Zusammenfassung

 
Überblick
  • Komplexe Situationen zwingen zu unsicheren Entscheidungen bei begrenzten zeitlichen, materiellen und kognitiven Ressourcen. Daraus resultieren Bedingungen, die zur unbewussten Anwendung von vereinfachenden und selbstwerterhaltenden Strategien führen können (kognitiven Verzerrungen).
  • Das eigentliche, inhaltliche Sachziel wird dabei unbewusst zweitrangig, das Handeln richtet sich stärker an Bedürfniszielen aus. Dadurch kann es passieren, dass Optionen ausgewählt werden, die kurzfristig dem Bedürfnisziel dienen, langfristig aber nicht optimal für das Sachziel sind.
  • Der Mechanismus ist an sich "psychisch" gesehen sinnvoll, deshalb nicht "irrational", wie oft beschrieben. Er ist in diesem Kontext für die Qualität von Entscheidungen jedoch längerfristig nachteilig.
  • In dem Beitrag wird dieser Mechanismus bewusst gemacht und anhand von Beispielen erläutert.

1 Die Bedeutung von Entscheidungen in herausfordernden Zeiten

Besonders in der Krise wird die Bedeutung "guter" Entscheidungen deutlich. Tatsächlich ist der Begriff der Krise in seinem Wortursprung eng mit dem der "Entscheidung" verbunden und deutet damit an, worauf es in dieser besonderen Phase ankommt.[1] Warum? Weil in der Krise jene Option, die gerne gewählt wird, nämlich das Verweilen im Status Quo wegfällt. Man kann aufgrund der Umstände nicht so weitermachen wie bisher, muss deswegen festlegen, welcher neue Weg gegangen werden soll, um ein bestimmtes Ziel (bspw. den Erhalt des Unternehmens) zu erreichen. Selten wurde das in jüngerer Zeit so deutlich wie in der Corona-Krise, die in einer bis dahin nicht für möglich gehaltenen Geschwindigkeit zu tiefgreifenden Veränderungen in sämtlichen Lebens- und Arbeitsbereichen geführt hat und sicherlich nachhaltig führen wird. Diese Krise ist für Entscheidungen auch deshalb von besonderem Interesse, da die mit ihr einhergehenden Unsicherheiten und Ängste besonders prominent hervortreten.

Im vorliegenden Artikel werden die Herausforderung beim Entscheiden generell und besonders in solch bedrohlichen Situationen dargestellt. Im Fokus stehen dabei die kognitiven Verzerrungen – Effekte, die dazu führen können, dass wir unser Entscheidungsziel nicht oder nicht zufriedenstellend erreichen. Die Effekte sind keine Unbekannten mehr, was sich auch in der Anzahl populärwissenschaftlicher Veröffentlichungen zeigt.[2] Trotzdem haben sie weiterhin hartnäckig – trotz besseren Wissens – Einfluss auf unsere Entscheidungen. Wir wollen einen genaueren Blick auf den Ursprung und die Wirkungsweise der Verzerrungen werfen und dabei den dahinterliegenden Wirkmechanismus herausarbeiten. Dieser soll als Basis für den Anstoß zu wirksameren Debiasing-Intervention (also "entzerrenden" Maßnahmen) dienen.[3] Dafür beginnen wir mit der kritischen Auseinandersetzung zur Forschung zu kognitiven Verzerrungen und Entscheidungen allgemein.

[1] Töchterle, 2020.
[2] Siehe bspw. Ariely, 2008.

2 Woran bemisst man eigentlich die Qualität einer Entscheidung?

Die Qualität einer Entscheidung sollte am Entscheidungsprozess bemessen werden, nicht (nur) am Entscheidungsergebnis. Üblicherweise werden Entscheidungen erst im Nachhinein bewertet. Der Vorteil daran ist, dass dann das Ergebnis der Entscheidung vorliegt, man also sieht, inwiefern das eigentliche Ziel erreicht wurde. Daran wird aber ein Problem deutlich: Das Ergebnis einer Entscheidung ist nicht allein von dem vorangestellten Entscheidungsprozess abhängig, sondern auch von externen Einflussfaktoren, die nicht im Verantwortungsbereich des Entscheiders liegen bzw. sich in andere Richtungen entwickeln können als eingeschätzt. Die Konsequenz daraus ist, dass der alleinige Blick auf das Ergebnis einer Entscheidung wenig über deren Qualität aussagt.

Im Fokus zur Bewertung von Entscheidungen steht demnach der Entscheidungsprozess. Baron (2008) stellt das Verhältnis von Entscheidungsprozess und –ergebnis so dar, dass ein guter Entscheidungsprozess maximal die Wahrscheinlichkeit eines guten Ergebnisses erhöhen kann, garantieren kann er es nicht. Umgekehrt führt ein schlechter Entscheidungsprozess dazu, dass mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ein negatives Ergebnis entsteht (da bspw. das Ziel nicht klar ausformuliert wird oder nicht genügend Informationen eingeholt werden). Trotzdem können glückliche Umstände dazu führen, dass das Ergebnis dennoch erreicht wird. Das heißt, dass eine Entscheidung auch eine gute Qualität haben kann, wenn sie nicht das erwünschte Ergebnis liefert. Dies gilt jedoch nur dann, wenn durch diesen Prozess die Wahrscheinlichkeit maximiert wurde, ein gutes Ergebnis zu erreichen.

3 Die Herausforderungen von Entscheidungsprozessen

Die Aufgabe eines guten Entscheidungsprozesses ist es im Grunde, zum Entscheidungszeitpunkt jene Option auszuwählen, die den zukünftigen Anforderungen bestmöglich begegnet, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Der Prozess der Entscheidung[1] beginnt üblicherweise damit, dass die Entscheidungssituation überhaupt wahrgenommen wird, dass eine Diskrepanz zwischen dem gegebenen und dem gewünschten Zustand b...

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