Entscheidungsstichwort (Thema)

Ehegattenbürgschaft

 

Leitsatz (amtlich)

a) Ist der bürgende Ehegatte aufgrund der bei Vertragsschluß für den Gläubiger erkennbaren Umstände voraussichtlich nicht in der Lage, bei Eintritt des Bürgschaftsfalls in nennenswertem Umfang Zahlungen zu leisten, entfällt in der Regel die Geschäftsgrundlage des Vertrages, wenn die Lebensgemeinschaft aufgelöst und deshalb nicht mehr mit Vermögensverlagerungen zwischen Hauptschuldner und Bürgen zu rechnen ist.

b) Die Prognose zur Leistungsfähigkeit des bürgenden Partners ist in der Regel auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme durch den Gläubiger auszurichten; es gilt die tatsächliche Vermutung, daß das reale Einkommen des Bürgen voraussehbar war.

c) Ist die Geschäftsgrundlage für die Bürgschaft des finanziell nicht leistungsfähigen Ehegatten entfallen, steht dem Gläubiger in der Regel kein Zahlungsanspruch zu.

 

Normenkette

BGB §§ 765, 242; ZPO § 287 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main

LG Wiesbaden

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt an Main vom 16. Juni 1995 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch Ober die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der frühere Ehemann der Beklagten und dessen Bruder betrieben als Pächter eine Gaststätte in Wiesbaden. Den dafür benötigten Kredit erhielten sie von der Klägerin. Die im Jahre 1952 geborene Beklagte, die einen kaufmännischen Beruf erlernt und in der Vergangenheit in dem Gastronomiebetrieb mitgearbeitet hat, unterzeichnete an 19. Februar 1987 die selbstschuldnerische Bürgschaft für alle bestehenden und künftigen Ansprüche der Klägerin gegen die Brüder aus der Geschäftsverbindung bis zum Betrag von 87.000 DM. Die Beklagte widmete sich damals der Betreuung ihres einjährigen Kindes.

Im Jahre 1991 wurde die Ehe der Beklagten geschieden. Da die Kreditnehmer mit der Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten in Verzug gerieten. stellte die Klägerin im August 1992 ihre Forderung – in Höhe von fast 160.000 DM – fällig. Sie nimmt nunmehr die Beklagte aus der Bürgschaft in Anspruch. Die Beklagte wendet ein. der Vertrag sei nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam. weil die Klägerin gewußt habe, daß sie einkommens – und vermögenslos sei und daher die Verpflichtung nicht werde erfüllen können.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. das Berufungsgericht sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht sieht den Bürgschaftsvertrag als wirksam an; er verstoße insbesondere nicht gegen die guten Sitten. Zwar übersteige die von der Beklagten eingegangene Verpflichtung ihre finanzielle Leistungsfähigkeit in krasser Weise; denn die Beklagte habe damals kein nennenswertes eigenes Einkommen und Vermögen besessen. Die Klägerin habe in absehbarer Zeit nicht mit einer Verbesserung dieser Verhältnisse rechnen können. Selbst eine in Zukunft eventuell mögliche Arbeitstätigkeit werde kein Einkommen abwerfen, das zur Schuldentilgung beitragen könne. Jedoch sei die Beklagte nicht geschäftsunerfahren gewesen. Es seien auch keine sonstigen Umstände festzustellen, die der Klägerin als sittenwidriges Vorgehen zugerechnet werden könnten. Diese Erwägungen sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.

