Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine einstweilige Anordnung gegen den Vollzug des Konjunkturzuschlaggesetzes

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Erlaß einer einstweilgen Anordnung gegen den weiteren Vollzug des Konjunkturzuschlaggesetzes wird abgelehnt. Bei der Prüfung der sachlichen Voraussetzungen des § 32 BVerfGG muß wegen der weitgehenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in der Regel auslöst, ein strenger Maßstab angelegt werden; das gilt besonders, wenn ein bereits in Kraft getretenes Gesetz außer Vollzug gesetzt werden soll.

 

Normenkette

KonjZG; BVerfGG § 32 Abs. 1

 

Gründe

I.

1. Nach dem Gesetz über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer haben unbeschränkt Einkommen- oder Körperschaftsteuerpflichtige zu den Vorauszahlungen (§ 35 EStG; § 20 KStG), die in der Zeit nach dem 31. Juli 1970 und vor dem 1. Juli 1971 erstmals fällig werden, einen nach Freigabe rückzahlbaren Konjunkturzuschlag in Höhe von 10 vom Hundert der Vorauszahlungsschuld (§ 1 Abs. 1) und unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer bei jeder Lohnzahlung in der Zeit nach dem 31. Juli 1970 und vor dem 1. Juli 1971 einen nach Freigabe rückzahlbaren Konjunkturzuschlag in Höhe von 10 vom Hundert der nach § 41 Abs. 2 EStG maßgebenden Lohnsteuer zu entrichten (§ 1 Abs. 2). Steuerpflichtige mit geringerem Einkommen sind von der Zahlung des Konjunkturzuschlags befreit. Das Finanzamt hat den Konjunkturzuschlag besonders zu erfassen und unverzüglich Sonderkonten der Länder bei der Deutschen Bundesbank zuzuführen; diese hat ihn stillzulegen. Der Zeitpunkt der Freigabe der entrichteten und einbehaltenen Konjunkturzuschläge wird durch eine Rechtsverordnung bestimmt. Sie sind spätestens bis 31. März 1973 – ohne Verzinsung – aus dem Sonderkonto zurückzuzahlen.

2. Der Beschwerdeführer ist Beamter auf Widerruf im juristischen Vorbereitungsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen. Seine monatliche Bruttovergütung beträgt 975 DM, die einbehaltene Lohnsteuer 157,60 DM. Bei der Gehaltszahlung am 31. August 1970 wurde erstmals der Konjunkturzuschlag in Höhe von 15,76 DM einbehalten und an das Finanzamt abgeführt. Er erwartet, daß der gleiche Betrag auch für die nächsten Monate einbehalten wird.

3. Der Beschwerdeführer hat Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG rügt. Der Bund sei zum Erlaß des Konjunkturzuschlagsgesetzes aufgrund der Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes nicht befugt gewesen. Deshalb gehöre das Gesetz nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung i.S. des Art. 2 Abs. 1 GG und sei auch kein verfassungsmäßiges Gesetz i.S. des Art. 14 Abs. 1 GG. Das Herbeiführen einer rechtsmittelfähigen Entscheidung der Finanzbehörden könne nicht zugemutet werden, da die Erhebung des Konjunkturzuschlags befristet und bis zum 30. Juni 1971 keine (endgültige) Entscheidung zu erlangen sei. Gleichzeitig hat er beantragt,

im Wege der einstweiligen Anordnung den weiteren Vollzug des Konjunkturzuschlagsgesetzes zu verbieten, wenigstens insofern, als er als Antragsteller betroffen sei;

hilfsweise

ihm zu gestatten, den zu entrichtenden Betrag auf ein Sperrkonto

einzubezahlen.

Zur Begründung führt er aus: Würde eine solche einstweilige Anordnung nicht ergehen, so würde das verfassungswidrige Gesetz zwar nachträglich als solches gebrandmarkt; dies hätte aber nicht die geringsten Konsequenzen für den Gesetzgeber.

II.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet.

1. Bei der Prüfung der sachlichen Voraussetzungen des § 32 BVerfGG muß wegen der weitgehenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in der Regel auslöst, ein strenger Maßstab angelegt werden; das gilt besonders, wenn ein bereits in Kraft getretenes Gesetz außer Vollzug gesetzt werden soll (vgl. BVerfGE 20, 363 f.; 24, 27 [31]). Dabei haben die Gründe, welche der Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, da in dem Verfahren über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme selbst nicht Gegenstand der Prüfung sein kann (vgl. BVerfGE 18, 151 [153]).

2. Das Bundesverfassungsgericht muß daher allein die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache jedoch Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde (vgl. BVerfGE 24, 27 [31] mit weiteren Nachweisen).

Bei dieser Abwägung der möglichen Folgen kann nicht festgestellt werden, daß der Antragsteller durch die Ablehnung der einstweiligen Anordnung schwere Nachteile im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG erleiden würde; wohl aber wären bei ihrem Erlaß solche Nachteile für die Allgemeinheit zu befürchten.

a) Wären die angefochtenen Bestimmungen des Konjunkturzuschlagsgesetzes verfassungswidrig und würden sie daher vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt, so hätte dem Antragsteller lediglich für eine begrenzte Zeit ein geringfügiger Betrag nicht zur freien Verfügung gestanden. Hierdurch erwachsen ihm selbst jedoch nur unwesentliche wirtschaftliche Nachteile.

b) Demgegenüber würden durch den Erlaß der einstweiligen Anordnung schwerwiegende Nachteile für die Allgemeinheit entstehen. Das Konjunkturzuschlagsgesetz soll dem konjunkturpolitischen Ziel dienen, in Ergänzung zu anderen währungs-, wirtschafts- und fiskalpolitischen Maßnahmen preistreibend wirkende Kaufkraft im Interesse gesamtwirtschaftlicher Stabilität zeitweilig stillzulegen. Es ist auch nicht offensichtlich, daß das Konjunkturprogramm wegen der Dynamik, Komplexität und mangelnden Vorhersehbarkeit der wirtschaftlichen Entwicklung im Ansatz verfehlt und damit eine völlig unzweckmäßige Maßnahme gewesen wäre (vgl. BVerfGE 26, 259 [264]).

Die Zeitbezogenheit und die Ergänzungsfunktion des Konjunkturzuschlags ergeben ohne weiteres, daß eine Beeinträchtigung dieser vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltenen Maßnahmen, wie sie in der Aussetzung des bereits begonnenen Vollzugs des Gesetzes läge, schwerwiegende Folgen für die Währung und die Wirtschaft der Bundesrepublik haben könnte. Eine allgemeine Suspendierung des Gesetzes kann daher nicht in Betracht kommen. Auch für eine Aussetzung des Vollzugs gegenüber dem Antragsteller sind zwingende Gründe hierfür nicht vorgebracht (vgl. BVerfGE 20, 363 [365]). Etwaige unbillige Härten könnten nach §§ 127, 131 AO ausgeglichen werden.

 

Fundstellen

BVerfGE, 179

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