Entscheidungsstichwort (Thema)

Mindestbesteuerung von Aktiengesellschaften bei der Vermögensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Mindestbesteuerung von Aktiengesellschaften nach dem Vermögensteuergesetz (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStG) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Normenkette

AO § 131; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; VermBewG § 3 Nr. 6; VStG §§ 1, 4, 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

A.

 

Entscheidungsgründe

B.

I.

Die Vorlage ist zulässig.

Die Entscheidung des vorlegenden Gerichts hängt von der Gültigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStG ab.

§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStG ist nachkonstitutionelles Recht. Die Vorschrift hat zwar in der jetzigen Fassung bereits vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gegolten; sie ist jedoch vom nachkonstitutionellen Gesetzgeber bestätigend in seinen Willen aufgenommen worden (vgl. BVerfGE 26, 321 [324 mit weiteren Nachweisen]) [1] . Der Bestätigungswille ergibt sich unter anderem daraus, daß durch § 226 Nr. 4 des Gesetzes über den Lastenausgleich vom 14. August 1952 (BGBl I S. 446) dem § 6 VStG ein neuer Absatz 1 a eingefügt worden ist, der ausdrücklich auf Absatz 1 Bezug nimmt. Außerdem sind dem § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VStG durch § 3 Nr. 6 des Gesetzes zur Bewertung des Vermögens für die Kalenderjahre 1949 bis 1951 (Hauptveranlagung 1949) vom 16. Januar 1952 (BGBl I S. 22) die Worte hinzugefügt worden: „und bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die am Stichtag der DM-Eröffnungsbilanz bestanden haben, ein Betrag von 5 000 Deutsche Mark”.

II.

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 VStG ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

1. Die in dieser Vorschrift vorgesehene Mindestbesteuerung hat zur Folge, daß Aktiengesellschaften mit einem Betriebsvermögen unter 50 000 DM im Verhältnis stärker mit Vermögensteuer belastet werden als Aktiengesellschaften mit größerem Betriebsvermögen. Während die Vermögensteuer bei Gesellschaften mit einem Vermögen über 50 000 DM sich grundsätzlich auf 1 vom Hundert des tatsächlich vorhandenen Vermögens beläuft (§ 8 VStG), beträgt sie bei Gesellschaften mit kleinerem Vermögen grundsätzlich 1 vom Hundert eines fingierten Mindestvermögens von 50 000 DM = 500 DM. Dies bedeutet, daß die prozentuale Belastung um so höher wird, je kleiner das Vermögen ist. Diese Besteuerung widerspricht an sich dem Wesen der Vermögensteuer, wie sie sich aus dem Vermögensteuergesetz ergibt. Die Vermögensteuer erfaßt heute, abgesehen von den durch die Freibeträge für natürliche Personen bedingten Abweichungen, das Vermögen grundsätzlich in einem Proportionaltarif. Es stellt eine Durchbrechung dieses Systems dar, wenn Vermögen unter 50 000 DM durch eine mit Abnahme des Vermögens progressiv steigende Vermögensteuer erfaßt werden.

2. Diese Abweichung verstößt jedoch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da hierfür zureichende Gründe vorliegen (vgl. BVerfGE 27, 58 [65 mit weiteren Nachweisen]) [2] .

Die Mindest(vermögens)besteuerung wurde in den Motiven zum VStG 1934 (RStBl 1935 S. 182 [184 f.]) damit begründet, es solle dadurch bei kleinen Kapitalgesellschaften ein weiterer Anreiz geschaffen werden, „die anonyme Form aufzugeben und das Geschäft unter eigener voller Verantwortung als Einzelkaufmann oder in Form der Personalgesellschaft fortzuführen”. Es ist zwar richtig, daß hier nationalsozialistische Vorstellungen vom „Führerprinzip” auch in der Wirtschaft anklingen. Es gibt aber auch Gründe, die unabhängig von der NS-Wirtschaftsideologie die Mindestbesteuerung rechtfertigen.

a) Die in § 6 VStG 1934 vorgesehene Mindestvermögensbesteuerung knüpft an die seit dem Gesetz vom 12. Mai 1923 bestehende Regelung an, wonach Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien ein Mindestkapital haben müssen (Gesetz über den Mindestbetrag des Grundkapitals von Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, RGBl I S. 289; vgl. auch §§ 10, 17 der Verordnung über Goldbilanzen vom 28. Dezember 1923, RGBl I S. 1253). Das Aktiengesetz 1965 – AktG – sieht sogar ein Mindestgrundkapital von 100 000 DM vor (§ 7). Die Aktiengesellschaft ist nach den Intentionen des Gesetzgebers den größeren Unternehmen vorbehalten. Sie soll im Gläubigerinteresse eine Mindestausstattung mit Kapital aufweisen. Deshalb trifft das Aktiengesetz auch zusätzliche Bestimmungen zur Sicherung der Aufbringung und Erhaltung eines dem Grundkapital entsprechenden Vermögens (vgl. §§ 9, 29, 57, 66, 151 Abs. 1, 156 Abs. 1 AktG). Der Gesetzgeber will vermeiden, daß die Rechtsform der Aktiengesellschaft wegen ihrer Anonymität und wegen der Haftungsbeschränkung mißbräuchlich gewählt wird; sie soll Unternehmen vorbehalten bleiben, die auf diese Gesellschaftsform wegen ihres großen Kapitalbedarfs angewiesen sind.

