Rz. 32

Eine Betrachtung der deutschen Bilanztheorien in Bezug auf die IFRS ist aufschlussreich, da gezeigt werden kann, dass vermeintlich revolutionäre Ideen aus den IFRS, wie die Bewertung zum fair value oder eine Berücksichtigung der Inflation, bereits lange bekannt sind. Ferner wurde in der bilanztheoretischen Diskussion die Frage Periodisierung versus Objektivierung, die in den IFRS eher zugunsten der Periodisierung ausfällt, ausgiebig und kontrovers erörtert.

 

Rz. 33

Da die statische Bilanztheorie Objektivierungserfordernisse in den Vordergrund stellt und das Kriterium der Einzelveräußerbarkeit mit der grundlegenden Definition des assets in RK 4.3 ff.[1] nicht in Einklang zu bringen ist, können nur wenige Bezüge zu den IFRS hergestellt werden. So kann der zentrale Bewertungsmaßstab der Zerschlagungsstatik, der Einzelveräußerungspreis, dem Börsen- oder Marktwert entsprechen. Dieser Wert kommt auch in den IFRS zur Anwendung (IFRS 13). IAS 1.106 thematisiert – ganz im Sinne der Statik – die Gewinnermittlung durch die Messung der Veränderung des Reinvermögens. Die Konzeption der Bilanzierung zum Zeitwert in den IFRS zeigt allerdings ein deutliches Interesse an der Feststellung der Veränderungen der wirtschaftlichen Ressourcen. Insofern kann im Interesse an der Vermögensermittlung in den IFRS eine Parallele zur Statik gesehen werden.

 

Rz. 34

Hingegen ergeben sich mehr Gemeinsamkeiten mit der dynamischen Bilanztheorie. Die Definition des asset ist dynamisch geprägt[2], da ein auf einem Ereignis der Vergangenheit begründeter zukünftiger wirtschaftlicher Nutzen für die Aktivierung eines Vermögenswertes ausreicht.

 

Rz. 35

Schmalenbach sah die Bilanzierung weniger als externe Rechnungslegung an, sondern vielmehr als Möglichkeit für den Kaufmann, vor sich selbst Rechenschaft abzulegen. Letzteres ist jedoch insbesondere Aufgabe der Kostenrechnung, sodass dieses Argument in der Vergangenheit ein wesentlicher Kritikpunkt an der dynamischen Bilanztheorie war. Da es im Rahmen der internationalen Rechnungslegung zu einer Annäherung des externen an das interne Rechnungswesen kommt,[3] kann hier eine Parallele zwischen Schmalenbach und den IFRS gesehen werden.

 

Rz. 36

Auch die in den IFRS betonte periodengerechte Gewinnermittlung sowie die herausragende Stellung der Informationsfunktion sind wesentliche Komponenten der dynamischen Bilanztheorie. Hingegen sind die IFRS nicht als monistisch, sondern als pluralistisch zu charakterisieren. Zwar könnte man die Aufgabe der IFRS auf die Informationsfunktion reduzieren und somit eine monistische Auffassung rechtfertigen. Letztlich wollen die IFRS jedoch neben der Ergebnisermittlung (alleiniges Ziel der Dynamik) auch die Vermögenslage wirklichkeitsgetreu abbilden und darüber hinaus die Finanzlage (Kapitalflussrechnung) sowie die voraussichtliche zukünftige Entwicklung darstellen.

 

Rz. 37

Schmalenbach strebt nicht wie die IFRS nach der Ermittlung des "wahren Erfolges" (true and fair view in IAS 1.15), vielmehr geht es ihm um die Ermittlung eines möglichst periodengerechten und vergleichbaren Erfolges. Die durch die der Objektivierung dienende Beachtung des Vorsichtsprinzips (dessen Stellenwert in den IFRS geringer ist als bei Schmalenbach) entstehenden Verzerrungen im Vermögensausweis nimmt Schmalenbach hierfür bewusst in Kauf.

 

Rz. 38

Der Ansatz von Schwebeposten bei Schmalenbach geht über die Ansatzkonzeption der IFRS hinaus: Während die IFRS zukünftige Nutzenzuflüsse bzw. bestehende Leistungsverpflichtungen als zentrales Ansatzkriterium sehen, geht es in der dynamischen Bilanztheorie generell um Ausgaben und Einnahmen, die aufgrund des matching principle noch nicht aufwands- bzw. ertragswirksam zu erfassen sind. Dennoch ist der Nutzungswertansatz von IFRS 16[4]

ein eindeutiger Schritt in diese Richtung.

 

Rz. 39

In der organischen Bilanztheorie treten – ähnlich wie in den IFRS – Objektivierungserfordernisse mit Verweis auf die grundlegende Annahme der Unternehmensfortführung zurück.[5] RK 8.1 ff. der IFRS überlässt dem bilanzierenden Unternehmen die Wahl zwischen einem finanzwirtschaftlichen und einem leistungswirtschaftlichen Kapitalkonzept.[6] Die Auswahl soll nach den Bedürfnissen der Abschlussadressaten erfolgen ("Die Auswahl des angemessenen Kapitalkonzepts durch ein Unternehmen sollte auf die Bedürfnisse der Adressaten des Abschlusses beruhen", RK 8.2).

Nach dem im RK 8.3 definierten Konzept der finanziellen Kapitalerhaltung ("nominelle Kapitalerhaltung") wird nur dann ein Gewinn erzielt, wenn der finanzielle (oder Geld-) Betrag des Nettovermögens am Ende des Zeitraums den finanziellen (oder Geld-) Betrag des Nettovermögens zu Beginn des Zeitraums, nach Abzug von Ausschüttungen und Beiträgen von Besitzer während der Zeit, übersteigt. Dagegen wird nach dem Konzept der physischen Kapitalerhaltung („Realkapitalerhaltung“) nur dann ein Gewinn erzielt, wenn die physische Produktionskapazität (oder Betriebsfähigkeit) des Unternehmens (bzw. die Ressourcen oder Mittel, die zum Erreichen dieser Ka...

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