1. Der Umstand allein, daß eine Ehefrau voraussichtlich die für ihren Ehemann übernommene Bürgschaft nicht erfüllen kann, macht diese noch nicht sittenwidrig (BGHZ 128, 230, 232; BGH, Urt. v. 2. November 1995 – IX ZR 222/94, WN 1996, 53; v 18. Januar 1996 – IX ZR 171/95, WM 1996, 519, 521). Die eingegangene Verpflichtung ist in der Regel erst dann unwirksam, wenn die Bürgin durch zusätzliche dem Gläubiger zurechenbare Umstände in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt worden und so ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern entstanden ist. Solche Belastungen können sich insbesondere daraus ergeben, da[3 der Gläubiger selbst Umfang und Tragweite der Haftung verharmlost (vgl. BGH, Urt. v. 24. Februar 1994 – IX ZR 227/93, WM 1994. 680. 683). ungewöhnliche und schwerwiegende, dem Bürgen ersichtlich unbekannte Haftungsrisiken verschweigt (vgl. BGHZ 125, 206, 217; BGH, Beschl. v. 28. März 1996 – IX ZR 199/95, z.V.b. in BGHR), in rechtlich verwerflicher Weise für ihn eine Zwangslage begründet (vgl. BGH, Urt. v. 2. November 1995, aaO 8. 54 f) oder in sonstiger Weise dessen Geschäftsunerfahrenheit zu seinem Vorteil ausnutzt (vgl. BGHZ 125. 206, 217; BGH, Urt. v. 24. Februar 1994 – IX ZR 227/93. aaO). Darüber hinaus verletzt der Kreditgeber grundlegende Prinzipien der Rechtsordnung auch dann, wenn er klar zutage getretene sittlich mißbilligenswerte Handlungen des Hauptschuldners für eigene Zwecke verwertet (BGHZ 125, 206, 213 ff; BGH, Urt. v. 22. Januar 1991 – XI ZR 111/90, NJW 1991 923, 925; BGH, Urt. v. 24. Februar 1994 – IX ZR 227/93, aaO 8. 682 f; v. 26. April 1994 – XI ZR 184/93, WM 1994. 1022. 1023).

Rechtsfehlerfrei hat sich das Berufungsgericht von solchen besonderen Umständen nicht überzeugen können.

a) Bereits aus dem eigenen Vorbringen der Beklagten ist kein Verhalten der Bank ersichtlich, das geeignet war, die Entscheidungsfreiheit in unzulässiger Weise zu beeinträchtigen. Das vertraglich übernommene Haftungsrisiko ging über die mit einer solchen Bürgschaft typischerweise verbundenen Belastungen nicht hinaus. Die Beklagte war zudem nicht geschäftsunerfahren. Als sie die Verpflichtung übernahm, war sie fast 35 Jahre alt, verfügte über eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung, hatte weitere Erfahrung durch ihre Mitarbeit im Betrieb ihres Ehemannes gewonnen und auch schon früher eine Bürgschaft geleistet. Wenige Monate später widersetzte sie sich mit Erfolg dem Ansinnen der Bank, die Haftung zu erweitern. Darin durfte das Berufungsgericht ein zusätzliches Indiz dafür sehen, daß die Beklagte sich der Bedeutung und des Risikos einer Bürgschaft bewußt war.

b) Das Berufungsgericht hat keine Tatsachen festgestellt, die hinreichend belegen, daß die Beklagte von ihrem Ehemann mit unzulässigen Mitteln, insbesondere dringlichen Appellen an die eheliche Solidarität, zur Erteilung der Erklärung gedrängt wurde. Im übrigen darf der Gläubiger ohne besonderen Anlaß in der Regel annehmen, daß eine für den Familienbetrieb bestimmte, objektiv vertretbar erscheinende Kreditgewährung den verständigen Interessen beider Ehepartner dient und die Entscheidung für die Bürgschaft daher in freier Selbstbestimmung, ohne Mißbrauch der Vertragsfreiheit, getroffen wurde (BGHZ 128, 230, 233; BGH, Urt. v. 18. Januar 1996 aaO). Informationen, die darauf hindeuteten, daß die Beklagte unter Druck gesetzt worden war, hatte die Klägerin nicht.

c) Inwieweit der formularmäßige Ausschluß von gesetzlichen Schutzvorschriften des Bürgen in Ziff. 7 und 8 der Urkunde Rechtens ist, kann dahingestellt bleiben. Die eventuelle Unwirksamkeit einzelner Klauseln – die im Streitfall zudem keinerlei konkrete Bedeutung besitzen – begründet keinen Verstoß des Vertrages gegen die guten Sitten. In diesem Punkt sind die Belange des Bürgen dadurch ausreichend gewahrt, daß an die Stelle unwirksamer Bestimmungen die gesetzlichen Vorschriften treten (§ 6 Abs. 2 AGBG).

2. Eine Bürgschaft kann auch dann nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn sich der Vertrag bei vernünftiger Betrachtungsweise als wirtschaftlich sinnlos erweist, weil auch aus der Sicht des Gläubigers kein berechtigtes Interesse an einer Haftung dieses Umfangs besteht (BGHZ 125, 206, 210 ff; 128, 230, 234; BGH, Urt. v. 30. März 1995 – IX ZR 98/94, WM 1995, 900, 902; v. 18. Januar 1996 aaO S. 521 f).

