Rz. 40

Bei den im Rahmen der Bilanzierung und Bewertung gegebenen Gestaltungsmöglichkeiten kann zwischen (echten) Wahlrechten in Bilanzierung und Bewertung und Ermessenspielräumen unterschieden werden. Von einem (echten) Wahlrecht spricht man, wenn an einen gegebenen Tatbestand mindestens 2 verschiedene, eindeutig fixierte Rechtsfolgen anknüpfen, die sich gegenseitig ausschließen, und wenn der zur Rechnungslegung Verpflichtete entscheidet, welche von ihnen eintritt.[1]

 
Praxis-Beispiel

Die Aktivierung oder Nichtaktivierung eines Disagios aus aufgenommenen Verbindlichkeiten gem. § 250 Abs. 3 HGB (nur in der Handelsbilanz bestehendes Bilanzierungs-, d. h. Aktivierungswahlrecht); die Wahl zwischen der degressiven und der linearen Abschreibungsmethode; die Einbeziehung angemessener Teile der Kosten der allgemeinen Verwaltung sowie angemessener Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Betriebs, für freiwillige soziale Leistungen und für die betriebliche Altersversorgung oder der auf den Zeitraum der Herstellung entfallenden Fremdkapitalkosten in die Herstellungskosten gem. § 255 Abs. 2 Satz 3 bzw. Abs. 3 HGB.

Wahlrechte sind durch Gesetze, Urteile oder Verwaltungsanweisungen ausdrücklich zugestandene Bilanzierungs- oder Bewertungsalternativen; die entsprechenden Normen stammen aus dem Handels- oder Steuerrecht. Die Ermessensspielräume zeichnen sich im Vergleich zu den Wahlrechten dadurch aus, dass formal keine Auswahlentscheidung des Bilanzierenden zwischen rechtlich fixierten Alternativen vorhanden ist. Stattdessen hat der Bilanzierende durch die Ausübung von Ermessensspielräumen auf einer vorgelagerten Ebene die Möglichkeit, den Jahresabschluss durch die Ausübung von Ermessensspielräumen derart zu gestalten, dass auf Basis dieser Einflussparameter unterschiedliche Bilanz- und Wertansätze möglich sind.[2] Da keine formale Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Parametern zu treffen ist, erscheint es auch berechtigt von "verdeckten" Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten zu sprechen.

 

Rz. 41

Innerhalb der Ermessensspielräume können wiederum Verfahrensspielräume und Individualspielräume unterschieden werden.

Verfahrensspielräume ergeben sich z. B. im Bereich der Bewertung dadurch, dass bei der Art der Wertermittlung im Fachschrifttum und in der Praxis verschiedene Verfahren für zulässig erachtet werden.

 
Praxis-Beispiel

Die Art der Berücksichtigung von Beschäftigungsschwankungen bei der Ermittlung der Herstellungskosten; die Verfahren zur Ermittlung der Herstellungskosten von Kuppelprodukten; die Berechnung der Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften auf der Basis künftiger Voll- oder Teilkosten; die Ausgestaltung der Lifo-Methode zur Vorratsbewertung, insbesondere Perioden-Lifo-Methode, permanente Lifo-Methode, Lifo-Methode mit Layern; Anwendung der Einfrierungs- oder der Durchbuchungsmethode zur Abbildung von Bewertungseinheiten (ausgenommen der antizipativen Bewertungseinheiten, für die allein die Einfrierungsmethode möglich ist); Erfassung der Erlöse aus einem Mehrkomponentenvertrag.

Individualspielräume betreffen dagegen die gemäß Einzelentscheidungen dem Grunde oder der Höhe nach festzulegenden Wertansätze. Dabei bestehen für die Frage der Bilanzierung und für die Schätzung der Werte Bandbreiten, die regelmäßig umso höher sind, je weniger vergleichbare Sachverhalte in der Vergangenheit vorlagen.

 
Praxis-Beispiel

Eintritt oder Nichteintritt des Rückstellungsgrundes bei drohenden Einzelgarantierisiken, z. B. Prozessrisiken, (Passivierungsspielraum); der Umfang von Abwertungen bei den Vorräten gem. dem Niederstwertprinzip (Bewertungsspielraum); die Höhe der Einzelwertberichtigungen zu Forderungen (Bewertungsspielraum); Parameter zur Ermittlung der Garantierückstellungen oder Pauschalwertberichtigungen.

 

Rz. 41a

In einigen Fällen sind jedoch die Verfahrensspielräume und Individualspielräume eng miteinander verknüpft und daher schwer zu trennen.

Beispiel: Unter bestimmten Voraussetzungen hält ein Teil des handelsrechtlichen Schrifttums eine Gewinnrealisierung aus langfristiger Auftragsfertigung nach der Percentage-of-Completion-Methode für zulässig.[3]

Auf der ersten Ebene besteht der Verfahrensspielraum eine geeignete Methode zur Ermittlung des Fertigstellungsgrads des (langfristigen) Fertigungsauftrags zum Ende einer Abschlussperiode zu ermitteln. Hierbei können grundsätzlich input- und outputorientierte Verfahren unterschieden werden. In Abhängigkeit der Ebene, auf welcher der bzw. die Fertigstellungsgrade des Fertigungsauftrags bzw. der in diesem enthaltenen Teilprojekte ermittelt werden, lassen sich globale und differenzierte Methoden zur Feststellung des Fertigstellungsgrads unterscheiden. In Abhängigkeit der im ersten Schritt ausgewählten Methode ergeben sich zusätzliche Individualspielräume zur Schätzung der für die Anwendung der jeweiligen Methode benötigten Parameter, z. B. Schätzung der Gesamtkosten zur Erfüllung eines Fertigungsauftrags bei der globalen Cost-to-cost-Methode.

 

Rz. 42

Er...

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