1 Grundsätzliches zu Bilanzierungsverstößen

1.1 Bilanzierungsverstöße – Begriff und Abgrenzung

 

Rz. 1

Der Begriff "Bilanzierungsverstoß" soll im Folgenden sowohl für die Verletzung gesetzlich oder anderweitig normierter Bilanzierungsvorschriften (z. B. des Handels- und Steuerrechts, des Börsenrechts, der Rechnungslegungsstandards etc.) als auch für die Missachtung von Bilanzierungsregeln, die durch unbestimmte Rechtsbegriffe vorgegeben sind (wie z. B. durch die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, GoB), verwandt werden.

 

Rz. 2

Der Begriff "Bilanzierung" soll weit verstanden werden, also nicht auf die Erstellung der Bilanz beschränkt sein, sondern vielmehr auch die Gewinn- und Verlustrechnung, den Anhang und den Lagebericht sowie sämtliche ergänzenden Rechenwerke umfassen. Die treffendere, aber bisher unübliche Bezeichnung wäre diesbezüglich eigentlich "Rechnungslegungsverstöße". In der Literatur[1] finden sich häufig auch die Bezeichnungen "Bilanzdelikte" und "Bilanzkriminalität" oder "Bilanzfälschung" und "Bilanzmanipulation".

 

Rz. 3

Letztlich soll auch in zeitlicher Hinsicht eine umfassende Betrachtung der Rechnungslegung vorgenommen werden. Das Augenmerk wird nicht nur auf Verstöße bei der Aufstellung der einzelnen Rechenwerke, sondern auch auf die Phasen der Prüfung, Feststellung und Offenlegung derselben gerichtet.

[1] Z. B. Sieben/Matschke/Neuhäuser, Bilanzdelikte, 1974; Freidank, Bilanzreform und Bilanzdelikte, 2005; Neuhäuser, Bilanzkriminalität, 1974; Peemöller, BBK 24/2009, S. 1211 ff.; Rinker, StuB 8/2019, S. 297 ff. und 10/2019, S. 395 ff..

1.2 Arten von Bilanzierungsverstößen

 

Rz. 4

Bilanzierungsverstöße lassen sich zum einen nach dem Zeitpunkt ihrer Begehung klassifizieren:

  • Sie können bereits im Rahmen der Aufstellung des Abschlusses begangen werden. Dabei ist zwischen der

    • unterlassenen Aufstellung, bei der wiederum die Fälle völligen Unterlassens von jenen abzugrenzen sind, bei denen die Aufstellung nicht innerhalb der vorgeschriebenen Fristen erfolgt, und
    • der inhaltlich fehlerhaften Aufstellung zu differenzieren.

    Als formelle Bilanzierungsverstöße[1] werden hierbei jene bezeichnet, die Normen verletzen, die die Bilanzgliederung (z. B. § 266 HGB), den Bilanzausweis ("am rechten Ort"),[2], die Klarheit und Übersichtlichkeit der Bilanz[3] und die Verbindlichkeit der Bilanz[4] betreffen.

    Materielle Bilanzierungsverstöße[5] können bei unzulässigerweise aufgenommenen oder unberechtigterweise weggelassenen Bilanzansätzen ("dem Grunde nach")[6] oder den Bewertungsvorschriften widersprechenden Über- oder Unterbewertungen ("der Höhe nach")[7] vorliegen.

  • Umfasst sind des Weiteren Verstöße gegen die Vorschriften zur Prüfung des Abschlusses.[8]
  • Bilanzierungsverstöße können außerdem die Feststellung des Abschlusses betreffen.[9]
  • Schließlich werden Bilanzierungsverstöße auch bei der Offenlegung des Abschlusses begangen.[10]
 

Rz. 5

Zur weiteren Einteilung von Bilanzierungsverstößen bieten sich zum anderen folgende Kriterien an:

  • Grad des Verschuldens (vorsätzliche oder fahrlässige – leicht oder grob fahrlässige [leichtfertige] – Begehung),
  • Art der Sanktion (Freiheits- oder Geldstrafe, Geldbuße, Zwangsgeld, Ordnungsgeld, Schadenersatz, Versagung des Bestätigungsvermerks etc.),
  • Zugehörigkeit der verletzten Norm zu einem bestimmten Rechtsgebiet (Handelsrecht – im Einzelnen z. B. Aktienrecht, Konzernrecht etc. – Steuerrecht, Strafrecht, Börsenrecht etc.),
  • Unterscheidung zwischen "Bilanzfälschung" und "Bilanzverschleierung"[11] (Erstere verstößt gegen das Prinzip der Bilanzwahrheit, Letztere gegen das Gebot der Bilanzklarheit; wobei die Abgrenzung jedoch nicht einheitlich ist, sondern Mischtypen möglich sind[12]).
[1] Federmann/Müller, Bilanzierung nach Handelsrecht, Steuerrecht und IFRS, 13. Aufl. 2018, S. 118.
[4] Z. B. Unterzeichnung gemäß § 245 HGB.
[5] Federmann/Müller, Bilanzierung nach Handelsrecht, Steuerrecht und IFRS, 13. Aufl. 2018, S. 118.
[6] Z. B. Aufnahme wirtschaftlich nicht zugehöriger Vermögensgegenstände, Rückstellungsbildung für nicht existente Risiken, Nichtbilanzierung von Bankguthaben auf "schwarzen Konten", Nichterfassung von Vorräten oder Schulden etc.
[7] Z. B. Überschreitung der Anschaffungs- und Herstellungskosten, Unterlassen außerplanmäßiger Abschreibungen, unbegründete Teilwertabschreibungen etc.
[8] Z. B. unterlassene oder nicht rechtzeitige Erteilung des Prüfungsauftrages, verweigerte Auskunft gegenüber dem Abschlussprüfer, Verletzung der Berichts- oder Geheimhaltungspflicht durch den Prüfer etc.
[9] Z. B. Fehler bei der Beschlussfassung, fehlende Unterzeichnung des Feststellungsbeschlusses etc.
[10] Z. B. Nichteinreichung zum Betreiber des Bundesanzeigers.
[11] Zu Einzelheiten Oehmichen, in Belke/Oehmichen, Wirtschaftskriminalität, 1983, S. 234.
[12] Wagenpfeil, in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 7. Aufl. 2109, § 40 Rz. 34.

1.3 Motive der handelnden Personen

 

Rz. 6

Zum einen werden vorsätzlich Bilanzierungsverstöße zur Absicherung eigenen Verhaltens begangen.[1] Des Weiteren kann auch die Beeinflussung fremden Verhaltens durch die Darstellung der Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage des Unternehmen...

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