Bietet die Bürgschaft nach den gesamten bei Vertragsschluß erkennbaren Umständen die Möglichkeit des Zugriffs auf eine zusätzliche Haftungsmasse, welche im Hinblick auf die Hauptforderung nennenswerte wirtschaftliche Bedeutung besitzt, kann schon aus diesem Grunde ein anzuerkennendes Haftungsinteresse des Gläubigers in der Regel nicht verneint werden. Ist das dem Ehegatten zur Verfügung stehende Einkommen und Vermögen dagegen voraussichtlich so gering, daß man es bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtungsweise vernachlässigt – die insoweit geltenden Beurteilungsmaßstäbe sind unter II. 2, 3 im einzelnen dargelegt –, bildet die Bürgschaft unter diesem Gesichtspunkt kein taugliches, im Hinblick auf die für den Bürgen mit der Haftung verbundenen Belastungen vertretbares Sicherungsmittel. In solchen Fällen ist indessen zu prüfen, ob sich ein berechtigtes Interesse des Kreditgebers aus einem anderen Grunde bejahen laßt. Insbesondere bei Vergabe von Geschäftskrediten kann den Banken grundsätzlich nicht die Berechtigung abgesprochen werden, mit der Einbeziehung des Bürgen in die Haftung den Gefahren vorzubeugen, die sich für die Durchsetzung der Ansprüche ergeben, wenn die Ehegatten Vermögen auf den am Betrieb nicht beteiligten Partner verlagern oder dafür sorgen, daß neuer Erwerb nur in dessen Person entsteht (vgl. BGHZ 128, 230, 234 f). Solche Nachteile drohen dem Kreditgeber insbesondere auch dann, wenn das Unternehmen des die Geschäfte führenden Ehegatten in Konkurs geht und anschließend ein im wesentlichen identischer Gewerbebetrieb gegründet wird, als dessen Inhaber oder Geschäftsführer allein die Ehefrau auftritt. Der Ehemann wird dann nicht selten gegen ein geringes Entgelt angestellt, setzt jedoch in Wirklichkeit seine bisherige Tätigkeit in demselben Umfang fort. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, daß die Banken Schutz gegen solches oder ähnliches Geschäftsgebaren des im Betrieb nicht oder nur untergeordnet tätigen Partners verlangen. In der Regel ist entsprechendes Mißtrauen bei Eheleuten gerechtfertigt, soweit die Darlehensforderungen nicht auf andere Weise hinreichend abgesichert sind.

II.

Das Berufungsgericht meint jedoch – unter Berufung auf das Senatsurteil vom 5. Januar 1995 (BGHZ 128, 230, 236 ff) –, infolge der Ehescheidung sei die Geschäftsgrundlage für die Bürgschaft entfallen, weil nunmehr mit einer Verschiebung des Vermögens vom Hauptschuldner auf die Beklagte nicht mehr zu rechnen sei. Da die Beklagte wirtschaftlich nicht leistungsfähig sei und auch keine unmittelbaren Vorteile aus der Kreditgewährung gezogen habe, bestehe kein schutzwürdiges Interesse der Klägerin an der Aufrechterhaltung des Vertrages mehr.

Das Berufungsgericht sieht zutreffend, daß diese Rechtsfolge im Streitfall in Betracht kommt. Dennoch hat die Revision Erfolg, weil das angefochtene Urteil die für die rechtliche Beurteilung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht in dem gebotenen Umfang enthält.

