Rz. 100

Die Verwirklichung der bilanzpolitischen Ziele setzt vielfach voraus, dass die ergriffenen Maßnahmen und ihre Auswirkungen von den Bilanzadressaten nicht erkannt werden. Dies gilt insbesondere unter informationspolitischen Gesichtspunkten. Aber auch die Beeinflussung der Ausschüttungen an die Anteilseigner erfolgt leichter, wenn in bestimmten Situationen größere Abweichungen zwischen dem erkennbaren und nicht ausschüttungsgesperrtem Gewinn und der Ausschüttungssumme vermieden werden können.

Daher wird man also bei der Auswahl der einzusetzenden bilanzpolitischen Mittel regelmäßig den weniger oder überhaupt nicht erkennbaren Instrumenten den Vorzug geben, sofern die Möglichkeit dazu besteht.

 

Rz. 101

Erkennbare und nicht erkennbare Maßnahmen der materiellen Bilanzpolitik lassen sich auf unterschiedliche Weise miteinander kombinieren. Wirken die Maßnahmen aus beiden Bereichen ergebnismäßig in die gleiche Richtung, so entspricht das einer Situation, wie sie von Außenstehenden durchaus erwartet werden mag: Wenn z. B. schon die erkennbaren Gestaltungen zur Bilanzverschönerung herangezogen werden, so ist zu vermuten, dass erst recht alle nach außen hin nicht erkennbaren diesbezüglichen Maßnahmen (insbes. Ausübung von Individualermessensspielräumen) ausgeschöpft worden sind.

Eine derartige Erwartungshaltung lässt sich bilanztaktisch aber auch gezielt nutzen, indem erkennbare und nicht erkennbare Instrumente mit unterschiedlicher Wirkungsrichtung eingesetzt werden: So zeigen z. B. die erkennbaren Maßnahmen eine bilanzpolitische Tendenz zur Ergebnisverbesserung, während durch – betragsmäßig ungleich stärker ins Gewicht fallende – nicht erkennbare Maßnahmen eine Verschlechterung des Ergebnisausweises herbeigeführt wurde. Folge: Der externe Bilanzleser vermutet, dass stille Reserven aufgelöst worden sind; tatsächlich aber ist es zur Bildung neuer stiller Reserven gekommen.

Durch den Einsatz divergierender erkennbarer Instrumente kann weiterhin versucht werden, den externen Bilanzanalytiker zu verunsichern und ihm ein eindeutiges Urteil über die Bilanzpolitik des Unternehmens zu erschweren; eine solche Taktik eignet sich jedoch nur, wenn das Unternehmen über ausreichenden bilanzpolitischen Spielraum verfügt und es darum geht, die Erreichung seiner tatsächlichen bilanzpolitischen Ziele zu verdecken.

 

Rz. 102

Die für die Bilanzpolitik im Unternehmen Verantwortlichen sollten versuchen, die Instrumente der Bilanzanalyse von vornherein bei ihren Maßnahmen zu berücksichtigen (vgl. ergänzend Rz. 5). Das kann z. B. in der Weise geschehen, dass im Hinblick auf die Verwendung bestimmter Kennzahlen durch den Analytiker, z. B. die Regel, dass das Anlagevermögen durch Eigenkapital oder zumindest durch langfristiges Kapital gedeckt sein solle, die Herstellung entsprechender Relationen im Jahresabschluss angestrebt wird.

Zu bedenken ist ferner, dass sich ggf. einzelne bilanzpolitische Maßnahmen für unterschiedliche Bilanzadressaten in unterschiedlichem Maße als erkennbar darstellen. So wird z. B. – im Falle einer Kapitalgesellschaft – der Leser eines aussagefähigen Berichts über die Jahresabschlussprüfung mehr über die Bilanzpolitik erfahren als der nur auf den die Aufstellungs- und Offenlegungserleichterungen enthaltenen Jahresabschluss angewiesene Leser. Auch diese Abstufungen lassen sich bewusst gestalten, indem das besondere Interesse der jeweiligen Empfänger der Information berücksichtigt wird.

 

Rz. 103

Das Kriterium der Erkennbarkeit bilanzpolitischer Maßnahmen ist ggf. von Bedeutung bei der Auswahl von Betrieben für die steuerliche Betriebsprüfung. Das gilt speziell für solche Unternehmen, die nicht regelmäßig, sondern nur in größeren Zeitabständen von der Finanzverwaltung geprüft werden. Hier kommt es vor allem darauf an, bestimmte, aus dem Jahresabschluss ersichtliche "Besonderheiten", die eventuell eine Betriebsprüfung auslösen können, möglichst zu vermeiden; z. B.:[1]

  • wesentliche, nicht näher begründete Teilwertabschreibungen beim Anlagevermögen und bei den Vorräten,
  • hohe Rückstellungszuführungen, z. B. für Garantieverpflichtungen oder für Schadenersatzverpflichtungen und Haftpflichtrisiken,
  • außergewöhnlich hohe Reparaturaufwendungen, hinter denen sich u. U. aktivierungspflichtiger Herstellungsaufwand verbergen kann.

Sind solche Maßnahmen unumgänglich, kann eine detaillierte Erläuterung zweckmäßig sein, um beim Finanzamt keine Unklarheiten und Missverständnisse entstehen zu lassen.

[1] Vgl. Strunz, StBp 1984, S. 163  f.; Assmann, NWB Fach 17, S. 1181 (1992).

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