Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige Vorlage wegen Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Spekulationsgeschäften

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG wegen der Frage, ob § 23 Abs. 1 EStG verfassungswidrig ist, ist unzulässig, denn bei der Entscheidung des Vorlagegerichts kommt es auf die Gültigkeit der vom Vorlagegericht für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift nicht an; hier: Erwerb eines Grundstücks und Weiterveräußerung als zwischenzeitlich mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück.

 

Normenkette

GG Art. 100 Abs. 1; BVerfGG § 13 Nr. 11, § 80 Abs. 2 S. 1; EStG § 23 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. a

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Vorlegungsbeschluss vom 26.05.1964; Aktenzeichen I 952/63 - FG 11)

 

Gründe

A.-I.

Zu den „Sonstigen Einkünften” (Abschnitt II Ziff. 8 Buchst. g des Einkommensteuergesetzes in der insoweit unverändert gültigen Fassung vom 15. August 1961 – BGBl. I S. 1254 –), die neben den anderen im Gesetz bezeichneten Einkunftsarten der Besteuerung unterliegen, zählen auch Einkünfte aus Spekulationsgeschäften (§ 22 Ziff. 2 EStG). Spekulationsgeschäfte sind nach § 23 Abs. 1 EStG

1. Veräußerungsgeschäfte, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung beträgt:

  1. bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (z.B. Erbbaurecht, Erbpachtrecht, Mineralgewinnungsrecht), nicht mehr als zwei Jahre,
  2. bei anderen Wirtschaftsgütern, insbesondere bei Wertpapieren, nicht mehr als sechs Monate;

2.…

Die Vorschrift geht zurück auf § 42 EStG 1925 (RGBl. I S. 189). Damals blieben Einkünfte aus Spekulationsgeschäften nach Absatz 2 Ziffer 3 dieser Bestimmung jedoch steuerfrei,

wenn der Steuerpflichtige dartut, daß der veräußerte Gegenstand nicht zum Zwecke gewinnbringender Wiederveräußerung erworben worden ist.

Diese Ausnahme von der Besteuerung ist durch das Einkommensteuergesetz 1934 (RGBl. I S. 1005) gestrichen und seitdem bei den verschiedenen Änderungen des Einkommensteuergesetzes nicht wieder eingeführt worden. Der Bundesfinanzhof legt die Vorschrift des § 23 Abs. 1 EStG in ständiger Praxis dahin aus, daß es für die Besteuerung nicht auf den Nachweis einer Spekulationsabsicht ankomme, sondern allein darauf, ob zwischen Anschaffung und Veräußerung der gesetzlich festgelegte Zeitraum verstrichen ist oder nicht (vgl. Urteil vom 29. Juni 1962 – BStBl. 1962 III S. 387).

II.

1. Der Fabrikant Ernst W. und seine Ehefrau erwarben im Oktober 1959 für rd. 15 000.– DM einen Bauplatz und erstellten darauf mit einem Kostenaufwand von rd. 116 000.– DM ein Einfamilienhaus, welches sie im September 1960 bezogen. Am 29. August 1961 boten sie das Grundstück einem Interessenten für 205 000.– DM verbindlich zum Verkauf an. Der Interessent nahm das Angebot an und bezog das Haus am 1. Oktober 1961.

2. Das Finanzamt zog die Eheleute W. bei der Einkommensteuerveranlagung wegen des Veräußerungsgewinnes nach § 23 Abs. 1 EStG zur Besteuerung heran. Im Berufungsverfahren setzte das Finanzgericht Stuttgart mit Beschluß vom 26. Mai 1964 das Verfahren aus und legte die Sache dem Bundesverfassungsgericht vor, weil § 23 Abs. 1 EStG 1961 mit Art. 1 des Grundgesetzes unvereinbar sei, soweit er die unwiderlegbare Vermutung aufstelle, daß jede Wiederveräußerung eines Wirtschaftsgutes innerhalb der gesetzlich festgelegten Fristen ein Spekulationsgeschäft sei.