1. Der Kreditgeber kann, obwohl der Bürgschaftsvertrag wirksam begründet wurde, im Einzelfall nach § 242 BGB gehindert sein, den Ehepartner, der eine seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit weit übersteigende Bürgschaftsverpflichtung eingegangen ist, in Anspruch zu nehmen. Diente die Verpflichtung des Ehegatten hauptsächlich dem Zweck, den Gläubiger vor Nachteilen durch Vermögensverlagerungen zu schützen, sowie ihm den Zugriff auf eine – sei es auch mittelbare – Teilhabe des Bürgen am Vermögenszuwachs des Hauptschuldners zu ermöglichen, kommt eine Anpassung des Vertrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht, wenn mit dem Eintritt entsprechender Umstände endgültig nicht mehr zu rechnen ist (BGHZ 128, 230).

a) Erforderlich ist zunächst die Feststellung, daß nach dem Inhalt des geschlossenen Vertrages die gewöhnlich im Vordergrund stehende Bedeutung einer Bürgschaft, dem Gläubiger den Zugriff auf das Vermögen eines Dritten zu eröffnen und so die Haftungsmasse zu erweitern, für die Parteien keine rechtlich anzuerkennende Bedeutung hatte. Kann der Bürgschaft die Eignung als sinnvolles und zumutbares Sicherungsmittel durch Erweiterung der Haftungsmasse nicht abgesprochen werden, stellt die daneben mit ihr eröffnete Möglichkeit, Nachteile aus Vermögensverlagerung zu vermeiden. keine wesentliche Geschäftsgrundlage dar, es sei denn, der Kreditgeber hat den Wunsch nach einer Haftungserklärung des Ehegatten allein mit dem Interesse begründet, Vermögensverlagerungen zur Befriedigung seiner Forderung nutzen zu können. Ist der Bürge dagegen finanziell nicht leistungsfähig und kann aufgrund der bei Vertragsschluß erkennbaren Tatsachen auch nicht erwartet werden, daß er in absehbarer Zeit mit eigenem Einkommen oder Vermögen zur Tilgung der Kreditforderung beizutragen vermag, bildet das Interesse des Gläubigers, sich vor Nachteilen durch Vermögensverlagerung zu sichern, die wesentliche Grundlage für den erkennbar gewordenen Geschäftswillen der Parteien. In solchen Fällen erhält die Bürgschaft in der Regel einen wirtschaftlich vernünftigen, rechtlich zu billigenden Sinn allein aus dem Bedürfnis der Bank, ihre Forderung unabhängig davon durchsetzen zu können, wie die Ehepartner Einkünfte und Vermögen untereinander verteilen.

Da die Bürgschaft es dem Kreditgeber ermöglichen soll, sich aus dem gesamten Vermögen der Eheleute zu befriedigen, will er mit dem Vertrag in aller Regel auch das Vermögen erfassen, welches dem Bürgen später durch ein nicht voraussehbares Ereignis – etwa eine Erbschaft – zuwächst. Dieses Bestreben ist im Grundsatz rechtlich zu billigen. Sobald die Wirtschaftsgemeinschaft der Partner jedoch nicht mehr besteht, begründet die durch keine konkreten Umstände zu belegende Hoffnung, der Bürge werde in Zukunft zu Vermögen gelangen, für sich allein genommen in Anbetracht der dem Ehegatten durch die Haftung auferlegten Belastungen kein berechtigtes Interesse der Bank am unveränderten Fortbestand einer solchen Bürgschaft. Die ausschließlich auf völlig ungewisse Aussichten bezogenen wirtschaftlichen Überlegungen des Gläubigers verdienen, isoliert gesehene nur geringen rechtlichen Schutz. Sie können es daher, gemessen an den Risiken, die der nicht leistungsfähige Partner mit einer Bürgschaft auf sich nimmt, nicht rechtfertigen, den Vermögenslosen Ehegatten uneingeschränkt in der Haftung zu belassen. Dies gilt erst recht für die Erwartung, Angehörige des Bürgen seien im Insolvenzfall bereit, dessen Schuld zu tilgen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob ein solches Motiv überhaupt rechtlich zu billigen wäre.

Erst das anzuerkennende Bedürfnis der Bank, sich vor Vermögensverlagerungen zu schützen, beseitigt eine ansonsten rechtlich nicht hinnehmbare Unausgewogenheit des Vertragsverhältnisses. Ohne dieses in hohem Maße berechtigte Interesse würde es sich um ein Rechtsgeschäft handeln, das im wesentlichen darin bestände, der Bürgin eine Verbindlichkeit aufzuerlegen, die sie aller Voraussicht; nach niemals erfüllen kann, und das deshalb mit der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar wäre (BGHZ 128, 230, 237).

