Leitsatz

1. Hat das FG in einem rechtskräftigen Urteil einen Schenkungsteuerbescheid mit der Begründung aufgehoben, der vom Finanzamt besteuerte Erwerb sei weder für den im Bescheid genannten Zeitpunkt noch für einen späteren Zeitpunkt feststellbar, steht die Rechtskraft des Urteils einer erneuten Besteuerung dieses Erwerbs entgegen.

2. Eine nach dem FG-Urteil von den Beteiligten des Erwerbsvorgangs erstellte schriftliche Bestätigung des Erwerbs für den im aufgehobenen Bescheid genannten Zeitpunkt rechtfertigt nicht den Erlass eines neuen Steuerbescheids.

 

Normenkette

§ 96 Abs. 1 Satz 2, § 100 Abs. 1 Satz 1, § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO

 

Sachverhalt

Durch notarielle Urkunde vom 13.8.2008 errichtete A als Stifterin die Klägerin, eine inländische Stiftung. Stiftungszweck ist die Förderung und Unterstützung der Familienmitglieder. Begünstigte waren zunächst die Stifterin, ihr Ehemann und ihre Tochter. Für den Fall der Geburt weiterer leiblicher Abkömmlinge der Stifterin war eine nach Generationen gestaffelte Begünstigung vorgesehen. Als Anfangsvermögen sicherte die Stifterin der Klägerin Aktien der TU AG zu. Am 5.11.2008 stimmten der Vorstand und der Aufsichtsrat der TU AG der Abtretung der Aktien mit Wirkung zum 1.11.2008 zu.

Das FA setzte gegen die Klägerin Schenkungsteuer auf den Stichtag 13.8.2008 fest. Es berücksichtigte dabei einen Freibetrag i.H.v. 51.200 EUR. Mit Einspruch und Klage begehrte die Klägerin den Ansatz eines Freibetrages i.H.v. 205.000 EUR.

Das FG hob den Steuerbescheid mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 11.11.2014, 3 K 984/12 Erb mit der Begründung auf, ein Abtretungsgeschäft sei weder für den 13.8.2008 noch für einen anderen Zeitpunkt feststellbar.

Da das FG sich zu der materiell-rechtlichen Rechtsfrage nach der Höhe des anzusetzenden Freibetrages nicht geäußert hatte, kamen die Beteiligten überein, dass die mündliche Abtretung nachträglich schriftlich fixiert werde und ein neuer Bescheid ergehe.

Die Stifterin und die Klägerin bekundeten daraufhin in einem Dokument vom 5.2.2015, sie seien sich einig, dass die Abtretung der Aktien mündlich unter dem 1.11.2008 erfolgt sei. Den Inhalt der mündlichen Abtretungserklärung gäben sie aus Klarstellungsgründen schriftlich wieder. Sodann folgt eine "Abtretungserklärung" des Inhalts, dass die Stifterin auf der Grundlage der Beschlüsse des Vorstandes und des Aufsichtsrates der TU AG vom 5.11.2008 und in Vollziehung des Stiftungsgeschäfts vom 13.8.2008 Aktien an der TU AG an die Klägerin abtrete.

Mit Bescheid vom 22.6.2015 setzte das FA für den Erwerb der Klägerin aus der Schenkung der Stifterin vom 5.11.2008 Schenkungsteuer fest. Im Übrigen entsprach der Bescheid inhaltlich dem aufgehobenen ursprünglichen Bescheid. Mit Einspruch und Klage begehrte die Klägerin erneut den Ansatz eines Freibetrages i.H.v. 205.000 EUR. Das FG wies die Klage ab (FG Münster, Urteil vom 18.5.2017, 3 K 3247/15 Erb, Haufe-Index 11003448, EFG 2017, 1208).

 

Entscheidung

Der BFH hob auf die Revision der Klägerin das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung und den angefochtenen Schenkungsteuerbescheid auf. Dem Bescheid vom 22.6.2015 habe die Rechtskraft des FG-Urteils vom 11.11.2014, 3 K 984/12 Erb entgegengestanden, das gegenüber dem FA als Beteiligten jenes Verfahrens Bindungswirkung entfalte. Der Bescheid vom 22.6.2015 gehe davon aus, dass zum 5.11.2008 die Abtretung der Aktien von der Stifterin an die Klägerin bewirkt worden sei. Diese Annahme habe dem Bescheid nicht zugrunde gelegt werden dürfen. Das FG habe im Urteil vom 11.11.2014 ausgeführt, dass ein Abtretungsgeschäft weder für den 13.8.2008 noch für einen anderen Zeitpunkt – bis zur Entscheidung – feststellbar sei. Das Dokument vom 5.2.2015 über die mündliche und schriftliche Abtretung der Aktien durch die Stifterin an die Klägerin sei erst nach Ergehen dieses Urteils gefertigt worden und könne daher zu keinem anderen Ergebnis führen. Ob das Dokument Rechtswirkung jenseits des streitgegenständlichen Abtretungszeitraums (ex nunc) entfalten könne, sei im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Der BFH sei wegen des Verstoßes gegen die Rechtskraft nicht gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO gehindert, den angefochtenen Bescheid insgesamt aufzuheben.

 

Hinweis

Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil mit dem Umfang der Bindungswirkung rechtskräftiger finanzgerichtlicher Urteile sowie mit Ausnahmen von der Bindung an das Klagebegehren.

1. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger.

a) Für den sachlichen Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ist der Begriff Streitgegenstand in § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO i.S.v. "Entscheidungsgegenstand" zu verstehen. Dies ist die Teilmenge aller mit dem angefochtenen Verwaltungsakt erfassten Besteuerungsgrundlagen, über die das Gericht entschieden hat. Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ergibt sich in erster Linie aus der Urteilsformel. Zu deren ...

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