Leitsatz

1. Eine Entscheidung der Familienkasse, mit der diese eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben hat, erwächst in Bestandskraft, sofern die Familienkasse das Bestehen eines Anspruchs auf Kindergeld deshalb verneint hat, weil nach sachlicher Prüfung die Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben sind.

2. Auf einen derartigen Bescheid finden die Vorschriften der §§ 173 ff. AO 1977 über die Änderung und Aufhebung von Steuerbescheiden entsprechende Anwendung.

3. Einem – neuerlichen – Antrag i.S.d. § 67 EStG auf Festsetzung von Kindergeld für Zeiträume, für die die Familienkasse nach sachlicher Prüfung das Bestehen eines Kindergeldanspruchs verneint hat, steht die Bestandskraft entgegen.

4. Der für das Kind ergangene Einkommensteuerbescheid stellt für die Kindergeldfestsetzung keinen Grundlagenbescheid dar.

5. Die Familienkasse und nachfolgend das FG haben selbstständig die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes zu ermitteln.

6. Nimmt das FG an, Werbungskosten des Kindes in einer bestimmten Höhe stellten eine nachträglich bekannt gewordene neue Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 dar, bedarf es dazu konkreter tatsächlicher Feststellungen zu Art und Umfang der betreffenden Aufwendungen.

 

Normenkette

§ 31 Satz 3 EStG , § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG , § 67 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger bezog Kindergeld für seine 1978 geborene und sich in Ausbildung befindliche Tochter. Das FA teilte der Familienkasse mit, dass sich die Einkünfte und Bezüge der Tochter auf 14 651 DM beliefen und somit den Jahresgrenzbetrag überstiegen. Die Familienkasse hob daraufhin die Kindergeldfestsetzung für 1997 auf. Der Aufhebungsbescheid vom 2.7.1998 wurde nach Zurückweisung eines Einspruchs bestandskräftig.

Am 6.10.1998 übersandte der Kläger der Familienkasse die Ablichtung eines geänderten Einkommensteuerbescheids 1997 für die Tochter. Dieser wies negative Einkünfte in Höhe von 1 183 DM aus. Die Familienkasse vertrat daraufhin die Ansicht, über den Kindergeldanspruch 1997 sei bestandskräftig entschieden. Der geänderte Einkommensteuerbescheid sei insbesondere kein Grundlagenbescheid.

Dem dagegen eingelegten Einspruch half die Familienkasse teilweise ab. Dem Kindergeldantrag vom 6.10.1998 könne nur zeitlich begrenzt entsprochen werden. Eine rückwirkende Zahlung von Kindergeld sei gem. § 52 Abs. 32b (jetzt Abs. 62) EStG längstens bis Juli 1997 zulässig. Für die weiter zurückliegenden Monate (Januar bis Juni 1997) könne kein Kindergeld gezahlt werden.

Das FG gab der Klage statt. Dem Kläger stehe auch Kindergeld für die Monate Januar bis Juni 1997 zu.

 

Entscheidung

Die Revision der Familienkasse führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Zutreffend sei das FG davon ausgegangen, dass in der Übersendung des geänderten Einkommensteuerbescheids 1997 ein Antrag auf Änderung des bestandskräftigen Kindergeld-Aufhebungsbescheids zu sehen sei.

Dieser Bescheid könne – als Steuerbescheid – im Streitfall nur unter den Voraussetzungen der §§ 173 ff. AO (wiederum) aufgehoben werden. Entgegen der Ansicht der Familienkasse sei nach Ergehen des Aufhebungsbescheids von der vorangegangenen Kindergeldfestsetzung nicht lediglich ein rechtliches Nichts verblieben; vielmehr habe der Aufhebungsbescheid einen darüber hinausgehenden – negativen – Regelungsinhalt. Auf diesen negativen Regelungsinhalt des Aufhebungsbescheids seien die Vorschriften der §§ 173 ff. AO anzuwenden.

Das FG habe zutreffend ausgeführt, dass die Vorschrift des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht einschlägig sei. Die Familienkasse habe die Höhe der Einkünfte und Bezüge eines Kindes selbstständig und ohne Bindung an den Inhalt eines für das Kind ergangenen Einkommensteuerbescheids zu ermitteln. Es handle sich insoweit nicht um einen Grundlagenbescheid.

Hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Änderung des Aufhebungsbescheids wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen enthalte das angefochtene Urteil jedoch keine hinreichenden Feststellungen.

 

Hinweis

Die ausführlich gefassten Leitsätze veranschaulichen die zahlreichen Probleme des Besprechungsurteils.

Besonders wichtig ist zum einen die Aussage, dass die Änderungsvorschriften der AO 1977 (insbes. §§ 173 ff.) auch auf einen Kindergeld-Aufhebungsbescheid, mit dem die Anspruchsvoraussetzungen nach sachlicher Prüfung verneint wurden, anwendbar sind. Zum anderen verdient hervorgehoben zu werden, dass ein für ein Kind ergangener Einkommensteuerbescheid für die Kindergeldfestsetzung kein Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 AO darstellt. Dies bedeutet nicht, dass die Familienkassen sich die Kenntnisse der Finanzbehörden nicht zunutze machen könnten. Kommt es indessen beim Kindergeld zum Streit, haben die Familienkassen die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes eigenständig zu ermitteln. Dies gilt umso mehr, da – sofern die Steuerschuld bei Kindern sowieso 0 DM beträgt – eine sorgfältige Prüfung der Besteuerungsgrundlagen durch die Finanzämter nicht nötig erscheint.

Wird ein Kindergelda...

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