b) In den Fällen, in denen der bürgende Partner nach den bei Vertragsschluß erkennbaren Umständen voraussichtlich nicht leistungsfähig ist, bildet somit die Gefahr von Vermögensverlagerungen zwischen dem Hauptschuldner und seinem Ehegatten zum Nachteil des Gläubigers die Geschäftsgrundlage des Vertrages. Die Schutzbedürftigkeit des Kreditgebers entfällt nicht schon dadurch, daß der Hauptschuldner insolvent wird. Im Gegenteil lassen die Partner häufig gerade dann neues Einkommen und Vermögen bewußt nur in der Person des anderen Teils entstehen. Mit einer entsprechenden Vermögensbildung in der Person des Bürgen ist erst dann nicht mehr zu rechnen. wenn die Ehegatten keine gemeinsamen wirtschaftlichen Ziele verfolgen. Das wird in der Regel – aber nicht zwingend – nach Scheidung der Ehe der Fall sein. kann aber auch durch andere Ereignisse mit vergleichbar einschneidenden persönlichen und wirtschaftlichen Folgen ausgelöst werden.

2. Der Bürge hat die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die den Einwand aus § 242 BGB rechtfertigen. Das betrifft einmal den Fortfall der Gefahr, welcher der Gläubiger durch die Einbeziehung des Partners Rechnung getragen hat. Vor allem bezieht es sich auf die Tatsache, daß der Gläubiger nicht mit finanziellen Leistungen des Bürgen rechnen konnte. Dabei ist die Frage, ob der Bürge voraussichtlich in der Lage sein wird. Zahlungen auf die Hauptschuld zu erbringen, aus der berechtigten Sicht eines vernünftig urteilenden Gläubigers bei Vertragsschluß zu beantworten. Diese im Streitfall vom Richter nachzuvollziehende Prognose hat sich dabei vorrangig an dem tatsächlichen Ablauf des Geschehens zu orientieren.

a) Die Prognose ist auf den Zeitpunkt auszurichten, zu dem die Bürgschaftsschuld tatsächlich fällig geworden ist. Hier auf das reale Geschehen abzustellen, wird gewöhnlich den Belangen beider Parteien am besten gerecht. Im Regelfall ist für sie bei Vertragsschluß in gleicher Weise nicht voraussehbar, ob und wann die Hauptschuld notleidend wird, so daß sie diese Frage bei den Vertragsverhandlungen nicht erörtern. Häufig machen sie sich darüber keine näheren Gedanken. Die Ausrichtung der Prognose auf einen anderen Zeitpunkt als denjenigen, zu dem der Bürge in Anspruch genommen worden ist, würde daher zu Zufallsergebnissen führen. die der einen oder anderen Seite Vorteile brächte, für die bei wertender Betrachtungsweise keine Rechtfertigung zu finden wäre. Zu fragen ist demnach, ob der Kreditgeber damit rechnen durfte, der Bürge werde leistungsfähig sein, wenn er bei dessen Haftungsübernahme gewußt hätte, wann diese Frage aktuelle Bedeutung gewinnt.

Das gilt jedenfalls dann, wenn bis zum Eintritt des Bürgschaftsfalls kein ungewöhnlich langer, außerhalb jeder Erwartung liegender Zeitraum vergangen ist. Nach den Erfahrungen des Senats scheitern die meisten nicht erfolgreich verlaufenden Finanzierungen spätestens nach einigen Jahren. Hier hat die Klägerin die Beklagte fünfeinhalb Jahre nach Erteilung der Bürgschaft in Anspruch genommen. Das liegt noch im Rahmen üblicher Geschehensabläufe. Im Streitfall ist daher zu klären, ob die Klägerin im Februar. 1987 erwarten durfte, sie könne von der Beklagten Zahlungen aus der Bürgschaft erhalten, wenn die Verbindlichkeit im August 1992 fällig werde.

