehen galt. Die Beschwerdeführerin bemüht sich zwar, die verdachtbegründende Bedeutung ihrer Aussage mit der Erklärung abzuschwächen, diese sei mißverstanden worden und besage lediglich, daß die Form des Geldtransfers von Luxemburg nach Deutschland mittels Barscheck ein üblicher Zahlungsvorgang sei. Eine solche Deutung ist jedoch nicht zwingend und deshalb nicht geeignet, die verdachtsbegründende Wirkung der Aussage zu vermeiden. Auch haben einzelne Belege als objektive Beweismittel den Verdacht bereits erhärtet (vgl. Beschluß der Kammer vom 23. März 1994 – 2 BvR 396/94 – unter II. 2. a≫ ≪1≫, Umdruck S. 5 bis 8).

bb) Auch eine geeignete und erforderliche Beschlagnahme kann verfassungsrechtlich unzulässig sein, wenn die Schwere des in ihr liegenden Eingriffs nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere des Vorwurfs, dem Grad des abzuklärenden Verdachts und der Bedeutung des Beweisgegenstandes für das Verfahren steht. Dies trifft auf die vorliegenden Beschlagnahmen jedoch nicht zu.

Dem Ermittlungsverfahren liegt der Vorwurf zugrunde, es sei Steuerhinterziehung in einer sehr großen Anzahl von Fällen in einer Weise begangen worden, die geeignet sei, die steuerliche Belastungsgleichheit zu vereiteln. Ein solches Geschehen verletzt im Rechtsstaatsprinzip und im Gleichbehandlungsgebot verankerte öffentliche Interessen von einem sehr viel höheren Rang, als ihn das fiskalische Interesse an der Sicherung des Steueraufkommens hat (vgl. BVerfGE 67, 100 ≪140≫; 84, 239 ≪281≫). Dem Vorwurf kommt daher erhebliches Gewicht zu.

Auch der Grad des dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegenden Tatverdachts ist nicht derart vage, daß er aus verfassungsrechtlicher Sicht ungeeignet wäre, Beschlagnahmen des hier vorliegenden Umfangs zu rechtfertigen. Zwar wird es in der Regel unzulässig sein, aus der bloßen Möglichkeit, daß ein gesetzlich zulässiger Betrieb von Straftätern mißbraucht werden könnte, eine Beschlagnahme von Betriebsunterlagen zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 44, 353 ≪380≫). Es müssen vielmehr Verdachtsmomente für den konkreten Mißbrauch vorliegen. Gerade dies ist hier freilich der Fall. Der Verdacht richtet sich darauf, daß aus dem Betrieb der Beschwerdeführerin heraus unter Überschreitung des Maßes zulässiger Aktivitäten Beihilfe zu Straftaten begangen worden sei. Er stützt sich dabei auf konkrete Erkenntnisse zweier Einzelfälle, nicht nur auf allgemeine Erwägungen zu Häufigkeit und Methoden der Steuerhinterziehung (vgl. Beschluß der Kammer vom 23. März 1994 – 2 BvR 396/94 – unter II. 2. a≫, Umdruck S. 5 bis 11). Diese Verdachtslage fällt unter jene Fallgestaltungen, für die das Bundesverfassungsgericht bereits die Zulässigkeit der Beschlagnahme von Betriebsunterlagen im Grundsatz festgestellt hat (vgl. BVerfGE 44, 353 ≪379≫).

Schließlich kommt den beschlagnahmten Unterlagen eine zentrale Bedeutung im Verfahren zu, da andere auch nur annähernd vergleichbar verläßliche Beweismittel, wie dargelegt, nicht zu Gebote stehen.

