Leitsatz

Gehen der Leistende und Leistungsempfänger rechtsfehlerhaft davon aus, dass der Leistende Steuerschuldner ist, obwohl der Leistungsempfänger die Steuer schuldet (§ 13b UStG), sind die sich aus der Versagung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger entstehenden Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn das FA die für die Leistung geschuldete Steuer vom vermeintlichen statt vom wirklichen Steuerschuldner vereinnahmt hatte, der Leistende seine Rechnungen mit Steuerausweis berichtigt und den sich hieraus ergebenden Vergütungsanspruch an den Leistungsempfänger abtritt.

 

Normenkette

§ 233a, § 227 AO, § 13b, § 14c, § 15 UStG

 

Sachverhalt

Der nach seiner Umsatztätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigte Kläger bezog in den Jahren 2011 bis 2015 Bauleistungen, wobei die leistenden Unternehmer Rechnungen mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer erteilten. Aus den von ihm bezahlten Leistungsbezügen machte der Kläger den Vorsteuerabzug geltend.

Das FA war der Auffassung, dass auf die Leistungen § 13b UStG anzuwenden sei. Das FA versagte daher den Vorsteuerabzug aus den dem Kläger erteilten Rechnungen und gewährte den Vorsteuerabzug nur im Hinblick auf die beim Kläger nach § 13b UStG vorzunehmende Besteuerung. Die Umsatzsteuerbescheide einschließlich der Zinsfestsetzungen wurden bestandskräftig.

Die leistenden Unternehmer berichtigten die an den Kläger erteilten Rechnungen und traten die sich hieraus ergebenden Ansprüche an den Kläger ab, sodass die Nachforderung gegen den Kläger hiermit verrechnet wurde. Der Kläger beantragte den Erlass der Zinsen aus sachlichen wie auch aus persönlichen Gründen.

Einspruch und Klage zum FG (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.3.2018, 1 K 2616/17, Haufe-Index 12066893, EFG 2018, 1851) hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Entscheidung des FG auf und gab der Klage statt.

 

Hinweis

1. Die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO ist grundsätzlich nicht unbillig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile hatte. Dabei sind hypothetische Überlegungen grundsätzlich ohne Bedeutung. Hat der Leistende z.B. eine Leistung an einen zum Vorsteuerabzug berechtigten Empfänger nicht versteuert und hierfür keine Rechnung mit Steuerausweis erteilt, kann gegen die Verzinsung aufgrund einer Nachversteuerung nicht eingewandt werden, dass eine hypothetische Nullsituation vorliege, da der Leistungsempfänger bei einer rechtzeitigen Versteuerung mit entsprechender Rechnungserteilung zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen wäre. Maßgeblich war hierfür bislang eine ausschließlich auf den jeweiligen Unternehmer bezogene Betrachtungsweise.

2. Dieser Sichtweise zur sog. Nullsituation kommt aber keine abschließende Bedeutung mehr zu, wie der Fall der Fehlbeurteilung zur Person des Steuerschuldners zeigt. Gehen die Parteien eines Leistungsaustauschs rechtsirrtümlich von einer Steuerschuldnerschaft des Leistenden aus, während tatsächlicher Steuerschuldner der nach seiner Umsatztätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigte Leistungsempfänger nach § 13b UStG ist, kann es an einem Liquiditätsvorteil fehlen, sodass Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind.

Zum einen erweist sich eine später vorzunehmende Nachversteuerung insoweit als neutral, als es durch den zugleich nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG zu gewährenden Vorsteuerabzug zu keiner Nachforderung kommen kann.

Zum anderen liegt in Bezug auf den zu Unrecht in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug zumindest dann eine echte Nullsituation vor, wenn der Leistungsempfänger die ihm zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer gezahlt und der Leistende die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer zugleich versteuert hat. Kann dies z.B. dadurch belegt werden, dass der Leistende die Rechnung berichtigt und einen sich hieraus ergebenden Vergütungsanspruch an den Leistungsempfänger abtritt, ist eine Zinspflicht beim Leistungsempfänger sachlich unbillig.

Für diese Fallgestaltung hält der BFH nicht an der rein auf den jeweiligen Steuerpflichtigen bezogenen Betrachtungsweise fest. Aufgrund der Besonderheit eines gemeinsamen Rechtsirrtums von Leistendem und Leistungsempfänger bei der Anwendung von § 13b UStG und der auf dieser Grundlage fehlerhaften, aber folgerichtigen Versteuerung durch beide Beteiligte kommt es hier nicht in Betracht, für die Liquiditätsbeurteilung ausschließlich auf das zwischen dem Leistungsempfänger und seinem FA bestehende Steuerschuldverhältnis abzustellen.

3. Der BFH begründet seine Entscheidung im Streitfall ausdrücklich auch mit der bei §§ 13a, 13b UStG bestehenden Wechselwirkung, nach der die Steuerschuld nur entweder beim Leistenden oder beim Leistungsempfänger entstehen kann.

Argument der Wechselwirkung ggf. nur eingeschränkt tragfähig

Möglicherweise könnte auf dieses Begründungselement in Zukunft aber zu verzichten sein. Es würde dann entgegen bisheriger Rechtsprechung auch dann zu einem Anspruch auf Billigkeitserlass kommen, wenn ohne Zweifel an der Person des Steuerschuldners Umsatzsteuer – z.B. aufgrund einer ...

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