b) Die Beurteilung, ob der Bürge voraussichtlich in nennenswertem Umfang Zahlungen zu leisten vermag, hat sich in erster Linie an seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen in dem Zeitpunkt, zu dem die Bürgschaftsforderung fällig wird, sowie der zu diesem Zeitpunkt erkennbaren weiteren Entwicklung zu orientieren. Diese Anknüpfung rechtfertigt sich aus der Erfahrung, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse eines bei Übernahme der Haftung nicht oder nur teilweise leistungsfähigen Bürgen sich nur selten innerhalb weniger Jahre grundlegend verbessern. Eine solche, die tatrichterliche Würdigung erleichternde und der Rechtssicherheit dienende Betrachtungsweise entspricht auch deshalb der Billigkeit, weil die Banken in vielen Fällen die wirtschaftliche Situation des bürgenden Partners vor Abschluß des Vertrages nicht überprüfen. Gleichzeitig muß allerdings in angemessener Weise berücksichtigt werden, daß der Bürge die Voraussetzungen für eine Anpassung des Vertrages nach 5 242 BGB nachzuweisen hat. Beidem läßt sich durch die tatsächliche Vermutung Rechnung tragen, daß das Einkommen, welches der Bürge im Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme durch den Gläubiger tatsächlich erzielt, im Zweifel von Anfang an voraussehbar war.

Dem kann die Bürgin mit dem Einwand begegnen, der Gläubiger habe bei Vertragsschluß nicht mit den später erzielten Einkünften rechnen können. Ebenso darf das Kreditinstitut geltend machen, die finanziellen Möglichkeiten des Bürgen hätten sich ungünstiger entwickelt, als dies im Zeitpunkt der Begründung seiner Verpflichtung absehbar gewesen sei. Ein solches Vorbringen ist dann uneingeschränkt beachtlich, wenn es sich auf entsprechende Parteierklärungen vor Erteilung der Bürgschaft stützen kann. Wurde dagegen über die Leistungsfähigkeit des Bürgen vor Vertragsschluß nicht verhandelt, kann diesen Einwand nur erheben, wer aufzuzeigen vermag, daß die bei Eintritt des Bürgschaftsfalles gegebenen Umstände deutlich aus dem Rahmen des Geschehensablaufs fallen, der bei Vertragsabschluß vernünftigerweise erwartet werden konnte. Beweispflichtig ist insoweit jeweils diejenige Partei, die aus der behaupteten Abweichung der ursprünglichen Sicht vom späteren realen Verlauf für sich einen Vorteil herleitet. Ob im Streitfall entsprechende Tatsachen in Betracht kommen, läßt sich noch nicht beurteilen, weil das Berufungsgericht die Sache in dieser Hinsicht mit den Parteien nicht ausreichend erörtert hat.

3. Eigenes Einkommen des Bürgen spielt als berechtigtes Zugriffsobjekt für den Gläubiger nur dann eine Rolle, wenn es die gemäß § 850 c ZPO geltende Pfändungsfreigrenze in nennenswertem Umfang übersteigt.

a) Pfändbare Einkünfte, welche so gering sind, daß sie für den Gläubiger bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtungsweise im Verhältnis zu dem verbürgten Betrag praktisch bedeutungslos sind, bleiben außer Betracht. Kann der Gläubiger lediglich Ratenzahlungen beitreiben, bilden diese für ihn nur dann einen nicht unbedeutenden Wert, wenn damit innerhalb eines überschaubaren Zeitraums ein beachtlicher Teil der Hauptschuld abgedeckt werden kann. Andernfalls steht den die Lebensführung des Bürgen nachhaltig beeinträchtigenden Belastungen kein hinreichend gewichtiger Vorteil auf seiten des Gläubigers gegenüber. Die Weiterverfolgung des Anspruchs erscheint in solchen Fällen auch im Hinblick auf den damit verbundenen Aufwand oftmals nicht mehr vertretbar. Nicht zuletzt aus solchen Erwägungen nehmen Banken nach den Erfahrungen des Senats Bürgen, gegen die sie einen gerichtlichen Titel im Gesamtumfang der Verpflichtung erwirkt haben, nur eine begrenzte Zahl von Jahren in Anspruch, selbst wenn danach noch ein beträchtlicher Teil ihrer Forderung offensteht. Ergibt sich von vornherein, daß der Bürge voraussichtlich auch im Laufe einer längeren Zeitspanne nur einen unwesentlichen Teil der Forderung des Gläubigers mit seinem Einkommen abdecken kann, ist es gerechtfertigt, den Bürgen als finanziell leistungsunfähig einzustufen, demzufolge also die Voraussetzungen einer Anpassung des Vertrages nach § 242 BGB zu bejahen, sobald die Gefahr von Vermögensverlagerungen entfallen ist.

