Entscheidungsstichwort (Thema)

Kirchensteuererhebung bis zum Ende des auf den Austritt folgenden Monats

 

Leitsatz (amtlich)

Die Heranziehung eines aus der Kirche Ausgetretenen zur Kirchensteuer bis zum Ablauf des auf die Austrittserklärung folgenden Kalendermonats ist mit dem Grundgesetz noch vereinbar (Ergänzung zum Beschluß vom 8. Februar 1977 – 1 BvR 329/71 u. a. –).

 

Normenkette

GG Art. 140, 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1; WRV Art. 136 Abs. 4, Art. 137 Abs. 6; KiStG HE § 5 Abs. 2 Nr. 3; KiAustrG PR § 2 Abs. 1 S. 2; KiStG BY Art. 6 Abs. 3 S. 2

 

Verfahrensgang

VG Darmstadt (Vorlegungsbeschluss vom 01.12.1970; Aktenzeichen IV E 10/70)

 

Gründe

A.

Das Verfahren betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß die Kirchensteuerpflicht bei Austritt aus der Kirche erst mit dem Ablauf des Kalendermonats endet, der auf die Austrittserklärung folgt.

I.

Im Land Hessen galten bis zum 31. Dezember 1968 für die Beendigung der Kirchensteuerpflicht im Fall des Kirchenaustritts verschiedene Regelungen. Im Gebiet des ehemaligen Volksstaates Hessen war maßgebend das Gesetz, die bürgerlichen Wirkungen des Austritts aus einer Kirche oder Religionsgemeinschaft betreffend, vom 10. September 1878 (hessRegBl. S. 113) i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 26. Mai 1941 (RegBl. S. 27) – hessKiAG –, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften über den Austritt aus einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft vom 31. Mai 1974 (GVBl. I S. 281). Nach Art. 4 Abs. 2 dieses Gesetzes war der Ausgetretene mit Ablauf von drei Monaten seit Beginn des auf den Eingang der Austrittserklärung folgenden Monats von allen Leistungen an die Kirche befreit. In den ehemals preußischen Landesteilen Hessens war anzuwenden das Gesetz, betreffend den Austritt aus den Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts, vom 30. November 1920 (prGS. 1921 S. 119) – prKiAG –, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften über den Austritt aus einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft vom 31. Mai 1974 (GVBl. I S. 281). Dieses sah in § 2 Abs. 1 die Befreiung von allen Leistungen, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zu der Religionsgesellschaft beruhten, mit dem Ende des laufenden Steuerjahres vor, jedoch nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Abgabe der Austrittserklärung.

Durch das am 1. Januar 1969 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des hessKiStG vom 24. Mai 1968 (GVBl. I S. 149) i.d.F. vom 25. September 1968 (GVBl. I S. 268) wurde unter anderem das Ende der Kirchensteuerpflicht im Fall des Kirchenaustritts einheitlich neu geregelt. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG endet die Kirchensteuerpflicht bei Austritt mit dem Ablauf des Kalendermonats, der auf die Erklärung des Kirchenaustritts folgt. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs sollten die längeren Fristen der Kirchenaustrittsgesetze für den Fortfall der Kirchensteuerpflicht nicht mehr beibehalten werden, weil sie mit dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betonten Grundsatz, daß die Kirchen nur ihre Mitglieder zur Kirchensteuer heranziehen könnten, „kaum vereinbar” seien (LTDrucks. VI/712; vgl. auch StenProt. VI/896). Die nunmehr vorgesehene Übergangsfrist erschien „aus rechtstechnischen Gründen geboten, um eine einheitliche Regelung zu erreichen, da nach den Austrittsgesetzen die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung zum Teil sofort, zum Teil erst einen Monat nach dem Eingang der Erklärung bei dem Amtsgericht eintreten” (LTDrucks. VI/712).

§ 5 hessKistG lautet:

(1) Die Kirchensteuerpflicht beginnt mit dem ersten Tage des Kalendermonats, der auf die Begründung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts oder auf die Aufnahme in die Landeskirche (Diözese) folgt; bei Übertritt aus einer anderen steuerberechtigten Kirche oder Religionsgemeinschaft jedoch erst mit dem Ende der bisherigen Kirchensteuerpflicht.

(2) Die Kirchensteuerpflicht endet

  1. bei Tod mit dem Ablauf des Sterbemonats,
  2. bei Aufgabe des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt aufgegeben worden ist,
  3. bei Austritt mit dem Ablauf des Kalendermonats, der auf die Erklärung des Kirchenaustritts folgt.

