Rz. 1

Unternehmenskrisen können gerade in einem dynamischen Marktumfeld jederzeit durch interne und externe Faktoren ausgelöst werden – aktuelles Beispiel für einen externen Faktor wäre die Corona-Krise. Grundsätzlich sind sich abzeichnende Unternehmenskrisen frühzeitig durch die Aufsichts- und Geschäftsführungsorgane der Gesellschaft zu identifizieren und innerhalb der Rechnungslegung zu dokumentieren. So muss vor jeder Aufstellung des Jahresabschlusses nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB die Bestätigung der Annahme der Unternehmensfortführung für mind. die nächsten 12 Monate[1] durch den Kaufmann oder die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens erfolgen.[2] Ein Versäumnis kann erhebliche Haftungsfolgen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzverschleppung, nach sich ziehen.[3] In den letzten Jahren sind die Anforderungen hieran deutlich gestiegen. Konnte lange von einer impliziten Bestätigung der Annahme ausgegangen werden, scheidet eine Bilanzierung nach Fortführungswerten nach Ansicht des BGH aus, wenn innerhalb des Prognosezeitraums damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen noch vor dem Insolvenzantrag, im Eröffnungsverfahren oder alsbald nach Insolvenzeröffnung stillgelegt werden wird, d. h., ein Insolvenzgrund[4] besteht.[5] Dies ist unabhängig davon, ob die Insolvenzantragspflicht temporär ausgesetzt ist oder nicht. Bei der Beurteilung, ob von einer Fortführung des Unternehmens auszugehen ist, sind nach dem Abschlussstichtag wertaufhellende und wertbegründende Sachverhalte zu berücksichtigen, die in der Zeit vom Abschlussstichtag bis zum Aufstellungszeitpunkt eingetreten sind.[6] Zudem muss im Rahmen der Abschlussprüfung gewürdigt werden, ob die getroffenen Annahmen auf aktuellen Informationen aufsetzen, ob sie konsistent sind und ob das tatsächliche Handeln der gesetzlichen Vertreter nicht im Widerspruch zu den getroffenen Annahmen steht. Das IDW sieht etwa im Kontext der Corona-Krise die tatsächliche Beantragung oder Vorbereitung der Beantragung von in einer Liquiditätsprognose berücksichtigten staatlichen Liquiditätshilfen als ggf. konfliktierend mit der Unternehmensfortführungsprämisse an.[7]

Unabhängig von dieser konkreten Vorgabe zur Beschäftigung mit den Risiken für die Geschäftstätigkeit reicht der Krisenbegriff von einer umgangssprachlichen Krise, bei der etwa ein reduzierter Auftragseingang oder erhöhte Beschaffungspreise sinkende Gewinne erwarten lassen, bis zur Krise im Insolvenzverfahren. Diese unterschiedlichen Definitionen beschreiben letztlich die verschiedenen Eskalationsstufen einer Unternehmenskrise. Jeder verantwortlich handelnde Kaufmann wird daher, wie auch für Vorstände von Aktiengesellschaften in § 91 Abs. 2 AktG explizit gefordert, geeignete Maßnahmen treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einrichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.

 

Rz. 2

Die Bilanzpolitik kann dabei insb. am Beginn einer Krise die Maßnahmen der Unternehmensführung zur Überwindung unterstützen, indem – stets im Rahmen des gesetzlich Zulässigen – den Interessenten des Jahresabschlusses eine bestimmte Abbildung des Unternehmens geboten wird und so nicht von externer Seite Reaktionen ausgelöst werden, die die Krise ggf. noch verschärfen könnten und so im Ergebnis einen negativen Einfluss auf die Liquidität haben. Durch den Einsatz der Bilanzpolitik wird somit einerseits Zeit gewonnen und damit indirekt die Liquiditätslage verbessert oder zumindest geschont. Dass dies durchaus auch im Interesse des Gesetzgebers ist, kann aus dem festgeschriebenen Anschaffungskostenprinzip des HGB abgeleitet werden. Die auf dieser Basis gebildeten stillen Reserven können aufgelöst werden und geben so der Unternehmensleitung ggf. 2 bis 3 Jahre Zeit, Unternehmenskrisen zu bewältigen, um das Unternehmen und Arbeitsplätze zu erhalten.

Andererseits kann die Bilanzpolitik in der Krise auch ganz direkt einen Effekt auf die Liquidität haben. So dürfen negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG bis zu einem Betrag von 1 Mio. EUR, bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b EStG zusammenveranlagt werden, bis zu einem Betrag von 2 Mio. EUR vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abgezogen werden (Verlustrücktrag). Diese Höchstbetragsgrenzen sind durch das 2. Corona-Steuerhilfegesetz v. 29.6.2020 (BGBl 2020 I S. 1512) vorübergehend für die Veranlagungszeiträume 2020 und 2021 erhöht worden auf 5 Mio. EUR bzw. 10 Mio. EUR.

Der Übergang von der gewollten "Glättung" des Ausweises der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zur "Verschleierung" und "Falschdarstellung" ist allerdings fließend, weshalb zwingend die gesetzlich bestimmten Krisendefinitionen beachtet werden müssen.

 

Rz. 2a

Aktuelle Änderungen des Insolvenzrechts[8] verpflichtet die Geschäftsführung haftungsbeschränkte...

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