b) Kredite, die durch solche Ehegattenbürgschaften gesichert werden, sind gewöhnlich für eine auf mehrere Jahre angelegte Finanzierung bestimmt. Zudem kann der Gläubiger von einem Bürgen, der über kein nennenswertes eigenes Vermögen verfügt, nur Ratenzahlungen aus seinem laufenden Einkommen erwarten. Dies spricht dafür, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bürgen danach zu bewerten, was er innerhalb eines längeren Zeitraums zur Befriedigung der Ansprüche des Gläubigers voraussichtlich aufzubringen vermag, und diesen Betrag in Beziehung zur Hauptsumme der gesicherten Forderung zu setzen. Da es allein darauf ankommt, den Bereich zu bestimmen, innerhalb dessen dem Bürgen billigerweise keine Zahlungen abverlangt werden können, bleiben bei dieser Bewertung die anfallenden Zinsen außer Betracht.

Eine umfassende Berücksichtigung und Abwägung der genannten Gesichtspunkte läßt es angemessen erscheinen, den Bürgen als finanziell nicht leistungsfähig zu behandeln, welcher – gerechnet ab Fälligkeit der Bürgschaftsforderung – innerhalb von fünf Jahren voraussichtlich nicht einmal ein Viertel der Hauptsumme – das wären hier 21.750 DM – auf zubringen in der Lage ist.

c) Belastungen aufgrund anderweitiger – nicht in den §§ 850 ff ZPO erwähnter – Verbindlichkeiten bleiben außer Betracht, es sei denn, der Gläubiger habe sie bei Erteilung der Bürgschaft gekannt. Der Kreditgeber braucht von sich aus nicht nach Schulden des Bürgen zu forschen. Dieser kann die aus der Sicht bei Vertragsschluß vorzunehmende Prognose selbstredend nicht dadurch nachträglich beeinflussen, daß er weitere Verbindlichkeiten eingeht.

d) Der Tatrichter braucht den pfändungsfreien Teil des Bürgeneinkommens nicht exakt zu ermitteln, weil die entsprechenden Ergebnisse lediglich bedeutsame Anhaltspunkte für die aus der Sicht eines vernünftigen Gläubigers bei Erteilung der Bürgschaft zu treffende Prognose liefern. Da letztere sich einer genauen Berechnung entzieht, genügt eine den Maßstäben des § 287 Abs. 2 ZPO entsprechende Schätzung des Bürgeneinkommens als Beurteilungsgrundlage dafür, ob der Gläubiger mit Zahlungen des Bürgen verständigerweise rechnen durfte.

e) Übersteigt das Einkommen dagegen den vorstehend beschriebenen Grenzwert, führt es gewöhnlich nicht zu einem untragbaren, mit Treu und Glauben schlechthin unvereinbaren Ergebnis, daß der teilweise leistungsfähige Bürge an den ohne Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit geschlossenen Vertrag gebunden bleibt (vgl. dazu BGHZ 128, 230, 238, Senatsurt. v. 18. Januar 1996 – IX ZR 171/95, aaO S. 522) und für eigenes finanzielles Unvermögen einstehen muß (§ 279 BGB). Diese Rechtsfolge ist die notwendige Kehrseite der im zivilen Vertragsrecht geltenden Privatautonomie, die es gestattet, sich über die eigenen finanziellen Möglichkeiten hinaus zu verschulden, wenn dies in freier Selbstbestimmung geschehen ist. Der Umstand. daß die Einkünfte des Bürgen für sich genommen nicht ausreichen, die Hauptschuld einschließlich der Zinsen insgesamt zu tilgen, steht seiner Haftung im übrigen auch deshalb nicht entgegen, weil der Hauptschuldner – hier außer dem Ehemann der Beklagten auch dessen Bruder – in der Lage ist, beruflich tätig zu sein und auf diese Weise ebenfalls Ratenzahlungen zu erbringen (Senatsurt. v. 18. Januar 1996, aaO § . 522). Aus diesen Gründen hat der Senat in dem genannten Urteil ein monatliches Nettoeinkommen von 2.515,50 DM, von dem jeweils 903.70 DM pfändbar waren, bezogen auf eine Bürgschaftsforderung von 200.000 DM, nicht als unerheblich angesehen.

4. Ob danach im Streitfall die Geschäftsgrundlage der Bürgschaft weggefallen ist, läßt sich bisher nicht beurteilen, weil es an den dazu erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlt.