Dem steht gegenüber, daß eine unmittelbare Beeinträchtigung des Betriebs der Beschwerdeführerin durch die Beschlagnahmen, etwa weil auf diese Weise dringend benötigte Arbeitsunterlagen dem Zugriff der Beschwerdeführerin entzogen wären, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist. Die Beschwerdeführerin leitet das Ausmaß ihrer Beschwer durch die Beschlagnahmen vielmehr daraus ab, daß sich deren Bekanntwerden nachteilig auf den Geschäftsbetrieb auswirke. Neben der generellen Ansehensbeschädigung verzeichne vor allem die DBL einen Abzug von Einlagen. Darüber hinaus hätten die Beschlagnahmen bewirkt, daß die Bank bei ihren Kunden Vertrauen verloren habe. Indes bedarf es nicht der abschließenden Klärung, ob und inwieweit die Integrität des Vertrauensverhältnisses zwischen einer Bank und ihren Kunden überhaupt grundrechtlichen Schutzes teilhaftig werden kann. Die Integrität eines Vertrauensverhältnisses kann jedenfalls nicht gegenüber dem Vorwurf gewährleistet sein, gerade in dem Vertrauen auf die Nichtweitergabe von Geschäftsdaten der Bank seien mittels der Bank systematisch Straftaten begangen worden. Daß bei der Aufklärung dieses Vorwurfes auch das achtungswürdige Vertrauen redlicher Kunden in den Geschäftsbetrieb der Beschwerdeführerin berührt werden kann, liegt in der Natur der Sache und vermag zulässige Ermittlungsmaßnahmen nicht zu hindern.

Wenn die Beschwerdeführerin sich sodann darauf beruft, zu dem wirtschaftspolitisch bedeutsamen Ziel eines funktionstüchtigen Finanzplatzes zähle das Vertrauen in die Seriosität und Gesetzestreue der Kreditinstitute, so verkennt sie, daß Ursache für eine Erschütterung dieses Vertrauens nicht erst die Ermittlungsmaßnahmen wegen des Verdachts unseriösen und rechtswidrigen Verhaltens waren, sondern bereits die verdachtbegründenden Umstände, die für die Ermittlungsmaßnahmen Anlaß gaben. Daß das Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens geeignet ist, zu einer weiteren Erschütterung dieses Vertrauens beizutragen, steht der rechtsstaatlich gebotenen Prüfung des Verdachts nicht entgegen.

Bei dieser Sachlage läßt die vom Landgericht jeweils getroffene Feststellung, die Beschlagnahmen stünden in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts, trotz ihrer Knappheit eine Verfehlung der von der Verfassung vorgegebenen Maßstäbe nicht erkennen. Einer weitergehenden Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ist die Abwägung zwischen Anlaß und Auswirkung des angeordneten Eingriffs entzogen (vgl. BVerfGE 27, 211 ≪219≫; 77, 1 ≪59 f.≫). Wegen der Nachholung der Abwägung durch das Landgericht entfaltet der Umstand, daß das Amtsgericht die Angemessenheit der Beschlagnahmen nicht erörtert hat, keine Wirkung mehr.

2. Auch im übrigen begegnen die angegriffenen Entscheidungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere liegt keine Verletzung des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) darin, daß das Landgericht in seinen Beschlüssen vom 16. und 29. März 1994 auch solche Beschlagnahmen, die in der Zentrale der Beschwerdeführerin in Frankfurt am Main angeordnet worden waren, damit rechtfertigte, sie seien auf den „Tätigkeitsbereich der Beschuldigten Q.” beschränkt, obwohl diese tatsächlich selbst nur in der Niederlassung Düsseldorf tätig gewesen war. Denn damit legte das Gericht ersichtlich einen Begriff des Tätigkeitsbereichs zugrunde, der nicht alleine die von der Beschuldigten Q. persönlich bearbeiteten Vorgänge oder deren konkreten Aufgabenbereich begreift, sondern der – in welcher Niederlassung auch immer – funktional von Geschäften mit der DBL bestimmt wird, wie sie auch jene Beschuldigte tätigte. Dies zeigen zum einen die bei gleichartigen Beschlagnahmen im Beschluß vom 19. April 1994 gewählte Formulierung, die beschlagnahmten Unterlagen hätten „Bezug zum Tätigkeitsfeld” der Beschuldigten Q., und zum anderen der jeweils zugleich gegebene Hinweis auf den konkreten Anfangsverdacht, der über Straftaten der Beschuldigten Q. als Einzeltäterin hinaus auf die systematische Beihilfe zur Steuerhinterziehung auch durch andere Beschäftigte der Beschwerdeführerin gerichtet war. Bei diesem Verständnis erweisen sich die Beschlüsse des Landgerichts vom 16. und 29. März 1994 als nachvollziehbar und keineswegs willkürlich.

Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

BB 1995, 533

NJW 1995, 2839

EuGRZ 1995, 73

NVwZ 1995, 1198

ZIP 1995, 101

ZBB 1995, 78

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