b) Das wirtschafts- und auch gesellschaftspolitische Anliegen des Gesetzgebers, die Gesellschaftsform der Aktiengesellschaft nur Gesellschaften mit einem gewissen Mindestvermögen zur Verfügung zu stellen, zeigt sich auch in der handelsrechtlichen und insbesondere in der steuerrechtlichen Erleichterung der Umwandlung von Kapitalgesellschaften in Personalgesellschaften oder in Einzelunternehmen (Gesetz über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften vom 12. November 1956, BGBl I S. 844) Gesetz über Steuererleichterungen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften (Umwandlungs-Steuergesetz) vom 11. Oktober 1957, BGBl I S. 1713; Gesetz zur Ergänzung der handelsrechtlichen Vorschriften über die Änderung der Unternehmensform vom 15. August 1969, BGBl I S. 1171; Gesetz über steuerliche Maßnahmen bei Änderung der Unternehmensform vom 14. August 1969, (BGBl I S. 1163). Von den hier eröffneten Möglichkeiten werden naturgemäß kleinere Aktiengesellschaften Gebrauch machen.

c) In diese im Handels- und Steuerrecht zum Ausdruck kommende Zielsetzung fügt sich die Mindestbesteuerung der Aktiengesellschaften auf Grund der zur Prüfung gestellten Norm des § 6 VStG ein. Sie soll Gesellschaftsorgane zu einer Prüfung zwingen, ob sie die Gesellschaft umwandeln oder ob sie ihr durch Kapitalzuführung die vom Gesetzgeber für Gesellschaften dieser Art vorgesehene Kapitalausstattung verschaffen wollen. Indem die Norm einen gewissen Zwang zur Auflösung der – vom Gesetzgeber nicht gewollten – kleinen Kapitalgesellschaften ausübt, wirkt sie auch dem mindestens unerwünschten Mantelkauf entgegen (vgl. Baumbach-Hueck, Aktiengesetz, 13. Aufl., § 23 Rdnr. 5). Nie Zuhilfenahme einer steuerrechtlichen Regelung zur Erreichung dieses wirtschaftspolitischen Zieles bot sich schon deshalb an, weil die Finanzämter in jedem Falle den Einheitswert ermitteln und auch bei Vermögen unter 50 000 DM schon im Hinblick auf die Gewerbekapitalsteuer festsetzen müssen.

Die Mindestvermögensteuer beträgt 500 DM. Sie erscheint im allgemeinen für eine Aktiengesellschaft mit einem 50 000 DM nicht erreichenden Vermögen nicht unangemessen; es kann insbesondere nicht davon gesprochen werden, daß sie diese Kapitalgesellschaften zum Erliegen bringt und damit dem eigentlichen Zweck einer Steuer, Einnahmen zu erzielen, zuwiderhandelt. Das wird durch statistische Feststellungen erhärtet, nach denen in den letzten Jahren durchschnittlich ein Fünftel der Aktiengesellschaften (bis zu einem Drittel der Gesellschaften mit beschränkter Haftung) der Mindestbesteuerung unterworfen waren, ohne daß deshalb ein entsprechender Rückgang dieser Gesellschaften festzustellen ist. Im übrigen bietet sich für solche Aktiengesellschaften, für die die Mindeststeuer im Verhältnis zu dem gesamten Geschäftsumfang übermäßig belastend wirkt, die zuzumutende Möglichkeit der erleichterten Umwandlung dar.

Allerdings ist in den Fällen keine sachliche Rechtfertigung für die Mindestbesteuerung wegen der vom Gesetzgeber verfolgten wirtschaftspolitischenziele mehr gegeben, in denen die Kapitalgesellschaften – möglicherweise gerade wegen der Minderung des Vermögens – ihre Auflösung beschließen und während des um das Sperrjahr (§ 272 AktG) verlängerten Liquidationszeitraums der Mindestbesteuerung unterworfen sind. Dabei dürfte es sich um eine so geringe Zahl von Fällen handeln, daß sie bei einer allgemeinen Betrachtung vernachlässigt werden können, zumal Härtefällen durch die Billigkeitsmaßnahmen des § 131 AO Rechnung getragen werden kann. Bei Vermögenslosigkeit gibt zudem das Gesetz über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften vom 9. Oktober 1934 (RGBl I S. 914) die Möglichkeit einer Auflösung der Gesellschaft, ohne daß eine die Beendigung hinauszögernde Liquidation erforderlich wäre. Bei der Konkurseröffnung entfällt die Heranziehung zur Mindestvermögensteuer aus Billigkeitsgründen (VStR Abschn. 122).

3. Die Mindestbesteuerung kommt für sonstige vermögensteuerpflichtige Körperschaften nicht in Betracht (§ 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b bis f VStG). Es besteht sogar für sie eine Steuerfreigrenze, da sie erst – dann allerdings in vollem Umfang – zur Vermögensteuer herangezogen werden, wenn ihr Gesamtvermögen 10 000 DM übersteigt. Der Gesetzgeber konnte, ohne gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen, die Mindestbesteuerung in der Hauptsache auf die Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung beschränken, da es sich bei ihnen um die typische Rechtsform der Erwerbsgesellschaften handelt.

 

Fundstellen

BStBl II 1971, 789

BVerfGE 32, 78

NJW 1971, 2216

[1] BStBl 1960 II S. 513
[2] BStBl 1970 II S. 140

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