Die Regelung der Kirchenaustrittsgesetze über das Wirksamwerden der Austrittserklärung wurde durch das Änderungsgesetz zum hessKiStG nicht berührt. Nach Art. 4 Abs. 1 hessKiAG wird die Austrittserklärung mit dem Eingang beim Amtsgericht wirksam. Nach § 1 Abs. 2 prKiAG treten die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung einen Monat nach dem Eingang der Erklärung bei dem Amtsgericht ein; bis dahin kann die Erklärung förmlich zurückgenommen werden.

II.

1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens war Mitglied der römisch-katholischen Kirche. Am 26. November 1969 erklärte er vor dem Amtsgericht Gießen seinen Austritt aus der Kirche. Nach dem Wohnsitz des Klägers ist auf seinen Kirchenaustritt das hessKiAG anzuwenden. Das Land Hessen als Beklagter des Ausgangsverfahrens behielt die nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG für die Zeit vom 27. November bis zum 31. Dezember 1969 zu erhebende Kirchensteuer ein. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Rückerstattung der für den Zeitraum vom 27. November bis 31. Dezember 1969 einbehaltenen Kirchenlohnsteuer. Die Jahreskirchensteuer des Klägers betrug im Jahre 1969 308,60 DM.

2. Das vorlegende Verwaltungsgericht hält § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG für verfassungswidrig.

Nach seiner Auffassung verstößt die Regelung in erster Linie gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber behandele die sachlich vergleichbaren Tatbestände des Austritts aus der Kirche und des Ausscheidens aus dem Bereich der steuerberechtigten Diözese durch Aufgabe des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts im Hinblick auf das Ende der Kirchensteuerpflicht ungleich, ohne daß hierfür sachgerechte Erwägungen erkennbar seien. Während bei Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts die Kirchensteuerpflicht bereits mit Ablauf des Kalendermonats ende, in dem der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt aufgegeben werde, dauere sie im Fall des Kirchenaustritts noch einen weiteren Monat fort. Mit dieser nicht sachgerechten Differenzierung habe der Gesetzgeber seinen Ermessensspielraum überschritten. Auch die Erwägung, daß durch diese Regelung eine Vereinheitlichung des Steuerfortzahlungszeitraums nach Abgabe der Austrittserklärung in den früheren preußischen und hessischen Gebietsteilen des Landes Hessen erreicht werde, könne die Ungleichbehandlung der beiden Vergleichsgruppen nicht rechtfertigen, da rechtlich maßgebend die Ungleichheit im Rechtsbereich des ehemaligen Volksstaats Hessen sei.

Darüber hinaus verstoße § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG gegen Art. 2 und 4 GG. Eine staatliche Regelung, die das Ausscheiden aus einer Kirche auf Grund eigener Willensentscheidung steuerlich schlechter behandele als das Ausscheiden auf Grund eines Wohnsitzwechsels, lasse die vom Staat zu fordernde weltanschaulich-religiöse Neutralität vermissen, auch wenn die finanziellen Auswirkungen nur geringfügig seien. Hierin sei eine wertende Stellungnahme der staatlichen Gesetzgebung gegenüber Gewissensentscheidungen von Kirchenmitgliedern zu sehen, die geeignet sei, sowohl das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit als auch die Freiheit des Glaubens, Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses zu beeinträchtigen.

III.

1. Der hessische Ministerpräsident, der sich namens der Landesregierung zu der Vorlage geäußert hat, hält die Regelung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG für verfassungsgemäß.

Sie enthalte keinen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG, weil es sich bei der sogenannten Nachbesteuerung aus der Kirche Ausgetretener für eine kurze Übergangszeit nicht um eine Besteuerung von Nichtmitgliedern, sondern um die Abwicklung eines auf Dauer angelegten Mitgliedschaftsverhältnisses handele. Im besonderen für Steuerzahlungen sei eine Abwicklungsfrist sowohl unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung als auch im Interesse sicherer Haushaltsplanung angebracht. Würde die Steuerpflicht sogleich mit der Wirksamkeit des Kirchenaustritts erlöschen, seien Überzahlungen nicht zu vermeiden, so daß die Finanzämter und Betriebe, die die Kirchensteuer im Lohnabzugsverfahren einbehielten, erheblich belastet würden.

Auch Art. 4 GG werde durch die Regelung nicht verletzt. Eine eng begrenzte Übergangsregelung für die Steuerpflicht bei Beendigung von Mitgliedschaftsverhältnissen im kirchlichen Bereich berühre die Bekenntnisfreiheit nicht.

