Rz. 19

Nachdem im ersten Schritt die Ziele der Bilanzpolitik abgegrenzt wurden, stellt sich die Frage, welche Formen der Bilanzpolitik zur Erreichung der Ziele eingesetzt werden können. In Anlehnung an Heinhold können 3 größere Gruppen von bilanzpolitischen Instrumenten unterschieden werden:[1]

  • Zeitliche Bilanzpolitik, die sich insbesondere auf die Wahl des Bilanzstichtags, den Bilanzvorlagetermin, den Bilanzveröffentlichungstermin und den Abgabetermin für die Steuererklärung erstreckt.
  • Materielle Bilanzpolitik stellt ab auf die Beeinflussung der Höhe des im Abschluss ausgewiesenen Jahresergebnisses und die im Jahresabschluss ausgewiesenen Bilanzrelationen. In Bezug auf das Jahresergebnis bezieht sich die materielle Bilanzpolitik sowohl auf den handelsrechtlichen als auch auf den steuerrechtlichen Gewinn oder Verlust. Diese Form der Bilanzpolitik steht zumeist im Mittelpunkt, da sich hierdurch die Zahlungsströme an den Fiskus und die Anteilseigner beeinflussen lassen, aber auch die Finanzierungsvolumina und -bedingungen durch externe Kreditgeber.
  • Formelle Bilanzpolitik befasst sich mit der Gliederung, dem Ausweis und der Erläuterung der Abschlussposten. Hier geht es zunächst um die Beeinflussung der Struktur der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung. Der formellen Bilanzpolitik sind aber auch der Umfang und die Gestaltung des Anhangs und des Lageberichts zuzurechnen. Die vorgenannten Fragen sind vor allem für die Informationspolitik von Bedeutung, die sich darüber hinaus speziell mit der Frage befasst, in welchem Umfang das Unternehmen Wahlrechte im Zusammenhang mit der Aufstellung und der Offenlegung in Anspruch nimmt (insbesondere Offenlegung vs. Hinterlegung bei – den nicht unter § 267a Abs. 3 HGB fallenden – Kleinst-Kapitalgesellschaften i. S. d. § 267a Abs. 1 HGB sowie Inanspruchnahme von Aufstellungs- und Offenlegungserleichterungen für kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften nach §§ 288 Abs. 1 und 2, 326 Abs. 1 und 327 HGB).
 

Rz. 20

In der Mehrzahl der praktischen Fälle bestehen Interdependenzen zwischen den Formen der Bilanzpolitik, weil z. B. ergebniswirksame Veränderungen der Wertansätze der Bilanzpositionen auch die Strukturen des Jahresabschlusses berühren und ggf. sogar Konsequenzen für die Berichterstattung im Anhang haben (z. B. durch Beeinflussung der Größenklasse von Kapitalgesellschaften i. S. d. §§ 267, 267a HGB aufgrund materieller Bilanzpolitik), während umgekehrt Gestaltungen, welche die Bilanzstrukturen beeinflussen sollen (etwa im Hinblick auf bestimmte Kennzahlen), vielfach nicht erfolgsneutral sind. Beispielsweise wirkt sich insbesondere bei Saisonbetrieben die Wahl des Bilanzstichtags auf die Höhe des im Jahresabschluss ausgewiesenen Umlaufvermögens sowie dessen Struktur (z. B. Vorräte, Bestand an liquiden Mitteln) aus. Je nach Bedeutung der Vorratsbestände können Bewertungswahlrechte für das Vorratsvermögen (z. B. Verbrauchsfolgeverfahren oder Kostenzuordnungen bei Ermittlung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten) und damit die materielle Bilanzpolitik eine unterschiedliche Bedeutung besitzen.

Für die Durchführung der Bilanzpolitik ergibt sich daraus, dass die einzusetzenden Mittel oft nicht einem der beiden Bereiche eindeutig zugeordnet werden können.[2] Anhaltspunkte für die Einteilung der bilanzpolitischen Instrumente ergeben sich aus der Feststellung, dass die formellen Instrumente den informationspolitischen Erfordernissen genügen, die materiellen Instrumente hauptsächlich den finanzpolitischen Zielsetzungen entsprechen und die zeitlichen Instrumente beiden Zielgruppen Rechnung tragen können.[3]

Da die wirkungsmäßigen Verknüpfungen der materiellen und der formellen Bilanzpolitik i. d. R. ungewollt sind, stellen sie für die Auswahl der in der konkreten Situation zweckmäßigen bilanzpolitischen Mittel u. U. einen erschwerenden Faktor dar.

 
Praxis-Beispiel

Ein Unternehmen erstrebt in einer bestimmten Periode einen höchstmöglichen Gewinnausweis. Hierzu entschließt sich das Unternehmen ein Disagio aus einem aufgenommenen Darlehen (in der Vorperiode wurde kein Darlehen mit einem Disagio aufgenommen) zu aktivieren (vgl. § 250 Abs. 3 HGB). Jedoch ist in diesem Falle – ausgenommen es handelt sich um eine kleine Kapitalgesellschaft (vgl. § 274a Nr. 3 HGB) – das aktivierte Disagio entweder in der Bilanz gesondert auszuweisen oder im Anhang anzugeben (vgl. § 268 Abs. 6 HGB).

In diesem Fall wird die Wirkung der materiellen Bilanzpolitik (Erhöhung des Gewinnausweises) durch die formelle Bilanzpolitik (Offenlegung der vorgenommenen gewinnerhöhenden Maßnahme) konterkariert.

 

Rz. 21

Im weiteren Sinn lassen sich u. a. die Wahl der Rechtsform des Unternehmens, die Bestimmung des Standorts und die Festsetzung des Bilanzstichtags der Bilanzpolitik zurechnen, weil die entsprechenden Entscheidungen eventuell auch von der Absicht beeinflusst werden, konkrete Wirkungen auf den Jahresabschluss zu erzielen. Gestaltungen dieser Art stellen somit ebenfalls – abhängig von der jeweiligen Interessenlage ...

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