Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine einstweilige Anordnung, den erweiterten Ausschluss der Kindergeldanrechnung gem. § 1612 b Abs. 1 BGB i. d. F. vom 2.11.2000 außer Vollzug zu setzen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zum Maßstab bei der Prüfung, ob der Vollzug eines Gesetzes mittels einstweiliger Anordnung außer Vollzug zu setzen ist.

2. Der erweiterte Ausschluss der Kindergeldanrechnung gem. § 1612 b Abs. 1 BGB i. d. F. vom 2.11.2000 wird nicht außer Vollzug gesetzt.

3. Entscheidung in der Hauptsache: vgl. Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 27.03.2001, 1 BvR 356/01.

 

Normenkette

BGB § 1612b Abs. 5; BVerfGG § 32 Abs. 1

 

Beteiligte

Rechtsanwalt Oliver Grebe

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 27.03.2001; Aktenzeichen 1 BvR 356/01)

 

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem begehrt wird, § 1612 b Abs. 5 BGB in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung außer Vollzug zu setzen.

I.

§ 1612 b Abs. 5 BGB wurde durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000 (BGBl I S. 1479) dahin geändert, dass die gemäß § 1612 b Abs. 1 BGB angeordnete hälftige Anrechnung des auf das Kind entfallenden Kindergeldes nicht wie bisher unterbleibt, soweit der Unterhaltspflichtige außerstande ist, Unterhalt in Höhe des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten, sondern bereits, soweit er zur Leistung von Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrages außerstande ist.

Die Antragsteller machen geltend, durch den erweiterten Ausschluss der Kindergeldanrechnung in ihren Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 GG verletzt zu sein. Durch die Neuregelung entstünden den Antragstellern finanzielle Nachteile, die es ihnen teilweise unmöglich machen würden, sowohl ihren eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren, als auch das ihnen zustehende Umgangsrecht mit ihren Kindern auszuüben und den damit verbundenen Erziehungsauftrag zu erfüllen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Könnte Letzteres nicht festgestellt werden, müsste der Ausgang eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens also als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 70 ≪74 f.≫; 92, 126 ≪129 f.≫; 93, 181 ≪186 f.≫; 94, 334 ≪347≫; stRspr). Dabei ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen, wenn – wie hier – eine gesetzliche Regelung außer Vollzug gesetzt werden soll (vgl. BVerfGE 93, 181 ≪186≫; 94, 334 ≪347 f.≫). Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwerwiegend sein, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabweisbar machen, so darf das Bundesverfassungsgericht in Sonderheit von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen (vgl. BVerfGE 82, 310 ≪313≫). Der Erlass einer solchen Anordnung kommt nur dann in Betracht, wenn sie zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (vgl. BVerfGE 3, 34 ≪37≫). Darüber hinaus können wirtschaftliche Nachteile, die Einzelnen durch den Vollzug eines Gesetzes entstehen, im Allgemeinen die Aussetzung zum gemeinen Wohl nicht begründen (vgl. BVerfGE 3, 34 ≪37≫; 6, 1 ≪4≫).

2. Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde zulässig und nicht offensichtlich unbegründet wäre. Denn auch wenn dies anzunehmen sein sollte, bliebe das Eilrechtsschutzbegehren erfolglos, da die dann gebotene Folgenabwägung zu Ungunsten der Antragsteller ausfiele.

a) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde jedoch später als zulässig und begründet, besteht die Gefahr, dass den Antragstellern ein Geldbetrag in Höhe von bis zu 135 DM monatlich weniger für ihren Unterhalt und die Ausübung ihres Umgangsrechtes mit ihren Kindern zur Verfügung steht und sie diesen Geldbetrag nicht zurückerstattet bekommen, da der geleistete Unterhalt von den unterhaltsberechtigten Kindern verbraucht worden ist, so dass eine Rückerstattung ausscheidet.

b) Ergeht die einstweilige Anordnung, wird die angegriffene Bestimmung also außer Vollzug gesetzt, so steht den unterhaltsberechtigten Kindern der Antragsteller in der fraglichen Zeit ein Betrag in Höhe von bis zu 135 DM monatlich weniger für ihren Unterhalt zur Verfügung. Der gesetzgeberische Zweck, die wirtschaftliche Lage minderjähriger Barunterhaltsberechtigter zu stärken und ihnen unter Wahrung des Selbstbehalts der Unterhaltspflichtigen einen Barunterhaltsanspruch in Höhe ihres Barexistenzminimums zu sichern, würde nicht erreicht.

c) Bei Anwendung des oben bezeichneten strengen Maßstabes führt die Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass die nachteiligen Folgen für das Wohl von Kindern, denen durch eine Aussetzung der angegriffenen Vorschrift ihr Existenzminimum vorenthalten würde, schwerer wiegen als die Nachteile, die von den Antragstellern im Falle des Misserfolgs ihres Eilrechtsschutzbegehrens zu gewärtigen sind. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, dass den Antragstellern auf jeden Fall ihr über dem Existenzminimum liegender Selbstbehalt verbleibt, so dass eine Existenzgefährdung ausgeschlossen ist.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Haas, Hohmann-Dennhardt

 

Fundstellen

FamRZ 2001, 541

FuR 2001, 303

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