Äußerungen der Klägerin, die die Beklagte in dem Sinne verstehen durfte, sie solle die Bürgschaft allein zum Schutz des Kreditgebers vor Nachteilen durch Vermögensverlagerung leisten, sind nicht dargetan. Davon geht auch das Berufungsgericht ersichtlich aus. Ob aufgrund der bei Vertragsschluß erkennbaren Tatsachen anzunehmen war, die Beklagte werde, wenn der Bürgschaftsfall eintritt, aus ihrem Einkommen keine nennenswerten Beiträge zur Tilgung der Hauptforderung leisten können, läßt sich dem bisherigen Vorbringen der Beklagten nicht hinreichend entnehmen. Zwar war die Beklagte damals nicht berufstätig und hatte ein einjähriges Kind zu versorgen. Daraus folgt jedoch nicht ohne weiteres ihre finanzielle Leistungsunfähigkeit auch für die Zukunft. Heute geschieht es häufig. daß eine Ehefrau mit abgeschlossener Berufsausbildung wieder eine Erwerbstätigkeit aufnimmt. sobald die Kinder in anderweitige Betreuung gegeben werden können. Das Berufungsurteil zeigt keine Umstände auf. die einer solchen Erwartung von Anfang an entgegenstanden. und befaßt sich auch nicht damit, welche Einkünfte der Beklagten seit Fälligkeit der Bürgschaftsforderung zugeflossen sind.

III.

1. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 565 Abs. 1 ZPO). um dem Berufungsgericht Gelegenheit zu geben. die Tatsachen festzustellen, aufgrund deren zu würdigen ist, ob die Klägerin bei Erteilung der Bürgschaft damit rechnen durfte. die Beklagte werde ab 1992 innerhalb von fünf Jahren in nennenswertem Umfang zur Tilgung des geltend gemachten Anspruchs beitragen können. Aufzuklären ist daher vor allem. welche Einkünfte die Beklagte vor der Geburt ihres Kindes sowie seit 1992 bis heute erzielt hat.

2. Bejaht das Berufungsgericht danach wiederum die Voraussetzungen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage, ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden. die Klage ganz abzuweisen. sofern die der Bürgin durch die Kreditgewährung mittelbar zugeflossenen Vorteile nicht über das hinausgehen. was sie benötigte, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Hier würde die ansonsten geltende Regel, daß die vertraglichen Leistungspflichten lediglich herabzusetzen sind, dem Sinn und Zweck der Haftungsübernahme nicht gerecht. Beschränkt sich der berechtigte Zweck des Vertrages allein auf den Schutz des Kreditgebers vor Vermögensverlagerungen unter den Eheleuten, kann der Gläubiger von vornherein nicht damit rechnen, vom Bürgen Zahlungen zu erhalten, solange keine derartigen Umstände eingetreten sind. Besteht die Gefahr endgültig nicht mehr, deren Abwendung die Haftung des Partners dienen soll, liegt daher regelmäßig in dem Zahlungsverlangen des Gläubigers eine unzulässige Ausübung der Rechte aus dem Bürgschaftsvertrag. Hat der Kredit dagegen mittelbar dazu beigetragen, daß der Bürge in der Zwischenzeit selbst Vermögen bilden konnte, kommt – unabhängig davon, ob darin eine Verlagerung finanzieller Werte unter den Eheleuten zu sehen ist – eine dem Gläubiger günstigere Entscheidung in Betracht. In diesem Zusammenhang ist es auch gerechtfertigt, einen beträchtlichen Vermögenszuwachs infolge einer Erbschaft oder anderer bei Vertragsschluß nicht voraussehbarer Ereignisse angemessen zu berücksichtigen; denn es wäre schwerlich einzusehen, den Bürgen in dieser Hinsicht besser zu stellen als den Schuldner im Rahmen der vorgesehenen Restschuldbefreiung (vgl. § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Entsprechende Voraussetzungen werden indessen nur selten gegeben sein.

 

Unterschriften

Brandes, RiBGH Kirchhof ist urlaubshalber gehindert zu unter schreiben. Brandes, Fischer, Zugehör, Ganter

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 25.04.1996 durch Vetter-Haschke Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 604952

BGHZ

BGHZ, 328

BB 1996, 1634

NJW 1996, 2088

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1996, 1126

ZBB 1996, 240

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