Schließlich habe der Gesetzgeber die durch den Gleichheitssatz gezogenen Grenzen seines Ermessens nicht überschritten. Zwischen dem Kirchenaustritt und dem Ausscheiden aus der Kirche durch Wohnsitzwechsel bestünden erhebliche Unterschiede. Bei einem Wohnsitzwechsel werde in aller Regel ein neuer Wohnsitz im Gebiet einer anderen steuerberechtigten Kirche begründet. Da damit eine neue Kirchensteuerpflicht entstehe, müßte es zu einer Doppelbesteuerung führen, wenn die frühere Steuerpflicht fortwirke; eine Doppelbesteuerung habe der Gesetzgeber aber ausschließen wollen.

2. Der VII. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat auf seine Entscheidung vom 27. Februar 1970 (BVerwGE 35, 90) verwiesen und ergänzend ausgeführt, Kirchenaustritt und Wohnsitzverlegung unterschieden sich in ihren kirchensteuerrechtlichen Auswirkungen in wichtigen Punkten.

3. Für das Bischöfliche Ordinariat Limburg hat Professor Dr. S. eine Stellungnahme vorgelegt, der sich die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck und die Evangelische Kirche im Rheinland angeschlossen haben. Die Stellungnahme hält § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG für verfassungsmäßig.

Die durch Art. 4 GG gewährleistete Möglichkeit, jederzeit mit öffentlich-rechtlicher Wirkung eine Glaubensgemeinschaft verlassen zu können, werde nicht beeinträchtigt, wenn der Staat die Auswirkungen eines Kirchenaustritts auf das bisherige Mitgliedschaftsverhältnis im Sinne einer kurzfristigen Abwicklung regele. Ähnliche Regelungen des Übergangs kenne die Rechtsordnung auch in anderen Fällen, nicht nur im Privatrecht, sondern auch im öffentlichen Recht. Dieses Abwicklungsverhältnis führe weder zu einer Erstreckung der Mitgliedschaft über den Austritt hinaus noch zu einer Heranziehung von Nichtmitgliedern zu Leistungen; es gleiche vielmehr einem in vielen Bereichen der Rechtsordnung vertrauten Vorgang kurzfristiger Auseinandersetzung nach Lösung einer Rechtsbeziehung. Die Übergangsfrist rechtfertige sich einmal durch das Interesse der Kirchen an einer geordneten Haushaltsplanung, dem die durch Art. 137 Abs. 6 WRV i.V.m. Art. 140 GG begründete Pflicht des Staates entspreche, eine geordnete Steuererhebung zu gewährleisten; zum anderen sei sie gefordert durch das Bedürfnis der modernen Verwaltungspraxis nach geregelten Terminen für die Beendigung der Steuerpflicht. Zu Unrecht werde von den Gegnern der sogenannten Nachbesteuerung zwischen dem Wirksamwerden des Austritts und seinen Nachwirkungen streng unterschieden. Der Gesetzgeber der Jahre 1878 und 1920, der die heutige Ausdeutung der Glaubensfreiheit noch nicht vor Augen gehabt habe, habe den Austritt in geordneter Form regeln wollen. Wenn er den Zeitpunkt der Wirksamkeit des Austritts „in bürgerlicher Beziehung” zeitlich vor den der Beendigung der finanziellen Abwicklung gelegt habe, so habe er diese Regelung als Einheit aufgefaßt. Er habe nicht auf der einen Seite die Mitgliedschaft beenden, auf der anderen noch nachträgliche Pflichten auferlegen, sondern das bestehende Mitgliedschaftsverhältnis in seinen verschiedenen Auswirkungen zeitlich zu unterschiedlichen Terminen beenden wollen.

§ 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG verstoße auch nicht gegen den Gleichheitssatz. Wohnsitzwechsel und Kirchenaustritt seien wesensverschiedene Tatbestände, da die Steuerpflicht beim Wohnsitzwechsel fortbestehe, beim Kirchenaustritt aber ende. Von einer willkürlichen Differenzierung könne deshalb keine Rede sein.

B.

I.

Die Vorlage ist zulässig. Das Verwaltungsgericht hat in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügenden Weise dargelegt, daß die von ihm zu treffende Entscheidung von der Gültigkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG abhängig ist.

