Entscheidungsstichwort (Thema)

Frühere Zugehörigkeit eines Finanzrichters zur Finanzverwaltung kein Ausschließungsgrund

 

Leitsatz (redaktionell)

Von Verfassungs wegen ist es nicht geboten, Finanzrichter allein deshalb von der richterlichen Tätigkeit auszuschließen, weil sie früher der Finanzverwaltung angehört haben.

 

Normenkette

GG Art. 97, 101 Abs. 1 S. 2; FGO § 14 Abs. 1, § 51 Abs. 1-3; ZPO § 41 Nr. 6, § 42

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 29.07.1987; Aktenzeichen I R 321/83)

FG Münster (Urteil vom 14.03.1983; Aktenzeichen IX 2715/82 E)

 

Gründe

1.) Von Verfassungs wegen ist es nicht geboten, Finanzrichter allein deshalb von der richterlichen Tätigkeit auszuschließen, weil sie früher der Finanzverwaltung angehört haben (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG muß gewährleistet sein, daß der Rechtsuchende nicht vor einem Richter steht, der aus bestimmten Gründen die gebotene Neutraliät und Distanz vermissen läßt. Im System der normativen Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters muß deshalb Vorsorge dafür getroffen sein, daß im Einzelfall ein Richter, der nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen ist oder im Ablehnungsverfahren ausgeschlossen werden kann. Der Gesetzgeber ist zwar in Einzelheiten, etwa bezüglich des Katalogs der Ausschließungs- und Ablehnungsgründe, nicht gebunden. Der Grundsatz darf aber nicht derart außer acht gelassen werden, daß das Ziel, die Unparteilichkeit und Neutralität des Richters zu sichern, gefährdet wird. Es muß also zumindest die Möglichkeit der Ablehnung wegen Befangenheit gegeben sein (vgl. BVerfGE 21, 139 ≪146≫; 30, 149 ≪153≫).

Die Finanzgerichtsordnung enthält in § 51 Abs. 1 (in Verbindung mit § 41 ZPO) und Abs. 2 eine abschließende Aufzählung von Ausschlußgründen (vgl. Tipke-Kruse, AO und FGO, 12. Aufl., § 51 FGO Tz 3). § 51 Abs. 2 FGO ergänzt § 41 Nr. 6 ZPO gerade im Hinblick auf den Umstand, daß Finanzrichter überwiegend aus der Finanzverwaltung stammen (vgl. Tipke-Kruse, a.a.0., § 51 FGO Tz 5). Zudem wird das in § 51 Abs. 2 FGO enthaltene Merkmal der „Mitwirkung in dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren” von der Rechtsprechung im Interesse des rechtschutzsuchenden Steuerpflichtigen weit ausgelegt (vgl. BFH, BStBl, II 1978, S. 401 ≪402≫ m.w.N.).

Sofern nicht der besondere Tatbestand der Besorgnis der Befangenheit nach § 51 Abs. 3 FGO vorliegt (dazu BFH, BStBl. II 1974, S. 385 ≪386≫; kritisch dazu Lorenz, Steuer und Wirtschaft 1980, S. 325 ≪329 f.≫), kann der Steuerpflichtige einzelne Richter aus konkreten, objektiv vernünftigen Gründen, die befürchten lassen, der Richter werde nicht unparteiisch sachlich entscheiden (vgl. BVerfGE 35, 246 ≪253≫), wegen Besorgnisses der Befangenheit ablehnen (vgl. § 51 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 42 ZPO).

Finanzrichter sind sachlich und persönlich unabhängig (vgl. §§ 1, 14 Abs. 1 FGO; Art. 97 Abs. 1 und 2 GG; BVerfGE 14, 56 ≪69≫). Die Finanzrechtsprechung wird durch besondere, von der vollziehenden Gewalt verschiedene Organe der Rechtsprechung ausgeübt (vgl. BVerfGE 18, 241 ≪254≫).

Allein die frühere Verbindung eines Richters zur Exekutive begründet von Verf assungs wegen noch keine Vermutung einer mangelnden Unabhängigkeit (Lorenz, Steuer und Wirtschaft 1980, S. 325 ≪326 m.w.N.≫). Die mehr oder weniger vorhandene Vorprägung durch die Verwaltung und ein möglicherweise dadurch beeinflußtes Rollenverständnis verändern sich im Verlauf richterlicher Tätigkeit (vgl. Lorenz, a.a.0., S. 327). Verfassungsrechtlich ist es jedenfalls nicht geboten, im Hinblick auf derartige Umstände generell, über die in § 51 FGO vorgesehenen Möglichkeiten hinaus, Regelungen zu treffen, um eine andere Zusammensetzung der Spruchkörper herbeizuführen.

b) Das Finanzgericht hat im übrigen in sachlich vertretbarer Weise auf Grund einer im einzelnen nachvollziehbaren Beweiswürdigung die Klage abgewiesen. Ein Grund zur Annahme sachfremder Erwägungen besteht nicht (vgl. BVerfGE 70, 93 ≪97≫).

c) Letztinstanzliche, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare Entscheidungen bedürfen auch keiner weiteren Begründung (vgl. BVerfGE 50, 287 ≪28g≫). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Art. 1 Nr. 7 BFH-EntlG bestehen nach ständiger Rechtsprechung nicht, Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 1982 – 2 BVR 433/82StRK FGO § 51 R. 43).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 34 Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1556548

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