Rz. 56

Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz EStG ist die Vermögensübersicht (Bilanz) des Steuerpflichtigen unrichtig, wenn sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Befolgung der Vorschriften des Einkommensteuergesetzes nicht entspricht, sodass insoweit eine Korrektur der betroffenen Bilanzansätze erforderlich wird. Demnach ist ein Bilanzansatz unrichtig bzw. unzulässig, wenn er

  • gegen zwingende Vorschriften des Einkommensteuerrechts,[1]
  • gegen zwingende Vorschriften des Handelsrechts und/oder
  • gegen die einkommensteuerrechtlich zu beachtenden handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung

verstößt.[2]

 
Praxis-Beispiel

Ein Kaufmann hatte am 10.12.01 mit einem Kunden einen Kaufvertrag über die Lieferung von Waren zum Preis von 100.000 EUR (zzgl. USt) geschlossen. Obwohl die Lieferung erst am 15.1.02 erfolgte, buchte der Kaufmann den Vorgang bereits im Jahr 01.

Lösung: Indem die Forderung aus dem Kaufvertrag bereits vor der Lieferung erfasst wurde, wurde gegen das Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) und damit gegen die einkommensteuerlich zu beachtenden GoB verstoßen. Die Bilanz zum 31.12.01 ist somit fehlerhaft und darf berichtigt werden bzw. der steuerlichen Gewinnermittlung müssen die richtigen Werte zugrunde gelegt werden.[3]

Nach Auffassung des BFH soll eine Bilanzberichtigung auch dann erfolgen können, wenn ein in der Bilanz enthaltener Ansatz nicht gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, sondern (nur) gegen steuerrechtliche Vorschriften verstößt.[4] Stapperfend vertritt indes die Ansicht, dass die Bilanz nur dann zu berichtigen sei, wenn sie gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verstoße und der Verstoß nicht auf steuerrechtlichen Vorschriften beruhe.[5]

Im Ergebnis ist die Sichtweise des BFH jedoch vorzugswürdig. Die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gelten für die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich und werden durch steuerrechtliche Vorschriften teils modifiziert oder überschrieben. Auf diese Weise entsteht ein 2-stufiges, aber einheitliches Regelungssystem. Werden die steuerlichen Vorschriften, die die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung modifizieren bzw. überschreiben, bei der Bilanzerstellung nicht beachtet, entspricht die Bilanz letztlich nicht den "Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Befolgung der Vorschriften dieses Gesetzes", da die "Vorschriften dieses Gesetzes" eben verletzt wurden.[6]

 

Rz. 57

Gegenstand der Bilanzberichtigung sind grundsätzlich die einzelnen Bilanzposten; Verstöße gegen Vorschriften, die außerbilanziell zur Anwendung kommen (z. B. nicht abzugsfähige Betriebsausgaben gem. § 4 Abs. 5 EStG, vGA, Investitionsabzugsbeträge usw.), sind von der Bilanzberichtigung im Grundsatz nicht erfasst, sodass, soweit kein Bilanzansatz betroffen ist, auch keine Bilanzberichtigung durchzuführen ist.[7] Erfasst ist dabei nicht nur der unrichtige Ansatz von aktiven und passiven Wirtschaftsgütern einschließlich Rückstellungen sowie Rechnungsabgrenzungsposten dem Grunde und der Höhe nach, sondern auch der unrichtige Gewinn, der sich ggf. ohne Auswirkung auf den Ansatz eines Wirtschaftsguts oder eines Rechnungsabgrenzungspostens aus der Nicht- oder fehlerhaften Verbuchung von Entnahmen und Einlagen ergibt.[8]

 

Rz. 58

Bei der Nicht- oder fehlerhaften Verbuchung von Einlagen und Entnahmen ist ausschlaggebend, dass eine sich aus § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ableitende und der Gewinnermittlung dienende (Unter-)Position des Eigenkapitals verändert wird. Der Bilanzposten "Eigenkapital" setzt sich selbst aus verschiedenen Teilbeträgen bzw. Eigenkapitalpositionen, der Gewinngutschrift bzw. der Verlustkürzung und eben auch den Einlagen und Entnahmen zusammen (§ 266 Abs. 3 HGB). Eine Veränderung der Einlagen und Entnahmen wirkt sich aufgrund der damit verbundenen Gewinnerhöhung respektive -minderung per Saldo zwar nicht auf die Höhe des Eigenkapitals aus. Dennoch wird durch die Veränderung der einzelnen Teilbeträge des Eigenkapitals bzw. der Eigenkapitalpositionen die Zusammensetzung des Eigenkapitals insgesamt verändert. Die damit einherschreitende Wandlung des Gewinns i. S. von § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG rechtfertigt die Annahme, dass auch die per Saldo ergebnisneutrale Veränderung der Eigenkapitalpositionen eine Bilanzberichtigung i. S. von § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG darstellt. Insofern sei auch angemerkt, dass die Regelung über die Bilanzberichtigung schon aufgrund ihrer gesetzessystematischen Stellung mit der Gewinnermittlung nach Betriebsvermögensvergleich verbunden ist.[9] Die Tatsache, dass die Veränderung der Eigenkapitalpositionen "Entnahmen" und "Einlagen" durch die Gewinnänderung kompensiert wird und alleine daher bereits auf den technischen Vorgang einer Bilanzberichtigung verzichtet werden kann, darf nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen gereichen. Dieses Verständnis wird nicht zuletzt durch eine verfassungskonforme Auslegung untermauert. Denn durch die auf einer Bilanzberichtigung basierende Bilanzä...

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