Die Vorlagefrage bedarf allerdings einer Einschränkung. Das Verwaltungsgericht hat über den Zeitpunkt des Wegfalls der Kirchensteuerpflicht wegen Austritts aus der Kirche im Geltungsbereich des hessKiAG zu entscheiden. Der Umstand, daß das hessKiStG für die Beendigung der Kirchensteuerpflicht an die Abgabe der Austrittserklärung anknüpft, während der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Austrittserklärung im hess und im prKiAG unterschiedlich geregelt ist, bedingt eine Beschränkung der verfassungsrechtlichen Prüfung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG auf Fälle des Kirchenaustritts im Geltungsbereich des hessKiAG; denn nur insoweit ist die Gültigkeit der Vorschrift entscheidungserheblich. Hiervon geht auch das Verwaltungsgericht aus, indem es dahingestellt läßt, ob die Regelung für den ehemals preußischen Rechtsbereich des heutigen Landes Hessen unbedenklich ist.

II.

§ 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist Prüfungsmaßstab in erster Linie Art. 4 Abs. 1 GG. Die primäre verfassungsrechtliche Fragestellung ergibt sich nicht aus der Ungleichbehandlung von zwei Personengruppen: wäre die Frist im Falle des Wohnsitzwechsels ebenso lang wie diejenige im Falle des Kirchenaustritts, so könnte die zur Prüfung gestellte Vorschrift gleichwohl verfassungswidrig sein. Gegenüber dem sachnäheren Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 GG und dem allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG kann es auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nur dann ankommen, wenn die Frist des § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG mit jenen Grundrechten vereinbar ist.

1. § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG verstößt nicht gegen Art. 4 Abs. 1 GG.

Wie das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluß vom heutigen Tage in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1 BvR 329/71 u.a. entschieden hat, umfaßt Art. 4 Abs. 1 GG das Recht, nicht zu öffentlichen Abgaben herangezogen zu werden, die nur von Kirchenmitgliedern erhoben werden dürfen (vgl. BVerfGE 19, 206 [216]; 19, 226 [235 ff.]; 19, 242 [247]; 30, 415 [421 f.]). Gesetzliche Bestimmungen, welche dieses Recht einschränken, können allein dann Bestand haben, wenn sie sich als Ausgestaltung einer Begrenzung des Art. 4 Abs. 1 GG durch das Grundgesetz selbst erweisen (BVerfGE 32, 98 [107 f.]; 33, 23 [29]). Unter diesem Gesichtspunkt vermag Art. 137 Abs. 6 WRV i.V.m. Art. 140 GG nur solche Fristen für eine Weiterbesteuerung aus der Kirche Ausgetretener zu rechtfertigen, die erforderlich sind, um eine geordnete Besteuerung zu gewährleisten; die damit verbundene Einschränkung der Glaubensfreiheit und Bekenntnisfreiheit und ihre Auswirkungen auf den Vollzug der Besteuerung müssen in angemessenem Verhältnis zueinander stehen.

Diesen Voraussetzungen einer Begrenzung des Art. 4 Abs. 1 GG wird die zur Prüfung gestellte Vorschrift noch gerecht.

Verfassungsrechtlich ist es nicht geboten, das Ende der Kirchensteuerpflicht bereits mit dem Zeitpunkt der Austrittserklärung eintreten zu lassen; der Landesgesetzgeber ist nicht verpflichtet, die mit einer solchen Lösung verbundenen Erschwerungen für die Berechnung der Kirchensteuer, unvermeidliche Überzahlungen und den hohen Aufwand für die Bearbeitung der daraus resultierenden Erstattungsansprüche in Kauf zu nehmen. Er kann als Zeitpunkt der Beendigung der Kirchensteuerpflicht generalisierend den Ablauf eines Kalendermonats bestimmen.