Der Vorlagebeschluß ist wie folgt begründet:

Zutreffend sei das Finanzamt davon ausgegangen, daß das Haus noch innerhalb der Frist von 2 Jahren (§ 23 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. a EStG) seit Anschaffung des Bauplatzes veräußert worden sei.

Gleichwohl könnten die Eheleute W. nicht zur Besteuerung herangezogen werden, weil sie einen Bauplatz angeschafft und ein Einfamilienhaus veräußert hätten. Deshalb sei der in § 23 Abs. 1 EStG geregelte Steuertatbestand, der Identität des veräußerten und des angeschafften Wirtschaftsgutes voraussetze, nicht erfüllt. Der gegenteiligen Auffassung des Bundesfinanzhofs, der in seinem Urteil vom 9. April 1963 (BStBl. III S. 334) in einem solchen Fall § 23 Abs. 1 EStG angewandt habe, könne nicht gefolgt werden.

Jedoch komme es auf diese rechtlich noch nicht völlig geklärte Zweifelsfrage nicht an. Denn § 23 EStG könne hier schon deshalb nicht angewandt werden, weil diese Bestimmung insoweit verfassungswidrig sei, als sie die unwiderlegliche Vermutung aufstelle, daß jede Wiederveräußerung innerhalb der gesetzlichen Fristen ein Spekulationsgeschäft sei. Indem das Gesetz dem Betroffenen die Möglichkeit abschneide, den Nachweis zu führen, daß bei ihm keine Spekulationsabsicht vorgelegen habe, liefere es den Steuerpflichtigen vorbehaltlos dem Besteuerungsverfahren aus und mache ihn zum bloßen Objekt des Verfahrens. Dies verstoße gegen Art. 1 GG. Es sei bezeichnend, daß Ziff. 3 des § 42 EStG 1925, welche den Nachweis fehlender Spekulationsabsicht offengelassen habe, unter der Herrschaft des nationalsozialistischen Regimes gestrichen worden sei. Sachliche Gründe für den Ausschluß dieses Nachweises seien nicht erkennbar, zumal der Gesetzgeber schon mit der Bezeichnung „Spekulationsgeschäft” auf die subjektiven Voraussetzungen des Steuertatbestandes hingewiesen habe. Der völlige Ausschluß des Nachweises fehlender Spekulationsabsicht stelle auch eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs dar.

3. Der Bundesminister der Finanzen hält die Vorlage für unzulässig, da die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm für die Entscheidung nicht erheblich sei. § 23 EStG sei in vorliegendem Fall nach Auffassung des Finanzgerichts ohnehin nicht anwendbar.

Der Bundesfinanzhof hat mitgeteilt, daß der zuständige VI. Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung stets von der Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 EStG ausgegangen sei.

B.

Die Vorlage ist unzulässig.

Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG (§ 13 Nr. 11 BVerfGG) ist nur zulässig, wenn es bei der Entscheidung auf die Gültigkeit der vom Vorlagegericht für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift ankommt. Die Begründung des Vorlagebeschlusses muß ergeben, inwiefern dies der Fall ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

Das Finanzgericht ist der Auffassung, daß § 23 EStG überhaupt nicht anwendbar sei, weil die Eheleute W. etwas anderes veräußert als erworben hätten.

Wenn das Finanzgericht aber § 23 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. a EStG für nicht anwendbar hielt, so kommt es für seine Entscheidung auf die Gültigkeit dieser Bestimmung nicht an.

Allerdings könnten einige Sätze im Vorlagebeschluß auch dahin verstanden werden, daß sich das Finanzgericht eine abschließende Meinung zu der Frage, ob § 23 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. a EStG anwendbar sei, noch nicht gebildet hat. Das Gericht könnte die Absicht gehabt haben, diese Frage bis zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit der Norm, von der seine Entscheidung abhänge, zurückzustellen. Damit hat es jedoch versäumt darzutun, inwiefern von der Gültigkeit des § 23 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. a EStG seine Entscheidung abhängig ist (vgl. BVerfGE 11, 330 [334]; 13, 178 [180]).

 

Fundstellen

BVerfGE, 138

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