§ 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG läßt allerdings die Kirchensteuerpflicht nicht, wie etwa Art. 6 Abs. 3 Satz 2 des bayerischen Kirchensteuergesetzes, mit dem Ablauf des Kalendermonats enden, in dem der Kirchenaustritt erklärt wird, sondern erst mit dem Ablauf des folgenden Monats. Die Absicht, auf diese Weise für das Bundesland Hessen im Hinblick auf die unterschiedlichen Zeitpunkte des Wirksamwerdens der Austrittserklärung nach den Austrittsgesetzen eine einheitliche Regelung zu erreichen (Begründung des Regierungsentwurfs, LTDrucks. VI/712, S. 9), kann für sich allein die Hinausschiebung um einen Monat verfassungsrechtlich nicht zureichend begründen. Doch läßt sich die Frist, für die der hessische Gesetzgeber sich entschieden hat, unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt einer geordneten Besteuerung noch rechtfertigen, weil sie dazu beiträgt, Schwierigkeiten zu vermeiden, die bei einer kürzeren Frist auftreten können. Solche Schwierigkeiten können namentlich im Hinblick auf die unterschiedlichen Termine der Gehaltszahlungen oder Lohnzahlungen und dementsprechend des Kirchenlohnsteuerabzugs sowie in Fällen auftreten, in denen der Kirchenaustritt erst kurz vor einem Monatsende erklärt wird; insoweit müßte es im Falle einer kürzeren Frist auch bei unverzüglicher Mitteilung des Austritts an die die Kirchensteuer einziehende Stelle zu Überzahlungen kommen, die zu – oft auf Kleinstbeträge lautenden – Erstattungsansprüchen führen. Die Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit und Bekenntnisfreiheit, die mit der Heranziehung zur Kirchensteuer für einen weiteren Monat verbunden ist, ist demgegenüber vergleichsweise gering (vgl. Beschluß vom heutigen Tage – 1 BvR 329/71 u.a. – B III 2a). Mit der Bestimmung der Frist des § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG hat sich der Gesetzgeber daher an der äußersten, durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogenen Grenze seiner Gestaltungsfreiheit gehalten, ohne diese bereits zu überschreiten. Eine über den Ablauf des auf die Erklärung des Kirchenaustritts folgenden Kalendermonats hinausgehende Frist für eine Weiterbesteuerung wäre hingegen nach den dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht mehr mit Art. 4 Abs. 1 GG vereinbar, selbst wenn sie die Verwaltung der Kirchensteuern erleichtern würde.

2. § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiStG verstößt auch nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG.

Dieses Freiheitsrecht umfaßt den allgemeinen grundrechtlichen Anspruch, nicht durch staatlichen Zwang mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist, insbesondere auch das Recht des Bürgers, nur auf Grund solcher Vorschriften zu Steuern herangezogen zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind (BVerfGE 19, 206 [215 f.]); neben der besonderen Grundrechtsnorm des Art. 4 GG läßt sich Art. 2 Abs. 1 GG allerdings nur anwenden, wenn er unter einem Gesichtspunkt verletzt ist, der nicht in den Bereich der besonderen Grundrechtsnorm fällt (BVerfGE 19, 206 [225]).

Art. 137 Abs. 6 WRV i.V.m. Art. 140 GG, auf dem die zur Prüfung gestellte Vorschrift beruht, ist Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes. Das bedeutet nicht, daß jede Art kirchlicher Besteuerung schon kraft dieses Artikels zur verfassungsmäßigen Ordnung gehörte. Vielmehr müssen die auf Grund von Art. 137 Abs. 6 WRV erlassenen landesrechtlichen Normen auf dem Gebiete des Kirchensteuerrechts mit den übrigen Bestimmungen und Prinzipien der grundgesetzlichen Ordnung, vor allem mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnis von Kirche und Staat in Einklang stehen, um vor Art. 2 Abs. 1 GG Bestand haben zu können (BVerfGE 19, 206 [220]).

Diesen Anforderungen entspricht die zur Prüfung gestellte Vorschrift. Denn sie beschränkt sich für die Beendigung der Kirchensteuerpflicht auf eine Frist, die unter dem Gesichtspunkt einer geordneten Besteuerung gerechtfertigt ist und die – im Gegensatz zu der wesentlich längeren Frist des § 2 Abs. 1 Satz 2 des preußischen Kirchenaustrittsgesetzes von 1920 – mit der Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche durch das Grundgesetz in Einklang steht (vgl. Beschluß vom heutigen Tage – 1 BvR 329/71 u.a. – B III 2a). Ein Widerspruch zu anderen Bestimmungen und Prinzipien des Grundgesetzes ist nicht ersichtlich.

3. Schließlich verstößt § 5 Abs. 2 Nr. 3 hessKiAG auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Wohnsitzwechsel oder Aufenthaltswechsel einerseits, Kirchenaustritt anderseits weisen eine wesentliche sachliche Verschiedenheit auf: während die Steuerpflicht im Falle des Kirchenaustritts endet, besteht sie im Falle des Wohnsitzwechsels fort; es tritt lediglich ein Wechsel des besteuernden Verbandes ein. Soll daher im zweiten Falle eine Doppelbesteuerung vermieden werden, so darf die Steuerpflicht am bisherigen Wohnsitz nicht über den Zeitpunkt hinaus andauern, in dem die Steuerpflicht am neuen Wohnsitz beginnt. Im Falle des Austritts besteht dagegen auch bei einer längeren Frist die Gefahr der Doppelbesteuerung nicht. Dies ist ein sachlich hinreichender Grund, der den hessischen Gesetzgeber berechtigte, die verschieden gelagerten Tatbestände differenzierend zu regeln.

 

Fundstellen

BVerfGE, 59

NJW 1977, 1281

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